Chronik/Österreich

Waffen zur Selbstverteidigung boomen

Waffengeschäfte sind seit wenigen Wochen besonders gut besucht. Pfefferspray, Flinten und Pistolen gehen über den Ladentisch – ebenso Munition und anderes Zubehör.

Die Verkäufe steigen. Waren diese Geschäfte eher das Metier von Sportschützen und Jägern, sind es seit Kurzem immer mehr auch besorgte Bürger, die sich bewaffnen. "Es ist ein merklicher Anstieg der Kundennachfrage in der Branche zu verzeichnen, am stärksten im Osten Österreichs", sagt Robert Siegert, der Waffengeschäfte in Graz, Güssing, Neunkirchen, Schladming und Zangtal besitzt und zugleich Sprecher der Branche ist.

Anträge

Die Anträge auf eine Waffenbesitzkarte stiegen allein in Wien im Oktober drastisch an. Während im August in Wien nur zehn Personen eine Erlaubnis für den Besitz einer Pistole haben wollten, waren es im Oktober bis dato 192. Wovor sich die Antragsteller fürchten, ist unklar. Denn die Polizei kann nicht bestätigen, dass der Waffenboom mit dem Ausbruch der Flüchtlingskrise zusammenhängt. Faktum ist, dass es seit September auch in vielen Bezirkshauptmannschaften eine vermehrte Nachfrage nach dem Waffendokument gibt.

Um dieses zu bekommen, braucht es ein positives psychologisches Gutachten. Auch muss ein Kurs für den sachgemäßen Umgang mit Schusswaffen abgelegt werden. 90 Prozent der Anträge werden positiv beschieden. Ab diesem Zeitpunkt können Pistolen und halbautomatische Waffen der Kategorie B erstanden werden - zur Nutzung am Schießstand sowie zur Heimverteidigung.

Waffenbesitzkarten

150.705 Österreicher hatten zu Jahresbeginn eine Waffenbesitzkarte und dürfen eine Pistole oder halbautomatische Waffe besitzen. Diese Zahlen sind seit Jahren unverändert. Wie es allerdings aktuell aussieht, ist nicht erhoben. Einen Waffenpass, der auch zum Führen der Faustfeuerwaffe berechtigt, wollen aber die Wenigsten. Dieser wird nur in Ausnahmefällen ausgestellt.

Lokalaugenschein in einem Waffengeschäft in Oberwart: Dort warten mehrere Kunden auf eine Beratung. Sie schauen Vitrinen an, einige begutachten Pistolen im Schaukasten. "Viele die kommen, hatten vorher noch nie etwas mit Waffen zu tun", erklärt der Waffenhändler, der in den vergangenen Wochen besonders viel zu tun hatte. Die Kunden informieren sich, welche Möglichkeiten sie haben. "Ich möchte etwas für die Heimverteidigung", erklärt ein Kunde, der mit seiner Frau im Geschäft ist. Sie lassen sich die Funktionsweise einer Flinte erklären, ein anderer Kunde kauft Pfefferspray für die Tochter.

Nachfrage

Es ist viel los, so der Tenor der Waffenhändler: So wie momentan aufgerüstet wird, das sei außergewöhnlich. Nicht wenige hätten vor der Situation mit den Flüchtlingen Angst, erzählen Verkäufer sowie Kunden. "Die Leute, die kommen, sind verunsichert, die Zeiten werden nicht besser und die Polizei ist mit anderen Dingen beschäftigt. Sie wollen schauen, wie sie sich selbst schützen können", meint Siegert.

Wer sich den Aufwand mit einer Waffenbesitzkarte ersparen will, greift zu Kategorie C und D Waffen – Büchsen und Flinten. Außer einer dreitägigen Abkühlphase müssen diese Langwaffen nur im Zentralen Waffenregister gemeldet werden. Der Renner sei im Moment die Kombination aus kurzer Flinte und Gummischrot, eine nicht tödliche Munition, mit der man sich aber gegen Angreifer zur Wehr setzen könne. Da diese reinen Selbstverteidigungswaffen bisher nicht zum Hauptgeschäft der Händler zählten, könne es auch zu Lieferengpässen kommen. Eine Waffenhandelskette ist mit 60 Schrotflinten im Rückstand, "die gehen gerade besser weg als warme Semmeln", so ein Verkäufer aus Oberösterreich.

