Chronik/Salzburg

Schlau, sozial und gesprächig: Schweine können mehr als Schnitzel

Wenn Marianne Wondrak von ihren 34 Kunekune erzählt, stellt sich eine Schulklasse auf: Da gibt es die Streber, die extrem schnell lernen, und die gefleckten Faulpelze, die sich kaum zur Mitarbeit motivieren lassen. Freche Rüsseltiere, die ständig stören und alles kaputt machen, sind genauso darunter wie Fleißige, die trotz aller Mühe nichts auf die Reihe kriegen.

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Auch paarhufige Mitläufer, die mit allen befreundet sein wollen, und borstige Außenseiter fehlen nicht. Seit knapp zehn Jahren tüftelt die Leiterin des Clever Pig Lab am Gut Aiderbichl in Salzburg an Aufgaben für ihre Schüler, um mehr über das Sozialverhalten von Schweinen herauszufinden; eine wissenschaftliche Pionierleistung, denn fast nirgendwo sonst gibt es eine derart glückliche Klasse, die von Geburt an im Familienverband auf weitläufigen Wiesen lebt.

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„Als ich zu forschen begonnen habe, ging es vor allem um die körperliche Gesundheit der Nutztiere“, erinnert sich die Tierärztin und Agrarwissenschaftlerin an die 2010er-Jahre. Über die Psyche der domestizierten Wildschweine war wenig bekannt.

Das hat sich mittlerweile geändert. Heute werden die Säuger nicht mehr nur als Fleischlieferanten gesehen, sondern – wie Primaten oder Raben – als Spezies, die kognitiv und sozial zu Höchstleistungen fähig ist.

Von wegen dumme Sau

Sus (lateinisch für Schwein) ist viel mehr als Schnitzel oder Leberkäse. „Je mehr wir über Schweine wissen, desto weiter geht die Schere auf zwischen dem, was diese Tiere zu fühlen und denken in der Lage sind, und dem, was sie in der industrialisierten Landwirtschaft geboten bekommen“, sagt die Verhaltensforscherin und verweist auf eine laufende Studie.

Mit ihr zeigt Wondrak gerade, dass ihre Rüsseltiere nicht nur von Artgenossen lernen, sondern auch von Menschen – obwohl sie die Türe der Futterbox ohne Hände entriegeln und aufschieben müssen. Frühere Versuche am Messerli Forschungsinstitut in Wien überraschten, weil sich Ferkel Tricks von Müttern und Tanten nicht nur abschauten, sondern auch im Langzeitgedächtnis speicherten. Von wegen dumme Sau.

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Immer wieder beweisen die tierischen Probanden soziale Schlauheit. Mitte 2023 z.B. kamen Wissenschaftler unter Beteiligung der Vetmeduni Wien zu dem Schluss, dass Hausschweine sehr hilfsbereit sind. Sie sperrten jeweils einen Paarhufer in eine Kammer ohne Fluchtmöglichkeit. Auf der anderen Seite konnten Stallgenossen den Gefangenen durch Aufdrücken einer Klinke befreien. Von den 75 Versuchskaninchen waren 64 in kürzester Zeit wieder mit der Herde vereint; gestresstes Quieken trieb die Türöffner an.

Echte Schweine: Zur Familie der Echten oder Altweltlichen Schweine zählen knapp zwanzig Arten. Der einzige in Europa lebende Vertreter ist das Wildschwein, von dem das Hausschwein abstammt. Kunekune ist eine neuseeländische Naturrasse

Nutztier: Die Domestikation der Schweine fand in der Jungsteinzeit statt. Die Säugetiere kamen mit Bauern aus dem Osten nach Europa. Durch die Paarung mit ansässigen Wildschweinen wurde der asiatische Genpool fast zur Gänze zurückgedrängt

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Apropos Quieken und Grunzen: 2022 entwickelten dänische Forscherinnen eine Software, die Oink-Laute in Gefühle übersetzt. Dafür analysierten sie akustische Merkmale von mehr als 7.000 Geräuschaufnahmen von 411 Schweinen. Mittels Algorithmus ließ sich schließlich feststellen, ob das Borstenvieh „glücklich“, „begeistert“, „verängstigt“, „gestresst“ o.a. war.

Das System ordnetet zuletzt 92 Prozent der Laute den richtigen Emotionen zu; das menschliche Ohr kann die Nuancen nicht unterscheiden. Das Sprachverständnis von Schweinchen Schlau wiederum entdeckten deutsche Forscher bereits vor rund zehn Jahren. Ihre Stallbewohner lernten problemlos, auf Namen zu hören und Kommandos wie „Sitz“ und „Komm“ zu befolgen.

So verhalten sich Schweine im Vergleich zu Hunden

Tatsächlich gibt es mehrere experimentelle Vergleiche zur Intelligenz von Hunden und Schweinen. 2020 ließen Forscher der Universität Budapest die Haustiere gegen die Nutztiere antreten. Dabei hielten die sieben Monate alte Minischweine länger durch, um an Futter zu gelangen, sie gingen selbstständiger vor als die gleichaltrigen Hunde und waren schneller erfolgreich. Scheiterten sie, wandten sie sich ebenfalls Hilfe suchend an den Menschen – wenn auch kürzer als die domestizierten Wölfe.

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Den Spiegeltest, der gemeinhin die Selbstwahrnehmung und das Ichbewusstsein bei Tieren be- bzw. widerlegt, bestanden Schweine nicht. Für Marianne Wondrak steht trotzdem fest: „Schweine sind definitiv unterschätzt. Sie pflegen Freundschaften, kommunizieren über weite Entfernung, spielen, verändern ihre Umgebung und lernen voneinander.“ Die Kunekune-Expertin wünscht sich zumindest einen wertschätzenden Fleischkonsum. Und dass die geselligen Intelligenzbestien aus der Anonymität der Masse herausgeholt werden. Ein Musterschüler ist schließlich kein Dummkopf.