Unwetter: Mann weiter vermisst, Bahnstrecken in der Steiermark unterbrochen
Die Lahn fließt mitten durch die südburgenländische Ortschaft Rudersdorf. Die meiste Zeit ein zahmer Bach, ist sie derzeit ein reißender Fluss.
In Rudersdorf wurden in den letzten Tagen Regenmengen von über 100 Litern am Quadratmeter gemessen, berichtet Hauptbrandinspektor Thomas Braun von der Feuerwehr Rudersdorf Dienstagfrüh gegenüber dem Ö1-Journal des ORF.
Herrscht an der Messstelle Dobersdorf um diese Jahreszeit für gewöhnlich ein mittlerer Wasserstand von 1,25 Meter, so betrug die Spitze der letzten Tage 5,11 Meter, so Braun. Entsprechend bleiben die Einsatzkräfte auch am Dienstag wachsam. Aktuell würden Keller ausgepumpt, so Braun.
In der Nacht hat es im Südburgenland zwar weiter geregnet, alles in allem waren die Mengen aber überschaubar. Der befürchtete Anstieg der Pinka blieb aus. Auch der Damm beim Stausee in Rauchwart sei stabil und werde ständig beobachtet.
Die Pegelstände der Flüsse und Bäche sind aber nach wie vor sehr hoch. Das erschwert auch die Suche nach dem vermissten Burgenländer.
In Mischendorf wird nämlich seit Sonntag ein Mann vermisst. Der 77-Jährige war am Vormittag zum Gemeindeamt gefahren, um seine Stimme für die EU-Wahl abzugeben, danach aber nicht mehr nach Hause zurückgekehrt. Wohin er nach der Wahl mit seinem Auto gefahren ist, sei unklar, hieß es.
Suche wird mit Drohnen fortgesetzt
Heute, Dienstag, wird die Suche nach dem Mann fortgesetzt. Gesucht werde unter anderem per Drohne: "Das ist das beste Mittel, um dieses Gebiet flächendeckend abzusuchen", erklärte ein Sprecher der Landespolizeidirektion Burgenland auf APA-Anfrage.
Der vermisste Mann könnte mit seinem Auto am Sonntag in den Teichbach geraten sein, so Alexander Flaschberger von der Bezirksfeuerwehr Oberwart im ORF Burgenland. Die Pegel des Baches seien weiterhin hoch und das Wasser trüb, wodurch man nichts sieht, erläuterte er. Nun müsse man abwarten, bis die Pegel runtergehen, um das Fahrzeug eventuell im Wasser zu entdecken.
Zunächst suchten Angehörige gemeinsam mit Jägern und der Feuerwehr nach dem Pensionisten. Nachdem der Neffe des Abgängigen am Sonntagabend Anzeige erstattet hatte, wurde die Suche mit Polizeikräften, zusätzlichen Feuerwehren und Drohnen verstärkt.
Gegen 23.20 Uhr wurde sie schließlich abgebrochen und dann Montagfrüh fortgesetzt. Die Suche gestalte sich sehr schwierig, sagte ein Polizeisprecher. Aufgrund des vielen Wassers seien an Ort und Stelle nach wie vor nicht alle Bereiche zugänglich.
Reparaturarbeiten in der Steiermark
Die seit Tagen anhaltenden Unwetter wirken sich auch in der Steiermark zusehends auf die Nord-Süd-Verbindungen auf Schiene und Straße aus. Nach Murenabgängen auf die Pyhrnautobahn (A9) musste nun Montagabend die ÖBB-Strecke zwischen Graz und Bruck/Mur gesperrt werden.
Die Aufräum- und Reparaturarbeiten können bis Freitag laut ÖBB nur tagsüber gemacht werden. Ein Schienenersatzverkehr mit Autobussen wurde eingerichtet. Am Dienstag hielten die Niederschläge, wenngleich moderat, an.
