Mindestens zwei Tote nach Schüssen in Halle an der Saale
- Ein Mann und eine Frau wurden am Mittwochmittag durch Schüsse in der deutschen Stadt Halle getötet, zwei Menschen verletzt. Ein Täter versuchte, eine Synagoge zu stürmen - erfolglos.
- Auch im 15 Kilometer entfernten Landsberg soll geschossen worden sein.
- Eine Person wurde laut Polizeiangaben festgenommen. Dabei dürfte es sich um den 27-jährigen Deutschen Stephan B. handeln. Er soll als Einzeltäter gehandelt haben.
- Behörden gehen von einem rechtsextremistischen Hintergrund aus. Dienstag und Mittwoch wird Jom Kippur - der höchste jüdische Feiertag - begangen.
- Auch in Wien wurden die Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Einrichtungen verstärkt. Es gebe aber keine konkrete Gefährdungslage, so die Polizei.
- Im Internet wurde ein Bekennervideo und ein angebliches "Manifest" gefunden - es wird geprüft, ob es tatsächlich vom Täter stammt.
- Identität der Opfer nach wie vor unbekannt.
Ein Terroranschlag in Halle an der Saale erschütterte die Bundesrepublik Deutschland. Am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, wollte ein bis an die Zähne bewaffneter Mann offenbar ein Massaker in einer Synagoge anrichten. Der mutmaßliche Rechtsextremist Stephan B. aus Sachsen-Anhalt wurde festgenommen. Die Identität der beiden Opfer ist nach wie vor ungeklärt.
Am Donnerstag soll der deutsche Innenminister Horst Seehofer über den Ermittlungsstand informieren.
Ein maskierter und schwer bewaffneter Mann in Kampfanzug "mit Helm und Stiefel“ versuchte in die Synagoge einzudringen. Zu Mittag befanden sich 70 bis 80 Gläubige in dem Gotteshaus. Die Sicherungsvorkehrungen hatten aber „dem Angriff standgehalten“, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Halle, Max Privorotzki dem Spiegel.
„Gott hat uns geschützt“
Denn der Tempel war von innen verschlossen. Um Einlass zu erhalten, muss man sich, wie auch in Wien, beim Sicherheitsdienst ausweisen. Durch die Überwachungskamera beobachteten die Menschen in der Synagoge, wie der Täter versuchte, ins Gebäude einzudringen. Es waren Schüsse zu hören, der Gottesdienst wurde abgebrochen.
„Der Täter schoss mehrfach auf die Tür und warf auch Molotowcocktails, Böller oder Granaten, um einzudringen. Aber die Tür blieb zu. Gott hat uns geschützt. Das Ganze dauerte vielleicht zehn Minuten“, sagte Max Privorotzki.
Der KURIER hat das Video gesehen, wird es aber nicht veröffentlichen. Zu sehen ist darauf ein Mann, der sein Verbrechen ganz nüchtern plant und versucht, auszuführen. Allerdings dürfte er, anders als der Attentäter von Christchurch, nicht im Besitz vollautomatischer Waffen gewesen sein. Er war offenbar mit gebastelten Schusswaffen und Sprengsätzen oder Brandbomben unterwegs.
Eine Frau, die zufällig vorbeigeht, und die sich zwar über die Erscheinung des Mannes wundert, aber nicht alarmiert wirkt, wird vom Täter mit drei Kugeln in den Rücken erschossen. Später, als die Versuche, in das Gebäude einzudringen, immer wieder scheitern, schießt er auf den Leichnam. Dabei trifft er unabsichtlich auch den Reifen seines eigenen Wagens.
Immer wieder flucht der Mann, auf sich, auf seine selbst gebauten Waffen. Weitere Versuche, Passanten, die zufällig vorbeikommen und der Frau helfen wollen, ebenfalls zu erschießen, scheitern, weil seine Waffen versagen.
Der Mann fährt dann mit dem Pkw wenige Hundert Meter weiter, bis zu einem Döner-Imbiss. Dort erschießt der Mann ebenfalls kaltblütig und nach mehreren Fehlversuchen einen Mitarbeiter.
Als nach etwa zehn bis 15 Minuten die Polizei eintraf – für die Menschen in der Synagoge wohl eine Ewigkeit – fielen auf der Straße mehrere Schüsse. Der Verdächtige dürfte dabei angeschossen worden sein.
Er setzte sich in einen Mietwagen und flüchtete nach Landsberg am Lech, hielt dort bei einer Werkstätte, und versuchte dort ein neues Fluchtfahrzeug zu besorgen. Dabei wurden ein Mann und eine Frau angeschossen und schwer verletzt.
