Malala geht heute als Favoritin ins Rennen
Heute, Freitag, um 11 Uhr werden etliche verdiente Persönlichkeiten in der Welt das Telefon in Griffweite haben. Dann nämlich ruft der Direktor des Nobelinstituts in Oslo, Geir Lundestad, den frisch gebackenen Friedensnobelpreisträger oder die Preisträgerin an, um zu gratulieren. Eine halbe Stunde später erfährt die Weltöffentlichkeit den Namen. Und bestätigen sich die diesjährigen Spekulationen, dann heißt die jüngste aller je ausgezeichneten Friedensnobelpreisträgerinnen Malala Yousafzai (16).
Die Pakistanerin überlebte vor einem Jahr einen Mordanschlag der radikal-islamischen Taliban mit lebensgefährlichen Verletzungen. Ihr „Vergehen“: Yousafzai bloggte schon mit elf Jahren für die BBC aus dem Swat-Tal über die Unterdrückung durch die Taliban und pochte auf das Recht auf Bildung für Frauen und Mädchen. In einer Doku schilderte Malala ihren Wunsch, Ärztin zu werden – gegen die Regeln der Taliban. Deshalb schossen ihr Taliban im Vorjahr in einem Schulbus in den Kopf. Malala wurde zur Behandlung nach Großbritannien ausgeflogen, wo sie heute lebt.
Ihren Kampf gab sie nicht auf. In der islamischen Welt gilt sie als eine Ikone der Frauenrechtsbewegung. An ihrem 16. Geburtstag, heuer am 12. Juli, hielt sie als erster Teenager eine Rede vor der UN-Vollversammlung. Für ihr Engagement wurde sie am Donnerstag vom Europaparlament mit dem Sacharow-Menschenrechtspreis ausgezeichnet.
Ob Malala auch den prestigereichsten Preis der Welt heute bekommt oder nicht – diese Entscheidung treffen nur fünf Menschen. Derzeit drei Frauen und zwei Männer – allesamt Norweger und Politiker, allen voran der frühere Premier Thorbjørn Jagland. Direktor Lundestad steht ihnen zur Seite. Seit 23 Jahren sichtet er die Nominierungen, heuer waren es 259, so viele wie noch nie. Und Lundestad berät das Komitee. Wie dann die Entscheidungsfindung abläuft, wissen nur die sechs. 50 Jahre lang bleiben die Protokolle unter Verschluss.
Jagland sagte gegenüber der Zeit sinngemäß, dass das Komitee durch das Testament von Alfred Nobel oft gar keine richtige Wahl habe. Nobel zufolge gilt es die Person zu küren, die zuletzt „die meiste oder beste Arbeit für die Brüderlichkeit zwischen den Nationen, für die Abschaffung oder Reduzierung stehender Armeen und für das Abhalten oder Voranbringen von Friedenskongressen getan hat“.
Nichtsdestotrotz liegt dies im Auge des Betrachters: Gerüchten zufolge erhielt die EU 2012 nur wegen des Schlaganfalls eines Komiteemitglieds den Zuschlag. Zuvor hatte Ågot Valle, eine EU-Gegnerin, stets eine Auszeichnung der EU verhindert. Sie fällt auch heuer aus.
TV: OPCW gewinnt Preis
Die Gerüchteküche hat auch am Freitag bereits vor der Bekanntgabe zu brodeln begonnen: Der norwegische Fernsehsender NRK rückte die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW/OVCP) ganz nach vorn. Die OPCW sei "ein klarer Favorit", meldete der Sender Freitagfrüh. Ob die internationale Organisation, die die Vernichtung von Chemiewaffen überwacht, bis zum Ende der Vorschlagsfrist im Jänner als Kandidat gemeldet wurde, ist unklar.
Der Chef des norwegischen Nobelkomitees, Thorbjörn Jagland, sagte dem Sender NRK, es sei leicht gewesen, sich auf einen Preisträger zu einigen. Ob sich die Jury auf Einzelpersonen oder eine Organisation geeinigt habe, wollte Jagland nicht verraten. Insgesamt sind 259 Kandidaten, darunter 50 Organisationen für den Preis nominiert.
Schirin Ebadi (Iran), Menschenrechtsaktivistin. KURIER-Bewertung, ob der Preis verdient war:
2003: Schirin Ebadi (65, Iran). Die Menschenrechtsaktivistin und Kämpferin für Demokratie war nicht nur die erste iranische Richterin, sondern erhielt auch als erste Muslimin den Friedensnobelpreis. Die Juristin setzte sich couragiert für die Rechte von Kindern und Frauen ein und verteidigte Dissidenten vor Gericht. Dafür wurde sie im Jahr 2000 verhaftet, zu einer Bewährungsstrafe und zeitlich begrenztem Berufsverbot verurteilt. Seit Ende 2009 lebt Ebadi im Exil in Großbritannien, von dort aus setzt sie ihre Menschenrechtsengagement fort.
Wangari Maathai (Kenia). Die Menschenrechtlerin gab einem Kontinent Impulse für Umweltschutz:
2004: Wangari Maathai (1940–2011, Kenia). Die in ihrer Heimat als „Mutter der Bäume“ bekannte Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin bekam als erste Afrikanerin den Friedensnobelpreis. Aufgrund ihrer Initiative wurden allein in Kenia fast 40 Millionen Bäume gepflanzt. Die UNO griff Wangari Maathais Idee auf und initiierte Ende 2006 die Aktion „Für eine Milliarde Bäume“. Binnen drei Jahren wurden dadurch weltweit 7,3 Milliarden neue Bäume gepflanzt. Maathai erlag 2011 einem Krebsleiden.