Bundesheer unterstützt
Zurück ins Burgenland: Hier wurden seit Samstagnachmittag rund 1.800 Feuerwehreinsätze gezählt. Ausgerückt sind 194 Feuerwehren mit rund 3.800 Mitgliedern sowie acht Zügen des Katastrophenhilfsdienstes. Seit Sonntagmittag werden sie durch einen Assistenzeinsatz des Bundesheeres unterstützt. Dieser wurde am Montagnachmittag um 130 Soldatinnen und Soldaten verstärkt. Damit waren insgesamt 259 Soldaten bei den Überschwemmungen im Burgenland im Einsatz.
Die Verstärkung kommt vom Jägerbataillon 19, das in Güssing stationiert ist, und wurde aus der Großübung "Schutzschild 24" abberufen, die derzeit im Burgenland, in Niederösterreich, der Steiermark und Kärnten stattfindet, teilte das Verteidigungsministerium mit. Die Soldaten lösen im Südburgenland Verklausungen, befreien Keller von Schlamm und Wassermassen und helfen bei Wiederaufbauarbeiten, hieß es.
Doskozil: Ausmaß eines hundertjährigen Hochwassers "bei weitem" übertroffen
Im Bezirk Oberwart hat sich die Situation ab Samstagabend zugespitzt. Flüsse traten über ihr Ufer, in Wiesfleck und dem Ortsteil Schreibersdorf etwa wurden ganze Straßenzüge unterspült, Brücken weggerissen oder Häuser massiv überschwemmt, schilderte Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) am Montag bei einer Pressekonferenz im Bezirksvorort.
Auch in Unterschützen sei die Situation "ganz dramatisch" gewesen. Doskozil berichtete auch von einer Frau in seiner Heimatgemeinde Grafenschachen, deren Heim nach 2016 und 2018 nun erneut vom Hochwasser überflutet wurde. Das Ereignis übertreffe das Ausmaß eines hundertjährigen Hochwassers "bei weitem". Um die Feuerwehren bei ihrer Arbeit zu unterstützen, zumal auch Brücken weggespült wurden, habe er daher dann um eine Assistenzleistung des Bundesheeres angesucht - dieses ist aktuell mit 250 Personen im Einsatz.
"Das sind wir der Bevölkerung schuldig"
Aufgabe der Politik sei nun, eine rasche Schadensabwicklung zu ermöglichen. Neben den Mitarbeitern aus dem Straßenbaudienst, die ebenfalls helfen, Schäden zu beseitigen, werden Mitarbeiter von jenen Bezirkshauptmannschaften, die weniger von Unwettern betroffen sind, zusammengezogen. Diese werden ab Mittwoch aktiv an Gemeinden herantreten und "von Haus zu Haus gehen", um Schäden zu dokumentieren. Nach den Hochwassern 2016 und 2018 sei man bei den Entschädigungen aus dem Katastrophenfonds von einer maximalen Grenze von 70.000 Euro ausgegangen. Mit den jetzigen Erkenntnissen dürfte diese Grenze erhöht werden: "Das sind wir der Bevölkerung schuldig und das werden wir leisten können." Die Schadenshöhe lasse sich freilich noch nicht abschätzen.
In der Region gebe es auch Rückhalteeinrichtungen, diese seien für ein hundertjähriges Hochwasser ausgerichtet. Vom aktuellen Hochwasser seien die Einrichtungen aber teilweise unterspült oder überlaufen worden, sie hätten gerade noch standgehalten. "Nicht auszudenken, was gewesen wäre, wenn es die Rückhaltebecken nicht gegeben hätte." In einem ersten Schritt sollen die vorhandenen Anlagen nun gesichert werden und mit den Erkenntnissen dieser Tage eventuell verstärkt und ausgebaut werden.
Von Samstag auf Sonntag gab es laut Doskozil 30 Menschenrettungen. Er hoffte, dass auch die vermisste Person lebend gefunden werden kann - zur Stunde laufe die Suchaktion jedoch noch ergebnislos. Außerdem bedankte sich der Landeshauptmann bei allen Beteiligten für ihren Einsatz.
