Freispruch: "Badewannen-Mörder" war 13 Jahre unschuldig im Gefängnis
Der Prozess in München um den sogenannten "Badewannen-Mord" endete am Freitag mit einem Freispruch, für den unschuldig verurteilten Manfred Genditzki. 13 Jahre, 23 Wochen und sechs Tage lang saß der ehemalige Hausmeister im Gefängnis für ein Verbrechen, das es nie gegeben hat.
"Jetzt ist es soweit. Sie haben den Tenor gehört, auf den Sie fast 14 Jahre lang gewartet haben", sagte die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl, berichtet der Spiegel. Die Staatskasse werde ihn nun, für die zu Unrecht verhängt Strafe entschädigen. Ehrl steht der gleichen Strafkammer vor, die das Verfahren gegen Genditzki zunächst gar nicht wieder aufnehmen wollte.
Zweifel an Verbrechen, Unschuld wahrscheinlich
Der Freispruch wurde sowohl von der Verteidigung als auch von der Staatsanwaltschaft gefordert, nachdem es Zweifel gab, dass es überhaupt ein Verbrechen gab oder das Opfer durch einen Unfall starb - ganz ohne Beteiligung von Genditzki. Die Gutachter im heutigen Prozess halten einen Unfall des Opfers für möglich oder sogar wahrscheinlich.
Dem inzwischen 63-Jährigen wurde vorgeworfen, eine Seniorin in der Badewanne getötet zu haben, in der Wohnanlage, in der er als Hausmeister gearbeitet hatte. 2010 wurde der Hausmeister am Landesgericht München II zu lebenslanger Haft verurteilt.
Genditzki kämpfte jahrelang um eine Wiederaufnahme. Am Montag konnte er sich endlich vor Gericht äußern.
Es ist Montag, der 3. Juli 2023. Manfred Genditzki sitzt am Landgericht München I. Gerade hat die Staatsanwaltschaft im Wiederaufnahmeverfahren um den sogenannten "Badewannen-Mord" von Rottach-Egern Freispruch für Genditzki gefordert. Möglicherweise hat es diesen Mord nie gegeben.
Nur drei Dinge will er noch loswerden. Punkt eins: "Ich habe hier das erste Mal erfahren, dass sich die Kammer mal für die Wahrheit interessiert“. Punkt zwei: Er dankt seiner Familie, seiner Frau, seinen Unterstützern und seinen Anwälten. Und Punkt drei - nach einem Räuspern: "Ich möchte noch sagen, ich bin unschuldig. Das war's."
Vorwurf Mord
2010 war das Landgericht München II der Ansicht, dass Genditzki im Oktober 2008 eine 87 Jahre alte Frau nach einem Streit niedergeschlagen und in deren Badewanne ertränkt hatte.
➤ Mehr Artikel aus der Weltchronik lesen Sie hier
Eine Pflegerin hatte die 87-jährige Lieselotte Kortüm tot und vollständig bekleidet in einer mit Wasser gefüllten Badewanne aufgefunden. Genditzki war Hausmeister in der Wohnanlage im oberbayrischen Rottach-Egern, in der die Dame gelebt hatte. Er hatte der 87-Jährigen Gesellschaft geleistet, Erledigungen für sie gemacht und sie im Alltag unterstützt.
Warum gibt es einen neuerlichen Prozess?
Mitte August letzten Jahres war Genditzki nach 4.912 Tagen aus der Haft entlassen worden, weil es erhebliche Zweifel daran gibt, dass er den Mord, für den er vor mehr als 13 Jahren verurteilt wurde, tatsächlich begangen hat. Die Wiederaufnahme des Verfahrens wurde angeordnet. Seit Ende Mai steht Genditzki zum dritten Mal vor dem Richter. Diesmal lautet die entscheidende Frage: Hat überhaupt eine Tat stattgefunden?
Zweifelsfrei mit Ja sei diese Frage nicht zu beantworten, so Staatsanwalt Michael Schönauer. Neue Gutachten, die mittels moderner Verfahren erstellt wurden, legen nahe, dass es sich womöglich eher um einen Unfall der alten Frau gehandelt haben könnte.
Gutachten entlasten den doppelt Verurteilten
Laut einem biomechanischen Gutachten sei etwa möglich, dass die Seniorin schlicht in die Wanne stürzte, sich den Kopf anschlug und ertrank. Laut einem thermodynamischen Gutachten, das die Wassertemperatur in der Badewanne zum Zeitpunkt der Leichenauffindung berechnete, starb die alte Frau mit sehr großer Wahrscheinlichkeit deutlich nach dem von der Staatsanwaltschaft angenommenen Tatzeitraum.
Das Gutachten ergab, dass der Todeszeitpunkt von Frau Kortüm nach 16.30 Uhr lag - als Manfred Genditzki ihre Wohnung längst verlassen hatte und in einem Supermarkt war.
Ein Münchner Rechtsmediziner hatte bereits 2008 bei Frau Kortüm einen Tod durch Ertrinken festgestellt, vermutlich nach einem Sturz in die Badewanne. Wenige Wochen später änderte er jedoch seine Meinung und kam zu dem Ergebnis, dass ein Sturz nicht mit den Blutergüssen am Kopf und der Position der Leiche vereinbar sei. Eine Kriminalkommissarin hatte den Rechtsmediziner nochmal zum Tatort bestellt. Für sie war Manfred Genditzki der einzige Tatverdächtige. Die beiden Verurteilungen Genditzkis stützten sich auf die Ermittlungen der Polizistin und die Einschätzungen des Rechtsmediziners.
Die Vorwürfe seien "einfach Unfug"
Genditzkis Verteidiger kritisieren die Ermittlungsbehörden von damals scharf. Die Anklage sei nicht nur bösartig gewesen, "sondern auch schlampig". Strafverteidigerin Regina Rick glaube nicht daran, dass Indizien, die ihren Mandanten entlasteten, zufällig nicht in den Akten auftauchten. Behauptungen in der Anklage seien nicht von Beweisen unterfüttert. Als Motiv wurde etwa ein Streit angenommen. Dieser "war immer und ist eine Erfindung der Justiz“, betont Rick.
Das damalige Urteil war nach zwei Revisionen rechtskräftig geworden. Nach jahrelangem Kampf wurde der Fall schließlich neu aufgerollt.
Genditzki hat die Vorwürfe stets bestritten. Der Tag seiner Verhaftung sei für ihn der "Tag seiner persönlichen Zeitenwende" gewesen, sagt sein Anwalt Klaus Wittmann in seinem Schlussplädoyer und fordert Freispruch wegen erwiesener Unschuld.
➤ Mehr lesen: Fragmente der 1938 zerstörten Münchner Hauptsynagoge entdeckt
Was passiert nun?
Auch laut Staatsanwalt Michael Schönauer sei der Angeklagte aufgrund der Sachlage "freizusprechen, da er einer Tat nicht überführt werden kann". Die Staatskasse sei verpflichtet, Genditzki dafür zu entschädigen. Dem hat auch die vorsitzende Richterin Ehrl zugestimmt, die ihn schließlich freigesprochen hat.
Er könnte mindestens 75 Euro pro Tag Haftentschädigung bekommen und zusätzlich Vermögensschäden geltend machen. Auch für die Privatinsolvenz, in die er aufgrund beider vergangener Prozesse schlitterte, könnte er entschädigt werden.