Chronik/Österreich

Verletzter Höhlenforscher schickte Grüße an die Familie

Eine hoffnungsvolle Funkbotschaft erreichte am Samstag die Familie des schwerverletzten Höhlenforschers Johann Westhauser: "Ich fühle mich in der Trage sehr wohl", richtete er den Angehörigen aus und schickte liebe Grüße.

Ein aus 14 Rettern und einem Arzt bestehendes Team hat am Freitagabend mit der ersten Etappe seines Rücktransports aus 1000 Metern Tiefe begonnen. Gegen 4 Uhr Früh erreichte die Gruppe am Samstag die Stelle "Barbarossas Thronsaal" vor dem Biwak 5. Dort wurde eine Ruhepause eingelegt. "Wenn die Kräfte erschöpft sind, muss pausiert werden", sagt Benno Hansbauer von der Bergwacht Bayern. Am Biwak 5 war eine Ablöse durch ein italienisches Team vorgesehen. Heute, Sonntag, werden die Helfer am Biwak 4 erwartet.

Zwei Höhlenrettungs-Trupps aus NÖ, die in den vergangenen Tagen für die Sicherung der Strecke und den Material- und Provianttransport im Einsatz standen, wurden am Samstag ebenfalls ausgewechselt. "Den Leuten geht es gut, sie müssen sich regenerieren und eine mehrtägige Ruhepause einlegen", sagt Erich Hofmann, der seit Mittwoch die Österreicher koordiniert. Auch Hofmann selbst, will heute die Heimreise antreten. "Die Ablöse ist schon besprochen." Noch nicht zurück aus der Tiefe war der Stockerauer Arzt Martin Göksu. "Er wird vermutlich erst am Sonntag oben ankommen, doch auch bei ihm ist alles in Ordnung."

Zurück im Alltag

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Wolfgang Farkas, Allgemeinmediziner und Höhlenretter aus Piesendorf (Pinzgau), hat nach seinem Einsatz in der Riesending-Höhle nun der Alltag wieder. "Ich hab’ mich von den Strapazen gut erholt und arbeite wieder in meiner Praxis. Weil ich am Pfingstsonntag ja spontan nach Berchtesgaden gefahren bin, ist einiges liegen geblieben." Der 42-Jährige ist seit 2005 bei der Höhlenrettung Salzburg, außerdem Bergrettungsarzt in Kaprun und Notfallmediziner. Seit 20 Jahren ist er in Höhlen einiger Länder unterwegs. Die Riesending-Höhle gilt als die größte und schwierigste Deutschlands. "Eine Herausforderung, die nur wenige packen", erkennt Farkas an.

Als am vergangenen Sonntag die Alarmierung einging, dass ein Verletzter im Bauch des Untersbergs liegt, musste Farkas nach seinem beendeten Notarzt-Bereitschaftsdienst ins bayrische Berchtesgaden fahren. Er sollte der erste Mediziner sein, der den verletzten Johann Westhauser in 1000 Metern Tiefe erreicht. Nach drei Tagen musste der erfahrene Höhlengeher aber bei Biwak 2 aufgeben. Über die Gründe für seinen Rückzug sagt er: "Mein Team war das erste, das abgestiegen ist. Wir konnten die Anstrengungen da unten überhaupt nicht einschätzen. Irgendwann war ich mit den Kräften am Ende. Da war die Erkenntnis, dass ich aufgeben muss, natürlich hart."

Die Tiefe der Höhle, ihre Hindernisse und die Dauer seines Einsatzes hätten ihn "mental gebremst", schildert er. "Jeder Schritt, den man dann noch macht, kann einen vom Retter zum Verletzten machen." Der zweifache Vater habe bei der Entscheidung auch an seine Familie gedacht. "Meine Kinder brauchen ihren Papa noch." Für jene, die jetzt in der Höhle im Einsatz sind, habe er allergrößten Respekt: "Jeder Einzelne von ihnen ist ein Held."

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Den dramatischen Rettungseinsatz in der Riesending-Höhle im Untersberg bei Berchtesgaden verfolgt Hermann Kirchmayr mit viel Interesse und Empathie. Erinnert er ihn doch frappant an den internationalen Hilfseinsatz nach dem Höhlenunfall im Schönberg (OÖ), den er im August 1975 geleitet hat. Es war die bis dahin größte und schwierigste Bergungsaktion in Österreich.

"Es gibt viele Parallelen zwischen damals und heute", betont der pensionierte Alpin-Gendarm aus Gmunden. Der geologische Aufbau beider Höhlen sei ähnlich. Und auch die Schwierigkeiten für die Retter – beim Versuch, den Schwerverletzten wieder zurück an die Oberfläche zu bringen – seien vergleichbar.

Kirchmayr, seit den frühen 60er-Jahren begeisterter Höhlenforscher, war einer der Gründungsväter der Österreichischen Höhlenrettung. Der Einsatz vor 39 Jahren im Schönberg bei Ebensee (Totes Gebirge) überstieg in seinen Dimensionen aber alles bis dahin gekannte. Am 12. August 1975 hatte sich im Horizontalsystem des Ahnenschachts – das in 300 Meter Tiefe vom Hauptschacht abzweigt – rund 800 Meter vom Schacht entfernt ein folgenschwerer Unfall ereignet. Georges Birchen, Mitglied der belgischen Höhlenforschergruppe "Les Gours", wurde von einer losen Steinplatte mitgerissen. Er stürzte damit zwei Meter rückwärts und erlitt einen beidseitigen Beckenbruch.