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Dr. Karl Javorszky leitet eine Begutachtungsstelle gemäß der Waffenverordnung. Der klinische Psychologe kann sich im Moment nicht über zu wenig Kundschaft beschweren, die bei ihm die gesetzlich vorgeschriebene waffenpsychologische Verlässlichkeitsprüfung ablegen will. Diese wird benötigt, wenn sich ein Bürger eine Kategorie-B-Waffe, eine Pistole, Revolver oder halbautomatische Waffe, zulegen will.

KURIER: Seit wann bemerken Sie einen Anstieg bei den Gutachten?

Karl Javorszky: Seit drei Monaten sind die Gutachten sprunghaft angestiegen. Waren es sonst ein bis zwei pro Woche sind es jetzt im Schnitt fünf bis sechs Personen, die sich begutachten lassen.

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Welche Gründe haben Ihre Klienten, eine Waffe zu kaufen?

Bei manchen ist es die Arbeit, bei einem Werttransportfahrer zum Beispiel. Bei anderen das Sportschießen oder eine Erbschaft und man will die geerbten Waffen nicht verkaufen. Andere kaufen sich ein Haus am Land und wollen sich in der verlassenen Gegend schützen. Bei einigen sind es Einbrüche in der Nachbarschaft. Ein Anlass für eine Waffe ist auch immer wieder, wenn die Leute Kinder bekommen.

Merken Sie bei Ihren Gutachten, dass die Flüchtlingssituation zum vermehrten Waffenkauf beiträgt?

Eigentlich nicht. Wahrscheinlich sagt man den Waffenhändlern andere Sachen als dem Psychologen. Die Tendenz zur erwünschten Antwort ist hoch.

Was sind die Gründe für ein negatives Gutachten und wie häufig fällt es negativ aus?

Meine Aufgabe ist es, den Breivik (Amokläufer auf der Insel Utøya, Norwegen; Anm.) im Vorfeld herauszufischen. Wenn sehr hohe innere Spannungen und eine schwere unerledigte oppositionelle Haltung vorliegen. Wenn massiver Ärger mit Eltern, Schulkollegen, Freunden nicht zur Kenntnis genommen wird, dann gibt es kein positives Gutachten. Das kommt bei sieben bis zehn Prozent der Leute vor.

Kann man das Gutachten wiederholen?

Es gibt die Möglichkeit, wenn man mit dem negativen Bescheid nicht einverstanden ist, eine Revision des Ergebnisses durchzuführen.

Egal ob geschossen, damit gedroht oder nur mitgeführt – in der österreichischen Kriminalstatistik werden jährlich alle Delikte bei denen Schusswaffen im Spiel waren, aufgelistet und gezählt. Und diese Zahlen zeigen einen stetig steigenden Waffengebauch.

Während 2012 insgesamt 859-mal kriminelle Handlungen in Verbindung mit Schusswaffen verzeichnet wurden, waren es im Folgejahr bereits 892. Dabei zeigten sich in den verschiedenen Kategorien keine prägnanten Ausreißer, die den Anstieg erklären würden.

In der Statistik 2014 stieg die Zahl gleich auf 1189 Delike in Verbindung mit Schusswaffen. In diesem Zusammenhang besonders zu beachten ist, dass "die Schusswaffenverwendung im Allgemeinen einen Indikator für die Gefährlichkeit des kriminellen Geschehens darstellt", wie im Sicherheitsbericht erklärt wird.

Unerlaubter Besitz

Die einzige Zahl, die sich im Vergleich zu den Vorjahren um 80 Prozent erhöht hat, sind die Anzeigen wegen unerlaubten Mitführens oder Besitzes von Waffen. 2012 verzeichnete man 80 Delikte in diesem Zusammenhang, ein Jahr später waren es 82. Im Jahr 2014 wurde 144-mal deswegen angezeigt, wobei 103 Personen eine Waffe unerlaubt im öffentlichen Raum mitführten.