Chronik/Österreich

Wer im Spital wie viel verdienen soll

Gabriele Niederpold hat schon wesentlich angenehmere Zeiten in ihrem Job erlebt. Seit 1980 ist sie Krankenschwester im Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV); derzeit arbeitet sie auf der Thorax-Chirurgie im Otto-Wagner-Spital. "Früher hatten die meisten Spitalspatienten nur eine einzelne Erkrankung, heute haben wir es mit deutlich mehr multimorbiden Patienten zu tun, die eine sehr intensive Betreuung brauchen", sagt die diplomierte Pflegerin. "Ob Ultraschall oder MRT – auch die Untersuchungsmethoden sind komplexer geworden. Und auch sie müssen letztlich von der Pflege organisiert werden."

Blutabnahmen

Zuletzt müssen Krankenschwestern vermehrt bisher ärztliche Tätigkeiten übernehmen. "Allein Blutabnahmen und Infusionen können täglich mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Für die eigentliche Pflege bleibt dann nur noch wenig Zeit", schildert der diplomierte Pfleger Oliver Rumler die Situation an seinem Arbeitsplatz, dem Wiener AKH. Wie seine Kollegin ist er Personalvertreter.

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Häufig müssten die Pfleger auch berufsfremde Arbeiten wie die Entsorgung von Essgeschirr übernehmen. Mehr Gehalt oder Personal gibt es aber dennoch nicht. Im Gegenteil: "Statt früher 48 Stunden dürfen neu eingestellte Kollegen nur mehr 40 Stunden pro Woche arbeiten, ohne dass es mehr Mitarbeiter gibt", klagt Niederpold. Entsprechend groß sei der Frust mittlerweile.

"Es gärt gewaltig", sagte zuletzt auch ÖGB-Präsident Erich Foglar (FSG) im KURIER. Er befürchtet, dass sich angesichts der Arbeitszeit-Verkürzung und den Gehaltserhöhungen für Spitalsärzte die Situation noch verschärfen könnte. Die Länder könnten auf die Idee kommen, die Mehrausgaben beim Pflegepersonal einzusparen. "Ich würde mir wünschen, dass man sich des Pflegepersonals in gleichem Ausmaß annimmt wie der Ärzte."

Verteilungskampf

Hat Foglar damit den Verteilungskampf zwischen Ärzten und Pflegepersonal eröffnet? Kurt Obermülner (FCG) von der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten sieht Foglars Aussagen zwiespältig. Zwar pocht auch er vehement auf mehr Gehalt und Personal im Pflegebereich, "doch die Verknüpfung mit den Ärzte-Gehältern ist nicht zulässig", warnt er vor einer Neiddebatte innerhalb des Gesundheitssystems.

Diese versucht man auch auf der Gegenseite zu unterbinden: "Wir müssen allen Berufsgruppen im Spital gute Arbeitsbedingungen bieten und sowohl die Angehörigen des Pflegeberufs als auch die Ärzteschaft entsprechend ihren Ausbildungen adäquat einsetzen", betont Wiens Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres.

Wesentlich schärfer reagiert allerdings die Basis der Ärzteschaft auf Foglars Aussagen. Ein "gefährliches Spiel der Endsolidarisierung" wirft Alois Weinberger, Arzt in der Rudolfstiftung, dem ÖGB-Chef in einem offenen Brief vor. Über Jahre hätten sich die Ärzte selbst ausgebeutet, indem sie oft mehr als 72 Stunden in der Woche gearbeitet haben, jetzt unterstelle man ihnen Maßlosigkeit in ihren Forderungen. Dabei, so der empörte Mediziner, habe etwa ein junger Arzt gegenüber einer jungen Krankenschwester "keine besonderen finanziellen Vorteile, allerdings viel mehr Verantwortung".

Verhandlungen in Wien

Erst vor wenigen Tagen hat man sich in Salzburg auf ein neues Gehaltsschema für die Pflegekräfte in den Landeskliniken geeinigt. Es sieht unter anderem höhere Einstiegsgehälter und flachere Einkommenskurven vor.

