Chronik/Welt

Eltern finden bei Flucht vor Taliban verlorenes Baby wieder

Es waren chaotische Tage, als die radikal-islamischen Taliban im August 2021 Kabul überrannten. Zigtausende Menschen drängten zum internationalen Flughafen der Stadt, um einen Platz in einer westlichen Evakuierungsmaschine zu bekommen.

Auch die Familie von Mirza Ali Ahmadi wollte ins Ausland flüchten, um Vergeltung durch die Taliban zu entgehen – hatte Ahmadi doch als Wachmann für die US-Botschaft gearbeitet.

Über den Zaun

Als das Geschiebe in der Menge lebensgefährlich wurde, entschieden sich Ahmadi und seine Frau Suraya zu einem folgenschweren Schritt, wie sie im November der Nachrichtenagentur Reuters erzählten: Sie reichten das jüngste ihrer fünf Kinder, den zwei Monate alten Sohail, über den Zaun zu einem Soldaten, von dem sie glaubten, er sei Amerikaner. Sie dachten, den nur wenige Meter entfernten Eingang des Airports binnen Minuten erreichen und ihr Kind dort in die Arme schließen zu können.

Doch dann drängten Taliban-Kämpfer die Menschen plötzlich zurück, es verging eine halbe Stunde, bis es die Familie ins Gebäude schaffte. Dort konnten die Eltern Sohail nicht mehr finden und wurden schließlich mit ihren übrigen Kindern in ein Flugzeug in die USA gesetzt.

"Ein eigener Sohn"

Fast fünf Monate gab es kein Lebenszeichen von Sohail, dessen Eltern mithilfe von Verwandten in Afghanistan und Medienberichten nach ihm suchten. Dank des Reuters-Artikels und aufmerksamer Nachbarn wurde der Bub im November bei einem Taxifahrer in Kabul gefunden.

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Der 29-jährige Hamid Safi hatte das Baby nach eigenen Angaben weinend und mit Kratzern auf der Brust auf dem Boden des Flughafens gefunden. Da er die Eltern nicht ausfindig machen konnte, nahm er Sohail mit nach Hause und beschloss, ihn wie seinen eigenen Sohn aufzuziehen.

Nachdem er und seine Frau drei Mädchen bekommen hatten, sei es der größte Wunsch seiner mittlerweile verstorbenen Mutter gewesen, dass er auch einen Sohn bekomme, sagte Safi nun zu Reuters. Auf Facebook postete er Bilder seiner Töchter und von Sohail, den die Familie Mohammed Abed nannte.

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Als Sohails Großvater aus dem Nordwesten Afghanistans den Kleinen abholen wollte, weigerte sich Safi laut BBC zunächst. Er sagte, er wolle ebenfalls mit Frau und Kindern in die USA ausreisen. Nach siebenwöchigen Verhandlungen – und einer kurzen Festnahme Safis, wie BBC schreibt – erzielten die Taliban ein Abkommen zwischen den beiden Familien.

Am vergangenen Samstag wurde Sohail seinem Großvater übergeben, die Eltern waren per Video-Chat dabei. „Sie haben gefeiert, getanzt, gesungen“, erzählte der Opa später.

Hoffen auf Wiedersehen

Die Familie hofft nun, Sohail schnell in die USA nachholen zu können. Das dortige Außenministerium arbeite bereits daran, wie Al Jazeera am Montag berichtete. Unter anderem weil es in Afghanistan keine US-Botschaft gebe, sei die Angelegenheit allerdings schwierig.

„Ich habe ständig um mein Baby geweint“, sagte Soraya Ahmadi zu Reuters. „Jetzt hoffe ich, es kommt bald sicher hier an.“