Frankreichs Innenminister will "Jungfräulichkeitsbescheinigungen" bestrafen
Von Lisa Stepanek
Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin hat am vergangenen Sonntag im Interview mit Le Parisien angekündigt, sogenannte "Jungfräulichkeitsbescheinigungen" unter Strafe stellen zu wollen. "Einige Ärzte wagen es immer noch, zu bescheinigen, dass eine Frau eine Jungfrau ist, um eine religiöse Ehe zuzulassen, obwohl der Ärzterat diese Praktiken verurteilt hat", bekräftigt er.
Die französische Regierung berät am Mittwoch zu Sicherheitsfragen. Dabei sollen unter anderem Maßnahmen des angekündigten Separatismusgesetzes besprochen sowie die Prioritäten der Exekutive für die kommenden Monate festgelegt werden.
Darmanin erklärte, dass im Gesetz klar gestellt werden soll, dass kein gewählter Vertreter Maßnahmen ergreifen kann, die die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern fördert. Als Beispiel nannte er die Reservierung von Schwimmstunden für ein Geschlecht. Im Februar sagte Emmanuel Macron: "In der Republik können wir keine Jungfräulichkeitsbescheinigungen verlangen, um zu heiraten. In der Republik darf man niemals akzeptieren, dass die Gesetze der Religion den Gesetzen der Republik überlegen sein können."
Stellen Ärzte bei einer vaginalen Untersuchung fest, dass das Hymen, umgangssprachlich Jungfernhäutchen genannt, bei einer Patientin gerissen ist, gilt sie als "nicht mehr jungfräulich". Tatsächlich sind gerissene Hymen aber kein "Beweis" für Geschlechtsverkehr. Medizinisch gibt es keine Möglichkeit, festzustellen, ob jemand schon Geschlechtsverkehr hatte oder nicht. "Jungfräulichkeit" hält sich als hartnäckiger Mythos, die Eigenschaft "jungfräulich" zu sein ist laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) vielmehr ein soziales, religiöses und kulturelles Konstrukt.
Bei den "Jungfräulichkeitsbescheinigungen" handelt es sich um eine langjährige Debatte, die nicht nur in Frankreich immer wieder aufkommt. In vielen Kulturen wird heute noch vorausgesetzt, dass die Frau der "Familienehre" wegen als Jungfrau in die Ehe geht. Dass Eltern ihre Töchter zum Arzt schicken, um bestätigen zu lassen, dass das Jungfernhäutchen noch intakt ist, wird von der WHO scharf verurteilt. Schon 2014 empfahl die WHO, diese Praktiken zu verbieten, da solche Tests "wissenschaftlichen Grundlagen entbehren". Liesl Gerntholtz, Frauenrechts-Direktorin bei Human Rights Watch, deklarierte die Jungfräulichkeitstests als sinnlos. "Gesundheitsämter auf der ganzen Welt sollten den Einsatz von Jungfräulichkeitsuntersuchungen in jedem Falle beenden und allen Pflegekräften und Ärzten die diskriminierende und degradierende Praxis verbieten", fordert sie auf der Website.
Die Praxis ist auch ethisch unter Ärzten höchst umstritten. Erst 2019 hat Belgien eine ähnliche Debatte geführt. Die belgische Gynäkologin Dr. Françoise Kruyen gab am 14. Mai 2019 gegenüber The Brussels Times zu, "Jungfräulichkeitsbescheinigungen" in der Vergangenheit widerwillig ausgestellt zu haben, "aber nur wenn es scheinte, dass die Frau ohne dem Zertifikat mehr Risiken ausgesetzt ist, als mit". Die Frauenärztin Ghada Hatem sagt dem französischen Nachrichtenportal LCI, angesprochen auf die Gesetzesvorlage, dass sie diese für "nicht sinnvoll" halte. Zwei Frauen pro Monat würden sie um eine solche Bestätigung bitten, die sie ihnen ohne Untersuchung ausstellen würde, "um ihr Leben zu retten". "Ich denke, es wäre besser, die Eltern zu bestrafen, die das verlangen, als den Arzt, der versucht, seinem Patienten zu helfen", sagt sie.