Chronik/Welt

Frankreich: Irrer Vergewaltigungsprozess in Endphase

Sie bezeichnen sich als die „Amazonen von Avignon“. Mehrmals pro Woche ziehen sie in kleinen Gruppen los, um an Mauern in der südfranzösischen Stadt Collagen einiger prägnanter Sätze anzubringen, die im dort laufenden Vergewaltigungsprozess gefallen sind. „Ich habe unbeabsichtigt vergewaltigt“, heißt es etwa in dicken schwarzen Buchstaben auf weißem Hintergrund. Und daneben die Antwort: „NEIN! Eine VERGEWALTIGUNG ist eine VERGEWALTIGUNG.“

Manchmal werden auch die Vornamen der Angeklagten genannt, von denen die Aussagen stammen. Der Ausdruck „Vergewaltigung aus Neugierde“ ist von Nicolas F., der widersprüchliche Satz „Es war eine Vergewaltigung, aber ich habe nicht vergewaltigt“ von Nizar H.

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Ihr und ihren Mitstreiterinnen gehe es darum, deutlich zu machen, auf welch absurde Weise die Männer sich herauszureden versuchten, sagt Blandine Deverlanges, Gründerin der „Amazonen von Avignon“. Der feministische Zusammenschluss, der seit 2020 besteht, verfolgt den Prozess gegen 51 Angeklagte seit dessen Beginn Anfang September aktiv.

50 Männern wird vorgeworfen, die heute 71-jährige Gisèle Pelicot in ihrem eigenen Zuhause im südfranzösischen Örtchen Mazan vergewaltigt zu haben, nachdem ihr Ehemann Dominique Pelicot, der Hauptangeklagte, sie medikamentös betäubt hatte. Die Polizei fand mehr als 20.000 Fotos und Videos von den Vergewaltigungen bei ihm.

Bei ihren Plädoyers, die in dieser Woche von Montag bis Mittwoch andauern und bei denen jedem Angeklagten nur rund eine Viertelstunde Zeit gewidmet wurde, forderte die Staatsanwaltschaft hohe Strafen  – jeweils von mindestens zehn Jahren Haft, darüber hinaus 17 Jahre für einen Mann, der sich nicht an Gisèle Pelicot, aber gemeinsam mit Dominique Pelicot an seiner eigenen Ehefrau vergangen hat, sowie 20 Jahre für den Hauptangeklagten.

Martyrium zwischen 2011 und 2020

„Das ist viel und zugleich zu wenig angesichts der Schwere der begangenen und wiederholten Taten“, sagte die Staatsanwältin Laure Chabaud. Dominique Pelicot habe seine damalige Frau Gisèle zwischen 2011 und 2020 alleine oder mit anderen zusammen vergewaltigt und legte den „Willen der Unterdrückung der Person, die er am meisten liebt“, an den Tag. Auf seinem Computer gab es auch Bilder seiner beiden Schwiegertöchter und seiner Tochter Caroline nackt oder in Unterwäsche.

Doch über den speziellen Fall Pelicots hinaus stehen 50 Männer vor Gericht – einer befindet sich auf der Flucht –, die die Gelegenheit zur Vergewaltigung einer bewusstlos gemachten Frau nutzten und in den meisten Fällen versuchten, das irgendwie zu rechtfertigen, ja zu entschuldigen.

„Im Jahr 2024 kann man nicht mehr behaupten, eine Frau sei einverstanden, weil sie nichts gesagt hat“, betonte Chabaud. Bei dem Prozess gehe es darum, „die Verhältnisse zwischen Männern und Frauen fundamental zu ändern“, sagte der zweite Staatsanwalt Jean-François Mayet. So wies die Anklage das Argument der Männer zurück, sie seien in eine Falle gegangen, hätten zu wenig nachgedacht oder nicht gemerkt, dass Gisèle Pelicot tief schlafe – dabei schnarchte sie oftmals laut.

Urteile vor Weihnachten

In den nächsten Tagen bekommen die Anwälte der Verteidigung das Wort. Einer von ihnen, Louis-Alain Lemaire, sagte, er sei „sehr verwundert über die hohen Strafmaß-Forderungen“. Selbst Männer, die Gisèle Pelicot „nicht einmal penetriert hätten“, sollten zehn Jahre Haft bekommen. Er hoffe, dass das starke Medieninteresse keinen Einfluss auf die Urteile habe.

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Inzwischen hat sich auch die First Lady Brigitte Macron zu dem Prozess geäußert, von dem sie sagte, er sei „essenziell“. Sie selbst drücke allen Frauen ihre „bedingungslose Unterstützung aus“ und glaube, dass sich die Gesellschaft weiterentwickeln werde. „Aber bleiben wir wachsam und seien wir da für jene, die es brauchen.“

Der Prozess endet am 20. Dezember mit der Verkündung der Urteile.