Als ein Kleindorf zum Opioid-Hotspot der USA wurde
Von Michael Hammerl
Die USA leiden unter einer gigantischen Opioidkrise. Allein 2017 gab es 70.000 Drogentote in den Vereinigten Staaten, 48.000 davon starben an Opioiden. Im Zentrum der Krise steht die Milliardärsfamilie Sackler, die über den Pharmakonzern Purdue Pharma das Schmerzmittel OxyContin vertrieb.
Das Schmerzmittel hat die Sacklers zu einer der reichsten US-Familien gemacht – und gleichzeitig tausende Menschen opioidabhängig. Bereits 2007 gab Purdue Pharma zu, den hohen Suchtfaktor des Medikaments verschwiegen und Studien gefälscht zu haben. Kunden stiegen auf Drogen mit ähnlicher Wirkung um – wie etwa Heroin.
Fakt ist: Die Sacklers, gegen die US-weit mehrere Entschädigungsverfahren laufen, sind nicht alleinverantwortlich für die Opioidkrise. Im US-Bundesstaat Ohio haben laut Washington Post und Spiegel etwa 2000 Kommunen, Bezirke und Indianerstämme eine Sammelklage gegen dutzende Pharma-Firmen eingereicht.
Kleine Filiale als Opioid-Hotspot
Der Vorwurf: Die Firmen haben Medikamente fahrlässig in Umlauf gebracht, ohne ausreichend über die hohe Suchtgefahr zu informieren. Im Zuge der Sammelklage hat die US-Drogenbehörde DEA nun Daten veröffentlicht, die von der Washington Post in einer aufwendigen Recherche aufbereitet wurden.
Zwischen 2006 und 2012 fanden demnach US-weit 380 Transaktionen von opioidhaltigen Schmerzmitteln statt. Produzenten lieferten 76 Milliarden Tabletten aus. 2006 waren es 8,4 Milliarden Pillen pro Jahr, 2012 12,6 Milliarden.
Das traurige Zentrum der Krise war der Strosnider Drug Store. Er brachte zwischen 2006 und 2012 13,2 Millionen Süchtigmacher unters Volk. Kurios: Die kleine Filiale liegt im 400-Seelen-Dorf Kermit. Von dort aus gelangten im angegebenen Zeitraum 40 Millionen Tabletten in die Umgebung. Ein Drittel der Medikamente des Bezirks Mingo (26.839 Einwohner) stammen aus diesem einen Shop.
Opioid-Hotspots in den USA; Grafik: Washington Post
Eben dort, zwischen Kentucky und West Virgina, hat das DEA das Epizentrum der Drogenkrise identifiziert. Die Gegend ist schwach bevölkert, wirtschaftlich marode. Die Washington Post schrieb von einem „Opioidgürtel“. Von den 100.000 Opioid-Toten - zwischen 2006 und 2012 - kommen die prozentuell meisten aus dieser Gegend.
Die großen Profiteure
Der Strosnider Drug Store hat mittlerweile den Besitzer gewechselt, heißt heute „Medicine Cabinet Pharmacy“. Der Vorbesitzer ging Pleite, nachdem er zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe und der Zahlung von einer halben Million Dollar verurteilt worden war.
Der Produzent Purdue Pharma mag im Opioid-Skandal medial die höchste Präsenz "genießen". Der größte Produzent und damit auch Hauptprofiteur war im untersuchten Zeitraum aber das Pharmaunternehmen SpecGx – mit einem Marktanteil von beinahe 38 Produzent.
Geleakte Emails eines Managers aus dem SpecGx-Umfeld könnten belegen, dass das Unternehmen Menschen bewusst süchtig machte. „Liefern, liefern, liefern“, feuerte der Manager im Mai 2008 die Vertriebsleitung an, während die Epidemie längst bekannt war. Er verglich die Tabletten außerdem mit Tortillachips. Man könne einfach nicht aufhören, sie zu essen.
Offen ist, ob es bezüglich der Klagen in Ohio zu einem Vergleich kommen könnte. Die Konzerne schieben Ärzten und Apothekern die Schuld in die Schuhe. Die Kläger werfen Produzenten und Vertriebsfirmen „Profitgier“ vor.