Chronik/Welt

Homophobie und Übergriffe: Schatten über dem Regenbogen

Es regnete Konfetti im Bundestag – als vor einem Jahr die Ehe für alle geöffnet wurde, feierte man dies als Meilenstein in puncto Gleichberechtigung. Ausgelassen etwa beim jährlichen Christopher Street Day (CSD), der kommenden Samstag wieder stattfindet. Also, alles gut im bunten Berlin? Nicht ganz.

Johannes Kram, Autor und Blogger, lebt seit Jahren nahe des Nollendorfplatzes, bekannt als „Regenbogenkiez“. Er nimmt eine Stimmung wahr, die ihn beunruhigt. Immer wieder bekomme er zu hören: „Was wollt ihr eigentlich noch, ihr habt doch jetzt alles erreicht?“ Diese Einstellung ortete er sogar in liberalen Kreisen, wo man sich zwar zur Ehe für alle bekennt, diese dann aber als „Luxusproblem“ abtut. Wie wenig liberal die Gesellschaft sei, zeige sich für ihn im Alltag: Nur ein Drittel aller Schwulen und Lesben traue sich am Arbeitsplatz so selbstverständlich mit ihrer Sexualität umzugehen wie Heteros, so Kram.

Auch an Schulen sind Outings ein Problem, das höre er oft auf seinen Lesereisen. Was er sich dort aber auch anhören muss: die Behauptung, man dürfe sich heutzutage nicht mehr als Hetero-Mann deklarieren, berichtet Kram. Geschürt werde diese Sichtweise von einem Narrativ, das Politik von rechts bis links erzählt - sinngemäß: Man habe sich zu lange mit diesen Problemen aufgehalten, andere übersehen. Dass solche Sätze auch von Teilen der SPD oder Linken kommen, sieht er äußerst problematisch. „Wie kommt man darauf, dass es unter prekär Beschäftigten oder Industriearbeitern keine Homosexuellen gibt?“ Für ihn steht fest: Hier wird Neid erzeugt, Sündenböcke geschaffen.

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In einem solchen Klima sei die Hemmschwelle vor Gewalt auch niedriger. Die Berliner Polizei registrierte im Vorjahr 164 Anzeigen, berichtet Polizeioberkommissarin Anne Grießbach-Baerns. Als positiv bemerkt sie, dass sich heute mehr Menschen zur Polizei trauen und Meldung erstatten. Dennoch ist die Dunkelziffer weit höher. 384 homo- und transfeindliche Übergriffe wurden bei „Maneo“, dem schwulen Anti-Gewalt-Projekt, gemeldet. 2016 waren es noch 291. Leiter Bastian Finke appelliert: „Wir müssen uns sichtbar machen, den Ressentiments stellen.“ Doch er weiß, wie einfach sich das sagt und wie schwer es für viele Klienten ist – immer wieder abzuwägen: Kann ich mich mit meinem Freund zeigen, ist die Situation okay?

Denn, wo Homosexualität sichtbar ist, wird sie auch angegriffen, etwa in Neukölln, wo es nach Tiergarten/Mitte die meisten Attacken gibt. Einem tanzenden, singenden homosexuellen Mann wurde im Februar in einer U-Bahn-Station ins Gesicht geschlagen, einen Monat später attackierten Männer ein händchenhaltendes Paar, stachen mit dem Messer zu.

Maurus Knowles, Besitzer der Bar „Ludwig“, hat viele Gäste, die ihm von solchen Vorfällen berichten. Er will das nicht länger hinnehmen. Knowles organisierte den „Tuntenspaziergang“, um vielfältiges Leben sichtbar zu machen, ein Bündnis gegen Hass und Gewalt und dazu Info-Veranstaltungen in seiner Bar. Dass diese Mittwochabend trotz Hitze rappelvoll war, zeigt für ihn: „Es gibt enormen Redebedarf.“