Doppelter Beckenbruch

"Der Unfall ist um 20 Uhr passiert, um 3.30 Uhr hat uns einer seiner Kameraden alarmiert. In der Früh sind wir sofort mit Hubschraubern zum Schachteingang gebracht worden, die auch Unmengen an Material raufgeflogen haben", erzählt Kirchmayr.

Um 10.15 Uhr seien die ersten Retter in den Schacht gestiegen und schließlich um 17 Uhr beim Verletzten eingetroffen. "Ab dem Zeitpunkt waren dann immer mindestens acht Leute bei Birchen und haben sich um ihn gekümmert." Der 22-Jährige wurde mit Schmerzmitteln vollgepumpt, damit er den heiklen Transport übersteht. Es sollte noch Tage dauern, bis er wieder Tageslicht erblickte. Insgesamt 48 Höhlenretter – aus Österreich, Frankreich, Deutschland und Polen – waren an der Aktion beteiligt. Sie bauten die Strecke aus, sicherten sie, richteten Biwaks ein und kümmerten sich um die Verpflegung.

160 Meter senkrecht

"Besonders der oberste Schachtabschnitt ist ziemlich anspruchsvoll, dort geht es 160 Meter im freien Fall hinab", betont Kirchmayr. Vier Stahlseilwinden mit insgesamt 400 Meter Seil wurden eingesetzt. "Birchen musste horizontal liegend hinaufgezogen werden." Am 15. August um 6.45 Uhr Früh befand sich der Belgier dann endlich in Sicherheit. "Er ist ins Unfallkrankenhaus Linz geflogen und eine Woche später von Angehörigen in die Heimat überstellt worden."

Die Bergung des Materials dauerte noch bis zum Abend des 16. August und wurde durch Regen und Nebel zusätzlich erschwert. "Ich bin damals vier Tage rund um die Uhr im Einsatz gestanden, auch unseren Hochzeitstag am 15. hab’ ich in der Höhle verbracht", erinnert sich Kirchmayr. Den Ahnenschacht hat er selbst nie mehr betreten: "28 Jahre lang ist niemand hinein. Dann hat es aber wieder einige gejuckt."

Helmut Obermair ist Landesleiter der Höhlenrettung Salzburg. Er koordiniert kommende Woche den Einsatz der österreichischen Kräfte im bayrischen Berchtesgaden. Mit dem KURIER spricht der erfahrene Höhlenretter über die Motivation und die Herausforderung bei diesem Jahrhunderteinsatz.

Herr Obermair, alle Helfer arbeiten seit einer Woche ehrenamtlich. Sie begeben sich in Lebensgefahr, nehmen unvorstellbare Strapazen auf sich. Warum tut man sich das an?

Helmut Obermair: Warum geht jemand zur Feuerwehr oder zur Rettung? Es ist die Liebe zum Menschen, die Liebe zu den Bergen und den Höhlen. Das ist eine Leidenschaft, die sich nicht erklären lässt.

Wie wird man Höhlenretter?

Man braucht eine gute Kondition und ein technisches Verständnis. Viele bei unserer Organisation sind Höhlenforscher oder zumindest hobbymäßig viel am oder im Berg unterwegs. Die Ausbildung dauert drei Jahre, dazu gehört ein erweiterter Erste-Hilfe-Kurs, damit man in der Lage ist, jemanden auch unter widrigen Bedingungen zu versorgen.

Kann man sich für einen Einsatz mit Ausmaßen, wie aktuell in Berchtesgaden, überhaupt in der Ausbildung vorbereiten?

Nein, das sprengt jegliche Vorstellungskraft. Finster, kalt und nass ist es in jeder Höhle, aber mit den Schwierigkeiten, mit denen unsere Leute hier konfrontiert sind, hat niemand gerechnet. Wir sind an unsere Grenzen gestoßen, aber es muss und wird noch weitergehen.

Was hat man im Laufe dieser Woche dazugelernt?

Wir haben Biwaks eingerichtet und für die Sicherheit zusätzliche Trittstifte und Seile eingebaut. Die Kommunikation wurde verbessert, wir tappen nicht mehr so sehr im Dunkeln wie an Tag 1. Die Gefahr ist trotzdem noch immens.

Wie geht man mit der Gefahrensituation um?

Die psychische Verfassung ist mindestens genauso wichtig wie die körperliche Fitness. Man muss sich frei machen von Angst und sich voll konzentrieren. Jeder Retter ist dabei für sich selbst verantwortlich. Wir haben die Prämisse ausgegeben: Eigensicherheit hat Vorrang.

Das heißt in letzter Konsequenz?

Wer nicht mehr weiter kann, muss aussteigen. Es gibt genügend andere, die einspringen können. Fähige Leute aus Slowenien, Polen, Tschechien und England haben sich angeboten. Wir haben große Kapazitäten.

Vor Ort spürt man die Anspannung. Es werden Erinnerungen an das Grubenunglück in Lassing von 1998 wach. Zehn Helfer sind tödlich verunglückt, Georg Hainzl wurde gerettet.

Daran darf man nicht denken, außerdem war die Situation damals eine andere. Unser Einsatz ist international gut strukturiert und durchgeplant, jeder Retter ist im Team verwurzelt.

Die Bergung von Johann Westhauser ist im Gange, wegen seiner Verletzung ist es für ihn aber hochriskant. Die Ärzte sind optimistisch – was sagen Sie als Höhlenretter: Hoffen Sie oder wissen Sie, dass er es schafft?

Wir haben noch nie jemanden im Berg gelassen. Deshalb gehe ich davon aus, dass er herauskommt.