Auch Ärzte werden aus ihren Fehlern klug
Von Josef Gebhard
Zum Glück ging die Sache gerade noch glimpflich aus: Wegen eines Notfalls musste ein Neugeborenes mit dem Rettungswagen in eine Kinderklinik gebracht werden. Während der Fahrt will der begleitende Arzt dem Kind eine Spritze mit Natriumchlorid (Kochsalzlösung) verabreichen, greift in seine Kitteltasche, erwischt in der Hektik aber irrtümlich eine ebenfalls vorbereitete Spritze mit Adrenalin. Trotz der falschen Injektion überlebt das Kind.
„Normalerweise stecke ich Spritzen mit Medikamenten in eine andere Kitteltasche als Spritzen für Volumenboli. Dieses Mal nicht. Warum? Ich weiß es nicht.“ Das schreibt der betroffene Arzt selbst auf CIRSmedical. Die Abkürzung steht für „Critical Incident Reporting System“ – ein Online-Informationssystem, in das Ärzte, andere Angehörige des Gesundheitswesens, aber auch Patienten medizinische Fehler anonym melden können.
Kollegen können sich die Einträge ansehen und so aus den Fehlern lernen. Dank Kommentarfunktion können die Benutzer auch diskutieren, wie Pannen verhindert werden können. Ein strenges Prüfsystem sorgt dafür, dass irrelevante Inhalte ausgeschieden werden.
Vor genau zehn Jahren wurde das System auf Initiative der Ärztekammer eingerichtet. Neben einzelnen Usern nutzen derzeit 22 Organisationen die Möglichkeit, CIRSmedical als interne Meldegruppe einzurichten. Darunter Spitäler oder das Rote Kreuz.
Seit 2009 wurden 649 Fehlerberichte veröffentlicht, der Großteil davon stammt aus dem Spitalsbereich (siehe Grafik). Allein im Vorjahr verzeichnete die Plattform knapp 107.000 Zugriffe.
Keine Sanktionen
„Ein echter Lerneffekt ist aber nur gegeben, wenn ohne Beschönigung und Einschränkung berichtet wird, wie es zu dem Fehler gekommen ist. Das setzt voraus, dass die Berichtenden anonym bleiben und keine Angst vor Sanktionen haben müssen“, sagt Artur Wechselberger, in der Ärztekammer für Qualitätssicherung zuständig.
Fehler sehr häufig
Medizinische Fehler sind sehr häufig: Vier bis 17 Prozent aller Patienten erfahren ein unerwünschtes Ereignis während ihrer Behandlung, schildert Brigitte Ettl, Leiterin des Landsteiner-Instituts für Klinisches Risikomanagement. Davon seien 44 bis 50 Prozent vermeidbar. EU-weit würde dadurch ein Schaden von 21 Milliarden Euro pro Jahr entstehen (Stand: 2014).
Eine differenzierte Bilanz zu CIRS zieht Gerald Bachinger, Sprecher der ARGE der Patientenanwälte: „Die österreichweite Version von CIRS ist zwar interessant, weil man sieht, welche Fehler passieren.“ Ihre Wirksamkeit hinsichtlich konkreter Maßnahmen zur Fehlervermeidung sei aber fraglich.
Dafür sei es nötig, dass CIRS-Systeme in den einzelnen Organisationseinheiten eingerichtet werden und Fehler direkt an die Stellen gemeldet werden, die Schritte zu ihrer Vermeidung setzen könnten. Vorbildlich sei dabei etwa die AUVA, sagt Bachinger. „Dort hat sich inzwischen eine derart gute Fehlerkultur und Vertrauensbasis entwickelt, dass 70 bis 80 Prozent der Meldungen nicht anonym erfolgen.“