Chronik/Welt

Zehntausende bei Karel Gott-Begräbnis: "Er hat uns das Leben leichter gemacht"

Bei Lenka war eigentlich der Schwiegervater schuld. Der hörte nämlich schon beim Frühstück Karel Gott, und wenn er abends im nordböhmischen Liberec aus der Fabrik heimkam, machte er gleich damit weiter. Sie war frisch verheiratet, an eine eigene Wohnung war damals in den düsteren 1970ern hinterm Eisernen Vorhang nicht zu denken.

Also dachte sie nicht weiter darüber nach, bis ihr der Sänger schließlich selbst ans Herz gewachsen war. „Ein Jahr später war ich schon bei einem Konzert von ihm, und seither bin ich ihm treu.“

Lenka war am Freitag wie Zehntausende andere nach Prag gekommen, um sich von Karel Gott zu verabschieden. Sie hat Tochter, Schwiegersohn und einen Enkel mitgebracht. Und auch für die gehört Karel längst zum Leben dazu, auch wenn heute nicht mehr zwei Generationen in einer Wohnung wohnen.

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Schlange stehen

Erinnerungen, bis zurück in die frühe Kindheit, die hat jeder der Zehntausenden mitgebracht, die schon in den frühen Morgenstunden friedlich in einer kilometerlangen Schlange stehen, um über die Moldau auf die Slawische Insel zu kommen.

Dort im Sophienpalast liegt Karel Gott aufgebahrt, und zwei Stunden später wird auch Lenka durch den klassizistischen Prachtbau gehen, die mitgebrachten Blumen ablegen. „Letzte Glückwünsche, von Lenka und der ganzen Familie“ steht auf der Schleife.

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Denn bei Karel Gott geht es fast immer um Familie. Anders als bei Lenkas Geschichte, fangen die meisten Erinnerungen schon in der frühen Kindheit an. So wie bei Mirka, die damals, mit drei, weder gewusst hat, „was dieser Sänger singt noch wie er eigentlich heißt“. Aber bald war das egal, Karel Gott war da, und er blieb. Von der Mutter und von der Großmutter ist in den Gesprächen fast immer die Rede, und dass sie schon diese Musik gehört hätten – ja, und die Kinder heute natürlich auch.

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Mirka ist ein richtiger Fan geworden, die heute 60-Jährige hat unzählige Konzerte besucht. Doch das Schönste davon hat sie in Prag erlebt, in der Lucerna, dem berühmten Konzertsaal direkt auf dem Wenzelsplatz. Ganz vorne, gleich in der Nähe ihres Stars, hat sie getanzt. Der habe sich nachher viel Zeit genommen, um Autogramme zu schreiben und mit Fans wie Mirka zu plaudern. „Er war so ein bescheidener, netter Mensch“, das bekommt man hier in der Schlange sehr häufig zu hören.

Die vielen Frauengeschichten, die nimmt ihm keine hier übel, und das unschöne Verhältnis damals zum kommunistischen Regime schon gar nicht.

Karel Gott unterschrieb in den 1970ern die sogenannte „Anticharta“, die Antwort der Kommunisten auf die regimekritische „Charta 77“. In der forderten Künstler und Intellektuelle politische Reformen und das Recht auf Meinungsfreiheit.

Das Regime setzte ein Bekenntnis zum Sozialismus dagegen, und Karel Gott und viele andere Künstler setzten ihre Unterschrift darunter. Ihm deshalb Sympathien für die Kommunisten, Gleichgültigkeit gegenüber den vom Regime Verfolgten zu unterstellen, das ist für Mirka eine „Verleumdung“.

„Unser Botschafter“

Karel Gott, betont nicht nur sie, habe sich oft und oft für Kollegen eingesetzt, die in Schwierigkeiten geraten seien. „Was hätte er denn tun sollen?“, empören sich viele, man hätte ihn ja nie wieder auftreten, geschweige denn ins westliche Ausland reisen lassen.

Und dass Karel Gott dort auch ein Star war, dass er durch Deutschland, Österreich und sogar durch Japan tourte, das bedeutete damals vielen sehr viel – und davon erzählen die älteren Semester wie Mirka heute noch gerne: „Er war wie ein Botschafter für uns, drüben im Westen. So haben die auch gemerkt, dass es bei uns nicht nur Diktatur und schlechtes Essen gibt.“

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Von all dem haben die Jüngeren längst nichts mehr mitbekommen, und trotzdem stehen auch von ihnen viele in der Schlange. Sogar drei 16-jährige Schülerinnen sind hier, erzählen, dass sie alle drei zumindest eine Großmutter haben, die so gerne gekommen wäre. „Und für die sind wir da“, lacht Lara.

„Ich wusste, wenn ich nicht komme, wird mir das den Rest meines Lebens leidtun“, macht auch Mirka deutlich, dass diese Verabschiedung eine ganz persönliche Angelegenheit für sie ist. Mehr noch, „eine persönliche Verpflichtung“, von damals noch, aus der Zeit hinter dem Eisernen Vorhang: „Er hat uns das Leben leichter gemacht.“