Auch für die Wiener Kollegen könnte es tatsächlich bald Verbesserungen geben: "Nach den Verhandlungen mit den Wiener KAV-Ärzten darf jetzt auf die Pflege nicht vergessen werden", betonte am Samstag Christian Meidlinger, Vorsitzender der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten. "Gewerkschaft und Personalvertretung bereiten sich darauf vor, in Verhandlungen mit dem zuständigen Stadtratbüro zu treten." Eine Sprecherin von Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) bestätigt, dass es laufende Gespräche gibt.

Für Meidlinger ist klar, dass es zusätzliches Personal brauche, damit die Pflegekräfte – etwa im administrativen Bereich – entlastet werden. Und auch er plädiert für höhere Gehälter: "Eine Anhebung der Grundgehälter der KAV-Ärzte um bis zu 29 Prozent und im Gegenzug keine monetäre Verbesserung aufseiten der Pflegekräfte werden wir bestimmt nicht akzeptieren."

Die Wiener Gesundheitsökonomin Maria Hofmarcher ortet eine mangelnde Wertschätzung des Pflegeberufs.

KURIER: Droht das Pflegepersonal nach der Aufstockung der Ärzte-Grundgehälter finanziell unter die Räder zu kommen?
Maria Hofmarcher: Das Gesundheitssystem kann es sich gar nicht leisten, mit dem Pflegepersonal nicht pfleglich umzugehen. Denn im Vergleich zu den Ärzten ist Österreich hinsichtlich Pflegepersonal schon seit geraumer Zeit schlecht ausgestattet: Es gibt um 44 Prozent mehr Ärzte als im EU-Schnitt, aber um acht Prozent weniger Pflegepersonal. Es ist ein Manko, dass Krankenpfleger bei uns nicht als jene hoch qualifizierte Berufsgruppe betrachtet werden, die sie sind.

Stimmt der Befund, dass das Pflegepersonal durch die Übernahme von ärztlichen Tätigkeiten überlastet ist?
Das ist tatsächlich eine riesiger Zusatzaufwand, solange es am unteren Ende des Tätigkeitsspektrums keine Entlastung gibt. Es braucht natürlich auch mehr Personal für hilfspflegerische Tätigkeiten, damit sich hoch qualifizierte Pflege nicht mit dem Bettenreinigen beschäftigen muss.

Ist der Ruf nach mehr Gehalt für Pflegekräfte gerechtfertigt?
Wenn Pfleger höherwertige Aufgaben übernehmen, muss sich das auch im Gehalt widerspiegeln. Sie müssen gleichzeitig aber auch mehr Verantwortung erhalten. Hier gibt es noch großen Widerstand der Ärzte, aber auch der Pflege, das rechtlich festzulegen. Gesamtwirtschaftlich wichtig ist ebenso, dass Pflege verstärkt ein Arbeitsmarkt für Männer wird. Auch die Dienstpläne müssen familienfreundlicher werden.

Besteht der politische Wille, das Verhältnis zwischen pflegerischen und ärztlichen Tätigkeiten neu zu ordnen?
Lokal gesehen mag es einzelne positive Beispiele geben, wo sich die Vertreter beider Berufsgruppen als Teamarbeiter sehen. Dennoch haben wir aber noch sehr großen Aufholbedarf: Der Beruf der Pflege wird in unserem sehr Ärzte-zentrierten Gesundheitssystem nach wie vor als nachgeordnete Berufsgruppe gesehen. Leider fehlen der Politik Visionen, was das Zusammenspiel dieser Gruppen betrifft.

Können Sie dafür konkrete Beispiele nennen?
Etwa die neuen Primärversorgungszentren in Wien, in denen mehrere Ärzte, aber auch Pflegekräfte arbeiten sollen. Die Stadt Wien zahlt der Gebietskrankenkasse pro Jahr etwa 200.000 Euro, mit denen der Pflegedienst finanziert wird. Es fehlt allerdings ein genaues Konzept dafür, was eigentlich die Aufgabe der Pflegerinnen in dem Zentrum sein soll. Es kann ja nicht sein, dass sie letztlich als Empfangsdamen arbeiten.