Mohammed El-Baradei (Ägypten). Auszeichnung für den Chef der UN-Atomenergiebehörde
2005: Mohamed El-Baradei (71, Ägypten) und die IAEO (Internationale Atomenergie-Organisation). Die in Wien ansässige UN-Atombehörde und ihr damaliger Chef El-Baradei wurden für ihre Bemühungen ausgezeichnet, die Nutzung der Atomenergie zu militärischen Zwecken zu verhindern – was nur bedingt gelingt. El-Baradei hatte dem Druck des früheren US-Präsidenten Bush widerstanden und klargestellt: Im Irak gibt es keine Atomwaffen. Vor den Unruhen in Ägypten, wo El Baradei Präsident werden wollte, ist der ehemalige Spitzendiplomat nach Wien geflohen.
Muhammad Yunus (Bangladesch). Der Begründer des Mikrokredit-Gedankens:
2006: Muhammad Yunus (73, Bangladesch) und die Grameen Bank. Yunus ist Gründer und ehemaliger Geschäftsführer der Mikrokredite vergebenden Grameen Bank und damit einer der Begründer des Mikrofinanz-Gedankens. Der „Banker der Armen“ gab vor allem Frauen zu günstigen Konditionen eine finanzielle Starthilfe, um sich als Kleinstunternehmerinnen eine Existenz aufbauen zu können. 2011 wurde Junus als Grameen-Bank-Geschäftsführer aus Altersgründen entlassen.
Al Gore (USA) und der UN-Weltklimarat. Preis für die Warnung vor den Folgen des Klimawandels:
2007: Al Gore (65, USA) und der Weltklimarat IPCC: Der frühere US-Vizepräsident und der UN-Klimarat wurden für ihren Einsatz gegen den vom Menschen verursachten Klimawandel geehrt. Der überzeugte Umweltschützer Gore hatte auf sehr populärwissenschaftlichem Weg unablässig vor den verheerenden Folgen des Klimawandels gewarnt. Die 1300 Wissenschaftler des IPCC wiederum tragen die neuestens Erkenntnisse zum Klimawandel zusammen und geben – mitunter sehr umstrittene – Prognosen ab.
Martti Ahtisaari (Finnland). Ex-Präsident und Spitzendiplomat in der Rolle des Friedensstifters:
2008: Martti Ahtisaari. (76, Finnland): Den Preis erhielt der Ex-Präsident und Spitzendiplomat für seine drei Jahrzehnte langen Bemühungen, auf verschiedenen Kontinenten internationale Konflikte zu lösen – darunter in Aceh (Indonesien) und im Kosovo. Unter den Friedensnobelpreitsrägern der vergangenen Jahre erfüllt kaum jemand so gut wie er die Rolle des klassischen Friedensstifters.
Barack Obama (USA). Der US-Präsident wurde ausgezeichnet, noch ehe er ein Jahr im Amt war:
2009: Barack Obama: (53, USA) Damals noch nicht einmal ein Jahr im Amt, wurde der US-Präsident für seine „außergewöhnlichen Bemühungen für die Zusammenarbeit zwischen den Völkern“ ausgezeichnet. Entscheidend dabei: Obamas Vision von einer Welt ohne Atomwaffen. Der Umsetzung seiner Vision aber kam Obama nicht näher – im Gegenteil: Frieden gestiftet hat Obama in seiner Amtszeit noch nicht.
Liu Xiaobo (China). Der Dissident wurde vor der Preisvergabe eingesperrt. Er ist weiter in Haft:
2010: Liu Xiaobo (57, China). Der Literat und Menschenrechtsaktivist erhielt den Friedensnobelpreis wegen seines „langen und gewaltlosen Kampfes für fundamentale Menschenrechte in China“. Sein Sessel bei der Preisverleihung blieb leer – Peking ließ ihn nicht frei. Liu Xiaobo trat immer wieder für politische Reformen, Demokratie und Meinungsfreiheit ein. Er war einer der führenden Köpfe der Demokratiebewegung 1989 am Tianamen-Platz, wofür er für eineinhalb Jahre ins Gefängnis wanderte. Später landete er erneut drei Jahre in einem Umerziehungslager. Als Mitorganisator der sozial- und regierungskritischen Charta 08 wurde er schließlich Ende 2008 abermals verhaftet und zu elf Jahren Haft verurteilt.
Ein Preis an drei Frauen:Ellen Sirleaf(o.),Leymah Gbowee(beide Liberia),Tawakkol Karman (Jemen):
2011: Ellen Johnson Sirleaf (75, Liberia), Leymah Gbowee (41, Liberia) und Tawakkol Karman (34, Jemen). Gleich an drei Frauen ging der Friedensnobelpreis als Ermutigung für den Kampf von Frauen in aller Welt um Gleichberechtigung. Johnson-Sirleaf, die erste gewählte Präsidentin Liberias, und ihre Landsfrau Gbowee wurden für ihr Engagement zur Beendigung des Bürgerkrieges in Liberia geehrt. Die Journalistin Karman aus dem Jemen ist die jüngste aller Friedensnobelpreisträger seit der ersten Vergabe 1901. Karman war eine der treibenden Kräfte bei dem vor allem von der Jugend getragenen Volksaufstand im Jemen gegen die brutale Diktatur unter dem Ende 2011 in die Knie gezwungenen Präsidenten Ali Salih.
Die EU. Auszeichnung für die Idee, über Zusammenarbeit Frieden und Wohlstand zu schaffen:
2012: Die EU. Sie wurde dafür ausgezeichnet, sechs Jahrzehnte lang zur Förderung von Frieden und Versöhnung beigetragen zu haben. Kriege, wie sie Europa früher erlebt hat, scheinen heute dank der Europäischen Union undenkbar. Den Preis erhielt die EU im Vorjahr mitten am Höhepunkt der Eurokrise – sie scheint vorerst ausgestanden.