Hollande und Grüne im Clinch nach Tod eines Umweltschützers
Von Danny Leder
Musste ein 21 jähriger Umweltaktivist sterben, damit ein nachweislich überdimensioniertes Staudamm-Projekt im Südwesten Frankreichs ins Stottern gerät? Diese Frage beschäftigt die französische Öffentlichkeit, nachdem der Biologie-Praktikant Rémi Fraisse am Samstag bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Gendarmerie auf dem Baugelände des künftigen Damms durch eine Gendarmengranate tödlich verletzt wurde, und jetzt, in der Folge, die zuständige Ortsbehörde das Bauvorhaben vorerst eingefroren hat. Gleichzeitig untersagte der französische Innenminister den Sicherheitskräften vorläufig die Benützung dieser so genannten „Offensiv-Granaten“ bei Demonstrationen.
Schon seit Monaten hatten lokale Umweltschützer gegen die geplante Errichtung einer Stau-Anlage im Departement Tarn, nördlich von Toulouse, protestiert. Wie auch anderswo in Frankreich nur allzu oft üblich, hatten sich die Betreiber über anhängige Einspruchs-Verfahren hinweggesetzt und durch die Rodung des entsprechenden Waldareals versucht, vollendete Tatsachen zu schaffen.
Rücken durch Granate zerfetzt
Zuletzt aber stießen zu den friedlichen Protestgruppen gewaltbereite Aktivisten aus der ultralinken Szene. Diese hatten in den Tagen zuvor bereits Baumaschinen zerstört und rückten am Samstag mit Brandsätzen und Stahlkugeln gegen eine Sondereinheit der Gendarmerie vor. Rémi Fraisse gehörte nicht zu diesen militanten Gruppen, er hatte auch nicht deren übliche Ausrüstung bei sich. Er folgte aber der Demonstranten-Menge bis in Wurfweite der Gendarmen, wo eine Granate auf seinem Rucksack landete und ihm den Rücken zerfetzte.
Tags darauf wurde ein Bericht von Regierungsexperten bekannt, der dem Projekt ein vernichtendes Zeugnis ausstellte: die ursprünglichen Berechnungen für den Wasserbedarf der Landwirte (das Argument der Damm-Errichter) seien hinfällig, weil sich etliche Bauern vom Maisanbau, der für diese trockene Gegend unangebracht ist, abgewendet haben. Die meisten Landwirte würden mit eigenen, kleinen Wasserreservoiren nunmehr das Auslangen finden. Die Finanzierung des Projekts sei nicht gedeckt, die Umweltschäden irreparabel. Die Regierungsexperten kamen aber zu einem eher paradoxen Schluss, um die Lokalpolitiker, die das Projekt tragen, nicht zu desavouieren: Da die Vor-Arbeiten bereits weit gediehen seien, sollte der Damm in kleinerem Umfang doch noch errichtet werden. Aber auch diese Empfehlung ad Minima steht nun, unter dem Schock des Todes von Rémi Fraisse, zur Debatte.
Präsident Francois Hollande rief am Dienstag die Eltern von Rémi Fraisse an, um sein Betroffenheit auszudrücken, aber für Frankreichs Grüne kommt dieses Bedauern zu spät:Dieser Tod sei für die sozialistische Regierung „ein unlöschbares Schandmal“, erklärte die grüne Ex-Ministerin Cécile Duflot. Diese hatte, gemeinsam mit einem weiteren grünen Minister, von sich aus die Koalitionsregierung mit der SP im März verlassen.
Hollande verärgert linksökologischen Bauernbund
Auch SP-Abgeordnete werfen der eigenen Regierung vor, sie würde sich gegenüber gewalttätigen Protesten konservativer Berufsverbände vergleichsweise nachsichtig zeigen, etwa als Bauern und Frächter in der Bretagne teure Mautbrücken auf Schnellstraßen zerstörten und Ämter anzündeten. Demgegenüber verweisen die grünen und linkssozialistischen Kritiker der SP-Regierung auf die Unnachgiebigkeit der Behörden gegenüber dem linksalternativen Bauernbund „Confédération paysanne“.
Dieser Bauernbund, der sich der ökologischen Landwirtschaft, würdigen Tierhaltung und möglichst direkten Nahversorgung mit Agrarprodukten verschrieben hat, mobilisiert zurzeit gegen die Errichtung einer Massenfarm für 1000 Kühe und 750 Kälber im nordfranzösischen Departement Somme. Sechs seiner Aktivisten, die Bauelemente der künftigen Farmhalle abmontiert hatten, wurden soeben in der nordfranzösischen Stadt Amiens von einem Gericht zu bedingten Gefängnisstrafen verurteilt. Während des Prozesses hatten sich am Dienstag tausende Anhänger der „Confédération paysanne“ in Amiens versammelt. Dabei stand auch das Gedenken an den getöteten Rémi Fraisse im Vordergrund und die Unterstützung für die Protestbewegung gegen das Staudamm-Projekt bei Toulouse. Insgesamt gibt es zurzeit beachtliche Protestbewegungen gegen mehr als zehn verschiedene Großbau-Projekte in Frankreich, die jeweils als überdimensioniert und umweltfeindlich eingestuft werden, darunter die Errichtung von Groß-Flughäfen oder neuen Einkaufsmailen im Einzugsgebiet von Provinzstädten. Bei all diesen Protestbewegungen sind örtliche Bauern, die „Confédération paysanne“, Grüne und diverse Umweltbewegungen aktiv.
Die bereits extrem geschwächte sozialistische Staatsführung um Präsident Hollande und Premierminister Manuel Valls läuft jetzt Gefahr, die letzten Brücken zu den Grünen und dem nicht unbedeutenden Milieu öko-sozialer Vereine und Bürgerinitiativen zu kappen.