Zeitzeugen der einzigen NS-Entbindungsklinik in Österreich gesucht
1.300 Kinder wurden im Lebensborn-Heim Wienerwald von 1938 bis 1945 geboren – schätzt man zumindest. Was genau dort passiert ist, und wie der Alltag in der NS-Geburtenklinik in Feichtenbach (Bezirk Wiener Neustadt) tatsächlich ausgesehen hat, weiß man nämlich momentan nicht. Die größte sogenannte Lebensborn-Klinik und der einzige Standort einer solchen Einrichtung in Österreich stellt bisher eine Forschungslücke dar.
Ziel einer solchen Einrichtung war die Förderungen eines nach NS-Rassenpolitik „erbgesunden“ Nachwuchses – unter Geheimhaltung. Experimente habe es laut Lukas Schretter aus dem Forschungsteam in diesen Einrichtungen keine gegeben. Man wollte vor allem sicherstellen, dass als „arisch“ geltende Kinder gut versorgt waren. Zahlreiche uneheliche Kinder kamen dort zur Welt.
Das Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung greift das Thema jetzt auf. Dafür werden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gesucht, die über die Geschichte des Heimes berichten können. Über die Mütter und auch die Kinder, die dort zur Welt kamen, ist nämlich bis heute wenig bekannt.
Tabuthema
Im Fokus des Forschungsteams stehen die Sozialstruktur und die Biografien der Mütter, die in der Klinik behandelt wurden. Auch die dort geborenen Kinder und deren Lebensläufe will man untersuchen. Auch jene Kinder, die heute bereits über 70 sind, werden gesucht und zu Gesprächen gebeten – sollten sie ihre Lebensgeschichte teilen wollen.
Denn genau das sei laut Schretter auch noch ein wunder Punkt. Den Grund, weshalb bis heute nicht umfassend zu dem Heim geforscht wurde, sieht er auch in einer gesellschaftlichen Verpöntheit. „Selbst in vielen betroffenen Familien war das Thema ein Tabu. Betroffene Menschen erzählten, sie seien in einem Netzwerk aus Lügen aufgewachsen und ihre Herkunft ihnen ein Rätsel gewesen. Erst nach Jahrzehnten fanden einige dann die Wahrheit heraus“, schildert Schretter die Schwierigkeiten.
Geschichte
Die Klinik im Wienerwald hat eine wechselhafte Geschichte hinter sich. Das Gebäude wurde 1904 als Lungenheilanstalt von zwei jüdischen Ärzten eröffnet. Durchaus mit einem gewissen Bekanntheitsgrad, Franz Kafka zum Beispiel wurde wenige Monate vor seinem Tod dort behandelt. 1938 wurden die beiden Ärzte enteignet und das Gebäude zur Lebensborn-Klinik.
Nach Kriegsende wurde es zu einem Kindererholungsheim, dann zu einem Heim des Gewerkschaftsbundes, zu einem Reha-Zentrum der Krankenkasse und schließlich zu einem Hotel. Seit einigen Jahren ist das Gebäude nun in Privatbesitz und steht leer. Mit Vandalismus und unerwünschten Besuchern hat man dort trotz Lebensgefahr – es gibt offene Liftschachte, eingestürzte Treppen und etliche andere Gefahrenquellen– oft zu kämpfen.