Freispruch vor fast 50 Jahren, aber: "Man stempelt mich zum Mörder"
Walter Nickl ist ein bedächtiger Mann. Er schaut in seine Unterlagen, ehe er spricht. Davon hat er viele. "Ich habe den ganzen Akt daheim, alle Zeitungsberichte", schildert der Steirer. Zeitungsberichte über ihn selbst und ein Mordopfer: Vor fast 50 Jahren wurde der heute 67-Jährige in einem Indizienprozess wegen Mordes angeklagt und nach sechstägiger Verhandlung freigesprochen.
"Aber er hat mit dem Stigma leben müssen, ein Mörder zu sein, dem man es eben einfach nicht beweisen konnte", wirft sein Rechtsanwalt Gerald Ruhri ein. "Nach fast 50 Jahren hat er die Chance, auch seine Unschuld zu beweisen."
Dezember 1975, Knittelfeld in der Obersteiermark. Briefträger Johann Fritz macht sich auf zu seiner übliche Runde, Geld austragen. Der 57-Jährige kommt aber nicht mehr heim zu seiner Familie: Zwölf Mal wird auf ihn eingeschlagen, Fritz erliegt den schweren Verletzungen im Spital. Der Täter entkommt mit rund 80.000 Schilling, das entspricht heute etwa 23.000 Euro, bereinigt um die Inflation.
Die Sache mit dem Blut auf der Hose
Oktober 1976, Straflandesgericht Leoben. Walter Nickl, damals knapp 18 Jahre alt, ist wegen Mordes an Fritz angeklagt. Auf einer seiner Jeans soll Blut gefunden worden sein - und die Blutgruppe habe mit jener des Opfers übereingestimmt. Zudem konnte in der Schule niemand bestätigen, dass sich Nickl zum Tatzeitpunkt tatsächlich im Gymnasium befunden hatte.
Das reichte der Justiz für eine Mordanklage. Die Geschworenen sprachen ihn frei.
Danach habe er "fast" ein normales Leben führen können, erinnert sich Nickl heute. Und betont dabei das "fast". Er blieb in Knittelfeld, baute ein Haus, heiratete, gründete eine Familie.
"Da ist die Frau des Mörders"
Doch 2002 poppte der Fall Fritz durch eine TV-Sendung wieder auf. "Die Zeitungen haben mich zerrissen, die haben mich offiziell zum Mörder gestempelt", schildert der Pensionist. Hinter seiner Frau im Supermarkt sei getuschelt worden: "Das ist sie, die Frau des Mörders."
Seit 2023 gilt der Fall als "cold case", die Behörden ermitteln wieder. Denn der Täter wurde nie gefunden. Hoffnung gibt eine DNA-Spur, die auf einem Taschentuch am Tatort gefunden wurde. Die Berichte darüber brachten nun aber auch Nickl selbst auf eine Spur: Plötzlich hieß es gegenüber Journalisten nämlich, dass kein Blut mehr auf den Jeans nachweisbar wäre, die in der Asservatenkammer als Beweismittel aufbewahrt wurden.
Allerdings war diese Hose und die Blutflecke darauf Angelpunkt der Anklage. Anwalt Ruhri ließ ein gerichtsmedizinisches Privatgutachten erstellen, um zu erfahren: Kann Blut nach einer gewissen Zeit einfach verschwinden oder ausgewaschen werden?
Die Antwort der Gerichtsmediziner fiel eindeutig aus: Nein, kann es nicht. Wäre also 1975 Blut auf Nickls Hose gewesen, es hätte auch 2024 nachgewiesen werden müssen.
Ein falsches Gutachten?
"Für uns stellt sich also die Kernfrage: Kann man daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass auch damals gar kein Blut da war?", fragt Ruhri. Dann wäre das Gutachten, auf dem die Anklage fußte, falsch gewesen. "Das Gutachten von damals hat meinem Mandanten das Leben verhaut", betont Ruhri.
Walter Nickl hat ein Buch über seinen Fall und damit quasi sein Leben geschrieben, "Rufmord". "Ich möchte den letzten Schleier des Verdachts wegwischen", begründet er. "Es wird sich wohl keiner denken, dass ich mir das antue, wenn ich nicht wirklich unschuldig wäre."
Von den Behörden wünscht er sich - zusätzlich zur aktiven Suche nach dem "wahren Mörder" - ein Zugeständnis, dass das damalige Gerichtsgutachten nicht korrekt war, auf dem die Anklage fußte. "Der Täter hat nicht nur ein Opfer auf dem Gewissen, er hat auch mich auf dem Gewissen", bedauert Nickl.