Chronik/Österreich

Unterwegs mit den Gletscherforschern

Fabian, der Zivildiener im Nationalpark Hohe Tauern, hat schwer am Forschungsequipment zu tragen. 20 Kilo wollen auf das Schlatenkees in Osttirol transportiert werden: Ein Gartenschlauch, eine Gaskartusche, lange Holzstäbe und ein Dampfbohrer, der ein wenig an einen Kelomat erinnert. Mit fünf Liter Wasser wird zwei Stunden später und 1000 Meter höher genug Dampf entstehen, um die Holzstäbe an die 20 Meter tief ins Eis zu treiben.

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„Damit kann man ablesen, wie viel vom Gletscher pro Jahr abschmilzt“, erklärt Andrea Fischer. „Ungefähr 10 cm pro Tag, aufs Jahr gerechnet können da schon 14 Meter zusammenkommen“, rechnet die Glaziologin der Uni Innsbruck. Ablationspegel nennt es die Fachfrau und zeigt auf die Stangen aus dem Vorjahr, die mittlerweile nicht mehr im Eis stecken, sondern gebrochen herumliegen. Herausgetaut. Opfer der Klimaerwärmung.

2012 sind Österreichs Gletscher im Schnitt um 17,4 Meter zurückgegangen, gaben die Glaziologen im April bekannt und hören dererlei Vereinheitlichungen gleichzeitig gar nicht gerne. „Jeder Gletscher folgt seinen eigenen Gesetzen“, sagt Fischer. Um diese Gesetze zu erforschen, brauchen die Wissenschaftler gute Kondition. Zwischen Mai und Oktober brechen sie oft schon um 4 Uhr Früh im Tal auf und kehren selten vor 22 Uhr zurück. Seile, Steigeisen und Biwak im Gepäck. Oft sind sie tagelang unterwegs, müssen am Berg übernachten.

Altes tau(ch)t auf

„Auf etwa 100 österreichischen Gletschern gibt es Längenmessungen, auf neun weiteren wird die Masse gemessen.“ Irgendwie lässt die Gletschervermesserin die Erwärmung trotzdem kalt. Nun, das war jetzt – dem Wortspiel geschuldet – etwas überzeichnet. Fischer sieht die Klimaveränderung aber gelassen. Denn mittlerweile schätzen die Forscher, dass es in zwei Dritteln der vergangenen 10.000 Jahre wärmer war als heute. Und sie freuen sich über die derzeit herrschenden Verhältnisse, bedeutet es doch, dass Dinge auftau(ch)en, die schon ewig unter Eis versteckt waren – eine Lärche etwa, die im Torf des Salzbodensees, den das Schlatenkees auf seinem Rückzug zurückgelassen hat, 9000 Jahre lang konserviert wurde. Auf 2200 m Seehöhe! Weit über der heutigen Baumgrenze. Es muss also damals um vieles wärmer gewesen sein.

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Schauplatzwechsel vom Osttiroler in den Kärntner Teil des Nationalparks: Hier, am Rande der sich zurückziehenden Pasterze, haben Forscher den bisher spektakulärsten Fund gemacht: 16 Schichten, 2,6 Meter hoch, eine Abfolge von Torf, Ton und Sand, darin jede Menge organischer Materialien. Warum das aufschlussreich ist? Weil sich im Gatsch Holz, Pollen und Lebewesen verbergen, die sich datieren lassen und Rückschlüsse auf Vegetation und Klima der vergangenen 10.000 Jahre erlauben – „sofern wir die Finanzierung aufstellen“, sagt der Geograf Andreas Kellerer-Pirklbauer, läuft behende über die verbliebenen Eisfelder der Pasterze und hebt an deren Rand triumphierend einen zwölf Kilo Zirbenstamm: „Zumindest 5500 Jahre alt“, schätzt der Forscher von der Uni Graz. „Wachstumszeit mindestens 200 Jahre“.

Riesige Zirben weit über der heutigen Baumgrenze? Für die Forscher keine Überraschung. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass sich der Name Pasterze vom slawischen pastirica ableitet, was „Hirtengegend“ heißt. Verbirgt sich unter dem nur scheinbar ewigen Eis also ein einst üppiges Almgebiet?

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„Dieser Fundort ist jedenfalls sehr spannend“, sagt Kellerer-Pirklbauer, „denn die Torf-Schichten reichen mindestens bis 4300 v. Chr. zurück.“ Erste Analysen der Pollen, die aus dem Torf gekitzelt wurden, haben ergeben, dass hier an der Pasterze einst Zirben, Lärchen und acht verschiedene Moosarten prächtig gediehen. „Vor 5500 Jahren lag die Waldgrenze also deutlich höher.“

Die Rückschlüsse, die die moderne Wissenschaft heute machen kann, sind verblüffend. Der Geograf glaubt an saftige grüne Almen, dort, wo heute das Pasterzen-Eis liegt. Die Pollen sogenannter Zeiger-Pflanzen – bestimmte Gräser oder Brennnesseln, die mit Weidewirtschaft einher gehen – verraten es. Haben die Sprachforscher also recht?

Sogar Wein-Pollen wurden hier schon entdeckt. „Pasterzen-Wein – das wäre eine Verkaufsschlager“, scherzt Kellerer-Pirklbauer, um sofort wissenschaftlich-ernst einzuräumen, dass auch der Wind die Pollen aus dem Tal heraufgeweht haben könnte.

Steigende Temperaturen heizen Konflikte im privaten Bereich und auch zwischen Völkern an. Das berichten US-Forscher im aktuellen Science.

Das Team um Solomon Hsiang, Princeton University, hat 60 Klima- und Gewalt-Studien aus Archäologie, Kriminologie, Geografie, Politikwissenschaft und Psychologie, die seit 1986 erschienen sind, neu ausgewertet. Sie umfassen alle Regionen der Welt. Vor allem höhere Temperaturen führen demnach zu mehr Gewalt. Eine Plus von 0,4 C über das ganze Jahr lässt das Risiko persönlicher Konflikte um 4 Prozent steigen. Noch deutlichere Zunahme fanden die Forscher bei Gruppenkonflikten (Aufständen, Bürgerkriegen). Das Risiko stieg hier um 14 Prozent.

Die Wissenschaftler fanden in ihrer Untersuchung beispielsweise einen Anstieg häuslicher Gewalt in Indien und Australien, mehr Körperverletzungen und Morde in den USA und Tansania oder eine Zunahme gewalttätiger Polizeieinsätze in Holland. Über die Gründe könne man nur spekulieren: Verschlechtere sich die Wirtschaftslage aufgrund des Klimawandels, könne das zur Folge haben, dass Menschen aus Angst um ihre Existenz eher zu den Waffen griffen.

Schwund Seit 1891 misst der Alpenverein jährlich die Länge vieler österreichischer Gletscher. Meist gab es Rückzüge. Ausnahmen: 1927 und in den 1980er-Jahren.

Vorbild Die österreichischen Gletscher gehören zu den am besten beobachteten der Welt. Anhand ihrer Entwicklung werden Computermodelle entwickelt, die helfen, das Verhalten der Gletscher weltweit besser zu verstehen.

450 km² Eisfläche ist bis heute in Österreich erhalten geblieben, verteilt auf etwa 900 Einzelgletscher. Die Pasterze ist der Größte. Von 2011 auf 2012 gab es die höchste Rückzugsrate seit es Messungen gibt: 97,3 Meter.