Vier Verstrahlte und ein Millionenschaden
Die ermittelnden Behörden und Beteiligten behandeln die zwei atomaren Zwischenfälle in Österreich noch „top secret“. Aber KURIER-Recherchen haben ergeben, dass zwischen den Strahlenalarm in Seibersdorf und in Innsbruck mit vier Verletzten ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
Das sind die Fakten: Am 3. Mai werden in Seibersdorf zwei Arbeiter verstrahlt. Zwei Wochen später gibt es Strahlenalarm und zwei Opfer auf der Uni in Innsbruck.
Dem KURIER wurde nun bestätigt, dass ein und der selbe Behälter an beiden Orten für den Strahlenalarm gesorgt hat. Denn das gefährliche, radioaktive Americium 241 war zunächst in der Innsbrucker Universität gelagert, ehe das Fass zur Entsorgung nach Niederösterreich geliefert wurde, sagt Roman Beyerknecht, Geschäftsführer des Nuclear Engineering Seibersdorf.
Nach derzeitigem Untersuchungsstand dürfte der Stoff auf der „Alten Chemie“ falsch etikettiert worden sein. Das radioaktive Material lag jahrelang in einem Labor, das von Mitarbeitern aufgesucht wurde. Unklar ist, ob Studierende Zutritt zu diesen Räumlichkeiten hatten.
Dann wurde das Americium 241 im Zuge des Abrisses von Uni-Gebäuden Ende April zur Entsorgung nach Seibersdorf gebracht. Wegen des Etiketts wurde die Substanz dort als eher harmlos eingestuft – ein folgenschwerer Irrtum.
Inzwischen sind auch das Arbeitsinspektorat und der Betriebsrat auf den Vorfall aufmerksam geworden, berichtet die Tiroler Tageszeitung. Christoph Bedenbecker, der Vorsitzende des Betriebsrats der Uni Innsbruck, sieht jetzt „eine Menge offener Fragen“.
Dass weitere Menschen verstrahlt worden sein könnten, schließt man im Büro von Lebensminister Nikolaus Berlakovich aus. „Es gab keine Gemeingefährdung“, sagt Irmgard Poschacher, die Sprecherin des Ministers. „Die Tiroler Behörde hat alles gemacht, was notwendig ist.“
Zumindest juristisch wird es ein Nachspiel geben. Denn der Gesamtschaden dürfte die Millionengrenze überschreiten. In Seibersdorf muss eine komplette Halle des Atommüll-Lagers abgerissen und um 500.000 Euro neu errichtet werden.
Wer zahlt Schaden?
Ob die Innsbrucker Uni für den Schaden in Seibersdorf haftet, ist unklar. Dem Vernehmen nach werden Forderungen geprüft. „Wenn wir die Alte Chemie abreißen, wird es sicher teurer werden“, sagt Vizerektorin Anke Bockreis. Denn auch dort würde eine Spezialfirma notwendig sein. Inklusive der Behandlung für die vier Verstrahlten könnte der Atom-Zwischenfall teuer werden.
Update: Die Staatsanwaltschaft Innsbruck hat die KURIER-Recherchen Donnerstagvormittag bestätigt. Das Landeskriminalamt habe Ermittlungen aufgenommen. Unter anderem bestehe der "Verdacht auf fahrlässige Gefährdung durch Kernenergie oder ionisierende Strahlen", erklärte der Sprecher der Innsbrucker Staatsanwaltschaft, Hansjörg Mayr. Ermittelt werde gegen Unbekannt.
Auch die Nuclear Engineering Seibersdorf GmbH (NES) hat sich Donnerstag zu Wort gemeldet. Die betroffene Halle bleibe weiterhin behördlich gesperrt. Das Ausmaß der Kontamination sei noch nicht bekannt, weil bisher niemand in die Halle hinein durfte. Bezüglich der Dauer der Untersuchungen geht Geschäftsführer Roman Beyerknecht "von Wochen" aus. Ob die Halle abgerissen werden muss, sei beim derzeitigen Erkenntnisstand Spekulation. Den beiden Mitarbeitern, die bei der Behandlung eines vermutlich falsch deklarierten Abfallgebindes erhöhter radioaktiver Strahlung ausgesetzt waren, gehe es gut. Sie stehen weiterhin unter gesundheitlicher Kontrolle.
Der Sprecher der Uni Innsbruck, Uwe Steger, sagte der APA, dass man bei den Untersuchungen der Justiz von einer "Routinegeschichte" und "standardmäßigen Ermittlungen" ausgehe. Man versuche vonseiten der Universität, alles aufzuklären. Derzeit wisse man jedoch auch noch nicht mehr als zu Beginn der Woche. (APA)
Americium 241 entsteht bei Sternenexplosionen, auf der Erde ist es nur als Nebenprodukt in Kernreaktoren zu finden. Es hat eine Halbwertszeit von 432 Jahren.
VerwendungAmericum 241 wird in geringen Mengen für Rauchmelder verwendet. An der Entwicklung einer Americium-Batterie für ESA-Raumsonden wird geforscht.
GefahrenIm Körper drohen Knochentumore, da es mehr als 50 Jahre in den Knochen bleibt.