Chronik/Welt

"Geduld ist zu Ende": Vatikan bei Missbrauchs-Gipfel unter Druck

Papst Franziskus ist sich der Dringlichkeit der Sache offenbar bewusst: Zum Auftakt des Kinderschutztreffens im Vatikan sagte er am Donnerstag, die Welt erwarte von der Kirche "konkrete und wirksame Maßnahmen" gegen den Missbrauch. "Mut und konkretes Handeln" forderte der Papst in seiner Ansprache vor den katholischen Bischöfen, die bis Sonntag über Konsequenzen aus den Missbrauchsskandalen der Kirche beraten. Die österreichische Bischofskonferenz wird durch den Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn vertreten.

Der Papst dankte seinen Mitarbeitern, die das Gipfeltreffen organisiert haben. Die Begegnung sei eine Gelegenheit, das Übel in eine Chance für mehr Bewusstsein umzuwandeln. "Die Muttergottes helfe uns, die tiefen Wunden zu heilen, die der Skandal des Kindesmissbrauchs sowohl in den Kindern, als auch in den Gläubigen verursacht hat", so der Papst.

Erste Enttäuschung für die Opfer

Zusammen mit den Vorsitzenden der Bischofskonferenzen der Welt will Franziskus Wege finden, um sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhindern. Opfer fordern von Franziskus konkrete Taten - wurden aber schon vor Beginn des Gipfels enttäuscht. Sie hätten den Papst treffen wollen, wurden jedoch nicht von ihm persönlich empfangen. Lediglich Mitglieder des Organisationskomitees trafen am Mittwoch die Missbrauchsopfer. Ein Sprecher des Vatikan sagte im Anschluss, ein Treffen der Opfer mit Franziskus sei nie geplant gewesen. Allerdings konnte eine Gruppe von Missbrauchsopfern aus Polen dem Papst bei der Generalaudienz am Mittwoch einen Bericht über die Vertuschung entsprechender Taten in ihrem Land überreichen.

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„Null-Toleranz-Politik“ gefordert

"Wir lassen uns nichts mehr gefallen, unsere Geduld ist zu Ende", diese Stimmung herrscht unter ehemaligen Missbrauchsopfern der Kirche vor dem Gipfel. Internationale Initiativen rufen Papst Franziskus auf, endlich eine „Null-Toleranz-Politik“ gegen Missbrauch in der Kirche umzusetzen. Viel Kritik gab es im Vorfeld des Treffens. Vor allem daran, dass sich der Vatikan seine Gesprächspartner in diesem Themenbereich gezielt aussuchte.

Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei auch die ehemalige Ordensfrau Doris Wagner, die selbst Opfer von Vergewaltigung durch einen Priester wurde. Der hochrangige Geistliche war bis vor kurzem in der Glaubenskongregation tätig. Die Theologin appelliert an ein entschlossenes Vorgehen des Vatikans gegen „strukturelle Probleme“, die sexuellen Missbrauch in der Kirche in all seinen Formen erlaubten.

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Opfer treten selbstbewusster auf

Wie die Vertreterinnen der Organisation "Voices of Faith", die sich für die Gleichstellung von Frauen in der Kirche einsetzt, hat auch Wagner keine großen Erwartungen an Gipfel. "Was den Unterschied machen kann, ist die Rolle der Opfer, die jetzt selbstbewusster auftreten", hofft Wagner.

Die indische Theologin und Frauenrechtlerin Virginia Saldanha betont, dass es für Opfer sexueller Gewalt innerhalb der Kirche sehr schwer sei, sich mit ihren Anzeigen durchzusetzen. Sie berichtet vom aktuellen Fall einer indischen Ordensfrau, die einen Bischof wegen Vergewaltigung angezeigt hatte. "Den Ordensschwestern, die diese Nonne unterstützt haben, wurde mit schweren Disziplinarmaßnahmen gedroht. Viele Nonnen müssen den Orden verlassen, wenn sie sexuelle Gewalt anzeigen", sagte Saldanha.

Pädophile Priester habe die Kirche zugleich aber stets gedeckt und ihnen Versorgungsposten zugeschanzt. Der beschuldigte Bischof in Indien ist wieder auf freiem Fuß und in seine Diözese zurückgekehrt.

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Anzeigepflicht

"Wir fordern die Einführung der Pflicht für alle Bischöfe, Missbrauchsfälle bei den Justizbehörden ihrer Länder anzuzeigen", so der Brite Peter Saunders, der als Jugendlicher von einem Priester missbraucht wurde.

Zu Beginn des Kinderschutzgipfels im Vatikan signalisierten die italienischen Bischöfe Bereitschaft, die Einführung einer Anzeigepflicht gegen Priester bei Missbrauchsverdacht zu unterstützen. Ein dementsprechender Beschluss könnte bei der nächsten Versammlung der italienischen Bischofskonferenz (CEI) im Mai ergriffen werden, berichtete CEI-Präsident Kardinal Gualtiero Bassetti.

"Ich schließe nicht aus, dass dort, wo die Anklage glaubwürdig ist, eine Anzeigepflicht gelten wird. Dies gilt vor allem, wenn Gefahr auf Wiederholung des Missbrauchs besteht. Der Schutz der Minderjährigen muss prioritär sein", so Bassetti im Interview mit der italienischen Tageszeitung Quotidiano nazionale.

 

Erschütternde Berichte zu Beginn

Am Beginn der Konferenz rüttelten die Zeugnisse von fünf Opfern sexuellen Missbrauchs auf. Vier Männer und eine Frau berichteten per Videoaufzeichnungen, die den rund 190 in der vatikanischen Synodenaula versammelten Bischofskonferenzvorsitzenden und Ordensoberen gezeigt wurden, über ihr Leid und ihre Forderungen an die Kirche. Der Vatikan veröffentlichte im Anschluss Wortlautabschriften der Aussagen; weitere Informationen wurden auf Wunsch der Opfer nicht bekanntgegeben.

Als besonders verletzend und traumatisch - neben dem Missbrauch an sich - schilderten alle die Tatsache, dass Bischöfe und Ordensobere ihnen nicht geglaubt haben. "Das erste, was sie taten, war, mich als Lügner zu behandeln, sich umzudrehen und zu behaupten, ich und andere seien Feinde der Kirche", kritisierte ein Mann aus Südamerika. Zugleich warnte er vor "falscher oder erzwungener Vergebung"; auch forderte er die Kirchen-Verantwortlichen zur Zusammenarbeit mit Behörden auf.

Homosexualität als Tabu

Am Rande des Missbrauchsgipfels sorgt noch ein Tabu für Aufsehen: Homosexualität. In seinem neuen Buch "Sodoma" bezeichnet der französische Autor Frédéric Martel den Vatikan als eine der "größten Schwulen-Gemeinschaften der Welt". Einer seiner Gesprächspartner aus dem Vatikan schätzt, dass 80 Prozent der Männer im katholischen Kirchenstaat schwul seien.

Hintergrund: Missbrauchsskandal

Der Missbrauchsskandal erschüttert die katholische Kirche bereits seit Jahrzehnten. Nachdem in den 1980er Jahren erste Fälle in den USA bekannt geworden waren, wurde das Thema während der 1990er Jahre auch in den Medien immer präsenter - in Österreich vor allem durch die Missbrauchsvorwürfe gegen den Wiener Erzbischof Kardinal Hans-Hermann Groer im Jahr 1995. Zu den Hauptkritikpunkten gegen die kirchliche Hierarchie gehört, dass Bischöfe Taten vertuscht bzw. Beschuldigte im kirchlichen Dienst belassen haben.