Chronik/Österreich

Wolken überm Urlaubsidyll

Blutige Proteste in Kiew, Pistengaudi in Zell am See. Ein drohender Krieg im Osten, Traumwetter und gute Stimmung im Pinzgau. Wer es sich leisten konnte, hat den von politischen Umbrüchen geprägten Winter in dem noblen Skiort verbracht. Wie viel Geld der stärkste "Russen-Monat" Jänner dem heimischen Tourismus heuer eingebracht hat, steht noch nicht fest. Die Alpenrepublik ist in den vergangenen Jahren jedenfalls immer attraktiver geworden.

Von 2012 auf 2013 gab es einen Zuwachs an Nächtigungen von 12 Prozent. In Zahlen sind das für die Wintersaison 1,4 Millionen Nächtigungen, im Sommer – trotz Hochwassers – 570.000. Was, wenn sich die Fronten zwischen der Russischen Föderation und der Europäischen Union verhärten? Bleiben die Russen dann weg?

Aksana Mattlat, eine Weißrussin, die in Zell am See als Reiseleiterin arbeitet, kennt ihr Klientel: "Bei den Ukrainern spürt man die Sorge ganz stark. Viele, die hier Skiurlaub gemacht haben, wussten nicht, was sie zu Hause erwartet." Die Buchungslage für den Sommer schaue im Vergleich zum Vorjahr mager aus. Ungebrochen sei die Reiselust zumindest "noch" bei den Russen. "Sie lieben es, weil Österreich ein absolut sicheres Land ist. Damit meinen sie aber mehr, dass man ihnen ihr Geldtascherl zurückgibt, wenn sie es im Skilift verloren haben", sagt die 44-Jährige lachend.

Österreich sei für die Russen ein "romantisches Paradies", ein Idyll zwischen Bergen und Seen, mit gutem Essen und netten Menschen. Sie selbst möchte hier ihren Lebensabend verbringen.

"Der Russe ist ein guter Gast, ein spendierfreudiger und treuer", sagt Leo Bauernberger, Salzburger Land Tourismuschef. Der Anteil gegenüber den deutschen und österreichischen Gästen sei zwar gering, dafür ließen Russen drei bis vier Mal so viel Geld da, erklärt er.

Doch auch er erkennt Wolken am Horizont: "Krisen sind immer dämpfend für den Tourismus. Dazu kommt, dass der Rubel als Währung schwächer wird und damit der Urlaub teurer." Wie sich die politischen Konflikte auf die nächste Wintersaison auswirken, ließe sich noch nicht abschätzen.

Wo der Rubel rollt

Heute, Sonntag, gibt es auf der Krim eine umstrittene Abstimmung über den Anschluss an Russland. Mit Spannung verfolgt Reinhold Hauk, Geschäftsführer der Sparte Tourismus der Salzburger Wirtschaftskammer, die Weltnachrichten.

"Wir haben Sorge, dass sich die EU zu Sanktionen entschließt, die uns schaden könnten", sagt er. Ein heißes Eisen sei die Vergabe von Visa. Derzeit bräuchten russische Urlauber eine Art "Einladung" eines österreichischen Reisebüros. Das werde bei der Urlaubsbuchung über Visa-Agenturen in Russland abgewickelt und sei relativ unkompliziert, erklärt Hauk.

"Wenn für die Einreise in den Schengenraum Restriktionen gesetzt werden, schreckt das die Urlauber natürlich ab. Dann fahren sie woanders hin, lassen woanders ihr Geld", erklärt er.

Der Rubel dürfte in Zell am See zum Leidwesen der einheimischen Hoteliers aber nicht nur bei ihnen rollen, sondern auch bei den Immobilienbüros. "Es gibt offiziell keine Zweitwohnsitze, aber wir wissen, dass viele in Ferienwohnungen und sogenannte Hotelappartements investiert haben", sagt der frisch gewählte Bürgermeister Peter Padourek. Festzustellen, wie viele, sei die Mammutaufgabe für seine Amtsperiode. "Vieles davon dürfte schwarz vermietet werden. Da schaut die Gemeinde durch die Finger."

Derzeit gehöre ein Hotel im Zentrum einer russischen Familie, die auch in Zell lebt. Zwei weitere Projekte, in denen russisches, holländisches und englisches Geld steckt, sind in der Entstehung: Das "Hotel Bellevue" und das "Alpin See Resort".

Gespannt verfolgen Wiens Touristiker die EU-Außenpolitik. Denn sollten Sanktionen gegen Russland beschlossen werden, so rechnen Brancheninsider mit veritablen Problemen.

Ein Blick auf die Statistik zeigt, warum: Russland gehört zu den Hauptmärkten für den Wien-Tourismus. Allein 2013 wurden 271.458 Ankünfte (ein Plus von 10,5 Prozent gegenüber 2012) und 708.646 Nächtigungen (+11,7%) gezählt. Im Schnitt bleiben die russischen Gäste 2,61 Tage in Wien.

Und sie sind nach wie vor die Shopping-Nation Nummer eins. Bundesweit geben sie weit mehr als 100 Millionen Euro im Jahr aus. Wobei zwei Drittel der Einkäufe auf Wien entfallen.

Superreiche sind zwar gern gesehen, aber nicht die Hauptklientel in Wien. "Es kommen ja nicht 270.000 Oligarchen", sagt Wien-Tourismus-Direktor Norbert Kettner. "Wir reden hier vom neu entwickelten Mittelstand." Sollten diese Gäste infolge von Sanktionen – etwa Visa-Einschränkungen – ausbleiben, werde vor allem die Wiener Innenstadt die Folgen spüren. "Insbesondere der gehobene Einzelhandel und die Hotellerie."

In dieselbe Kerbe schlägt Erwin Pellet, Obmann der Sparte Handel in der Wirtschaftskammer (WK): "Juweliere am Graben oder auf der Tuchlauben, das Goldene Quartier oder internationale Marken in der Innenstadt würden Einbrüche spüren."

Um "ein Horrorszenario für Wien" abzuwenden, wandte sich ein anderer WK-Funktionär nun ans Außenministerium. "Ich habe Minister Kurz die Bedenken aus der Tourismus-Branche mitgeteilt und ihn gebeten, mäßigend auf die EU-Außenpolitik einzuwirken", berichtet Hotellerie-Obmann Josef Bitzinger. "Denn wenn die Russen sich in der EU nicht willkommen fühlen, fliegen sie eben woanders hin."

Ursula Stenzel, Bezirkschefin der Inneren Stadt, vertraut darauf, dass Wien im freien Wettbewerb Tourismusmagnet und Investment-Hotspot bleibt. Als EU dürfe man sich aber "nicht in Abhängigkeit von irgendjemandem begeben".