Amoklage
Wenig später allerdings konnte der Mann festgenommen werden – nach einem Unfall mit einem Lkw auf der Autobahn. In Halle wurde noch am Nachmittag „Amoklage“ gegeben, die höchste Alarmstufe. Menschen wurden aufgefordert, sich in Sicherheit zu bringen und nicht aus den Fenstern zu schauen. Die Gläubigen mussten insgesamt fünf Stunden in ihrer Synagoge ausharren, ehe sie in Sicherheit gebracht werden konnten.
Der Hauptbahnhof von Halle wurde vorübergehend gesperrt, am Abend twitterte die Polizei, die akute Gefahr sei vorbei. Einige Medien berichteten von einem Einzeltäter, was von der Polizei zunächst nicht bestätigt wurde.
Der Polizeischutz vor den Synagogen in Leipzig und Dresden, aber auch in Berlin, Hannover und vielen Städten Nordrhein-Westfalens wurde ebenso verstärkt wie die Polizeipräsenz an Flughäfen und Bahnhöfen. Der Generalbundesanwalt zog die Ermittlungen an sich wegen Terrorverdachts. Ermittelt wird in Richtung rechtsradikaler Zirkel. Weltweit wurde der Anschlag verurteilt.
Auch in Wien standen vor den Synagogen zusätzlich zu den uniformierten Polizisten WEGA-Spezialeinheiten. Drinnen führten private Sicherheitsdienste der Jüdischen Gemeinde Gesichtskontrollen durch.
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde der ostdeutschen Stadt Halle, Max Privorozki, hat der Polizei am späten Mittwochabend eine zu langsame Reaktion beim versuchten Angriff auf die Synagoge vorgeworfen. "Die waren zu spät vor Ort", sagte Privorozki in einem Video, das am Mittwoch vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus auf Twitter veröffentlicht wurde.
Mindestens 10 Minuten hätten sie gebraucht, als er angerufen und gesagt habe: "bewaffneter Anschlag gegen die Synagoge". Privorozki machte deutlich, dass mehrfach auch im Bundesland Sachsen-Anhalt der Wunsch nach Polizeischutz für Synagogen geäußert worden sei - "genauso wie in großen Städten wie Berlin, München Frankfurt".
Von Dienstag bis zum heutigen Mittwoch findet das jüdische Versöhnungsfest Jom Kippur statt - der höchste jüdische Feiertag. Jom Kippur soll im Judentum unter anderem als Gelegenheit genutzt werden, sich mit Mitmenschen zu versöhnen, mit denen man gestritten hat.
Reaktionen: Politiker erschüttert
Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat nach dem Angriff von Halle zu Solidarität mit den jüdischen Menschen in Deutschland aufgerufen. In Halle sei passiert, was in Deutschland unvorstellbar schien, sagte Steinmeier bei einem Lichtfest in Leipzig anlässlich des 30. Jahrestags der friedlichen Revolution.
"In einem Land mit dieser Geschichte. Das war mir unvorstellbar", fügte Steinmeier hinzu. "Lassen Sie uns Solidarität zeigen mit den jüdischen Menschen in diesem Land", sagte er unter Beifall von mehreren tausend Menschen.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff zeigte sich erschüttert über die tödlichen Schüsse. "Ich bin entsetzt über diese verabscheuenswürdige Tat", erklärte Haseloff am Mittwoch.
Das Europaparlament gedachte am Mittwochnachmittag mit einer Schweigeminute der Opfer. In Gedanken sei man bei Deutschland, der deutschen Polizei und bei der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, sagte Parlamentspräsident David Sassoli in Straßburg.
Auch Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen richtete bereits sein Mitgefühl auf Twitter aus:
Der deutsche Kardinal Reinhard Marx hat sich nach dem Angriff ebenfalls betroffen gezeigt. "Ich bin entsetzt und erschüttert über den feigen Anschlag von Halle", sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz am Mittwoch laut Mitteilung.
Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu hat den Angriff auf eine Synagoge im ostdeutschen Halle als einen "weiteren Ausdruck für Antisemitismus in Europa" bezeichnet. Die Attacke habe am jüdischen Nationalfeiertag Yom Kippur stattgefunden und damit am "heiligsten Tag für unser Volk", sagte er in einer Mitteilung seines Büros am Mittwoch.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat nach dem Angriff auf die Synagoge in der ostdeutschen Stadt Halle an der Saale einen eindringlichen Appell an die europäische Öffentlichkeit gerichtet. "Der zunehmende Antisemitismus muss alle Europäerinnen und Europäer zum Handeln aufrufen", schrieb er am Mittwochabend über den Kurznachrichtendienst Twitter mit.