Bezirksfeuerwehrkommandant Wolfgang Kinelly schilderte den zeitlichen Ablauf, startend am Samstagabend mit kleinräumigen Überflutungen. Dann sei auf manchen Straßenzügen die komplette Infrastruktur zerstört worden. Er verwies darauf, dass es "den ganzen Mai über nur Regen gegeben hat und dann war der Boden gesättigt. Jeder Tropfen führt jetzt zu kleinräumigen Überflutungen." Auch am Montagmorgen habe es zwar nur kurze Regenschauer gegeben, aber bereits kleinere Feuerwehreinsätze: "Wir mussten schon wieder pumpen fahren." Selbst an einem Wochentag wie heute sei man wieder mit 400 Personen im Einsatz: "Wenn solche Ereignisse kommen, kann man mehr leisten als man eigentlich glaubt. Ich hab's an mir gesehen."
Bezirkshauptmann Peter Bubik erklärte, dass die Ausrufung des Katastrophenfalls im Bezirk angesichts der Zustände eine einfache und richtige Entscheidung war. Es habe sich gezeigt, dass die Feuerwehren das Ausmaß nicht mehr alleine stemmen können, insofern brauche es auch das Bundesheer.
Mehrere Kühe ertrunken
Die Diakonie Katastrophenhilfe und die evangelische Kirche starteten indes am Montag die Nothilfe für betroffene Gemeinden. Der evangelische Pfarrer Carsten Merker-Bojarra berichtete von stark verschlammten und nicht mehr bewohnbaren Wohnungen und Kellern in Unterschützen (Bezirk Oberwart). Teilweise seien Garagentore eingedrückt und Autos weggespült worden. Nun werde der Sperrmüll entfernt, weil weitere Überflutungen erwartet würden und es sonst zu Verklausungen kommen könne. Bei einem Bauern in der Gemeinde seien bereits drei Kühe ertrunken. "Die Menschen sind recht verzweifelt, weil man ja auch nicht weiß, wie lang das noch so geht", sagte Merker-Bojarra.
Die burgenländische Caritas hat unterdessen unter der Telefonnummer 02682/73 600 325 eine Katastrophenhotline eingerichtet. Über diese können sich die Betroffenen über Unterstützungsmöglichkeiten informieren. 100.000 Euro an Soforthilfe sind laut Direktorin Melanie Balaskovics bereitgestellt. Unterstützung gebe es etwa finanziell und in Form von Gutscheinen.
Hilfe kündigten am Montag auch die Wirtschafts- und die Landwirtschaftskammer an. Letztere meldete der AMA (Agrarmarkt Austria) das gesamte Burgenland als Schadensgebiet, um Sanktionen wegen der derzeit nicht möglichen Einhaltung von Förderauflagen zu vermeiden. Außerdem unterstütze die Landwirtschaftskammer die Hagelversicherung bei der Schadenserhebung, hielt Präsident Nikolaus Berlakovich fest.
Seitens der Wirtschaftskammer sollen die am stärksten betroffenen Unternehmen Geld aus dem Soforthilfefonds erhalten, kündigte WK-Präsident Andreas Wirth an. Man werde geschädigte Betriebe besuchen, um das Schadensausmaß aufzunehmen. "Wir führen diesbezüglich auch Gespräche mit der SVS und der WKÖ, um einen gemeinsamen Katastrophenfonds zu dotieren", erläuterte Wirtschaftskammerdirektor Harald Schermann. Auch bei Rechtsfragen stehe die WK zur Verfügung.
Der für Mittwoch geplante Festakt der SPÖ Burgenland zu "60 Jahre rote Landeshauptmänner" findet wegen des Unwetters nicht statt. "Jetzt ist nicht die Zeit zum Feiern", hielt Doskozil dazu fest. Für die Feierlichkeiten werde ein Ersatztermin gesucht, so die Landesgeschäftsführer Jasmin Puchwein und Kevin Friedl.