Chronik/Österreich

Spielfeld ist neue Drehscheibe im Flüchtlingsstrom

Der jüngste Flüchtling war vier Tage alt: Das Mädchen muss wohl irgendwo in Kroatien auf die Welt gekommen sein, ehe es mit seinen Eltern Samstagabend über Spielfeld nach Österreich kam.

Seit Ungarn in der Nacht zum Samstag die letzte Lücke in seiner Grenze geschlossen hat, führt der Flüchtlingsstrom über Kroatien, Slowenien und Österreich. Bis Sonntagnachmittag kamen 1800 Menschen in Spielfeld an, 460 in Bad Radkersburg. "Wir rechnen mit 2000 bis 4000 in den nächsten 24 Stunden", schätzte der stellvertretende Polizeidirektor Manfred Komericky.

In Nickelsdorf im Burgenland kamen gestern keine Flüchtlinge mehr an, die Versorgungszelte bleiben vorerst stehen."Es ist sehr ruhig, um nicht zu sagen, es ist nichts los", sagte ein Polizeisprecher. Auch die freiwilligen Helfer seien bis auf Weiteres aus Nickelsdorf abgezogen.

50 Polizisten, 40 Soldaten und 15 Helfer vom Roten Kreuz machten gestern bei der Aufnahmestelle in Spielfeld Dienst. Dort stehen beheizbare Zelte zum Aufwärmen und solche, in denen sich die Ankommenden registrieren lassen müssen. Das Rote Kreuz übernahm die Versorgung und gab bis Sonntagfrüh 1000 Wasserflaschen sowie jeweils 100 Kilogramm Bananen und Brot aus.

Schlechterer Zustand

Allerdings bemerkte Einsatzleiter Roland Antal, dass der Gesundheitszustand der Flüchtlinge im Vergleich zur ersten Welle vor einigen Wochen schlechter wurde. "Es gibt viele Erkältungskrankheiten, aber auch Menschen mit Grunderkrankungen. Wir haben hier Leute mit Gehbehelfen, in Rollstühlen."

Schwerwiegende Infektionskrankheiten seien nicht angefallen: Ein Verdacht auf Masern, der Samstagnacht noch für Aufregung gesorgt hatte, bestätigte sich nicht. Dennoch trugen Sonntag viele Polizisten, aber auch Soldaten Mundschutz. Das sei nicht angeordnet, aber jenen erlaubt, die das wünschten, beteuerten die Behörden.

300, 400 Meter entfernt gibt es auf der slowenischen Seite der Grenze ein ähnliches Lager. Zu Fuß gehen die Flüchtlinge von dort auf die österreichische Seite. Es sind Gruppen von 100 bis 150 Menschen. Bevor sie losgehen, bekommen die österreichischen Beamten Bescheid, das erleichtert die Koordinierung. Im Stundentakt treffen Busse ein und bringen Flüchtlinge in Notquartiere in Graz und Umgebung sowie nach Kärnten. Sie hatten gestern noch Kapazitäten frei.

30 pro Stunde

Anders in den Notunterkünften in Salzburg. 1500 Menschen warteten in den Quartieren am Hauptbahnhof, der ehemaligen Autobahnmeisterei und an der Grenze, doch die deutschen Behörden ließen pro Stunde nur 30 Flüchtlinge passieren. In Salzburg gehen die Behörden davon aus, trotz Änderung der Flüchtlingsroute weiterhin Drehscheibe in Richtung Deutschland zu bleiben.

Wie viele Menschen derzeit von Kroatien aus in Richtung Österreich unterwegs sind, wagte gestern niemand zu prognostizieren. Das kroatische Transitlager Opatovac war mit 4000 Flüchtlingen voll belegt, an der serbisch-kroatischen Grenze warteten rund 40 Busse.

Wie wirkt sich die Schließung der Grenze zwischen Ungarn und Kroatien auf die aktuellen Flüchtlingsströme und Routen aus? Wir werfen einen Blick an die österreichischen Grenzen, nach Ungarn, Frankreich. Bei ihrem Besuch in Istanbul hat Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel die Leistungen der Türkei bei der Aufnahme von Flüchtlingen gewürdigt und der Türkei ein neues EU-Verhandlungskapitel in Aussicht gestellt.

Österreich

Der Zustrom der Flüchtlinge, die aus Richtung Osten über Salzburg nach Bayern wollen, ist am Sonntag weiterhin ungebrochen. Die Unterbringungskapazitäten seien aktuell weitgehend ausgeschöpft, teilte das Land mit, die Grenzabfertigung durch die deutschen Behörden funktioniere aber fließend. Die Garage am Salzburger Hauptbahnhof soll weiterhin als Notunterbringung eingesetzt werden, dazu muss sie jedoch winterfest gemacht werden. Für Dienstag ist zudem eine Grundreinigung dieser Unterkunft geplant

Auch wenn in Nickelsdorf vorerst kaum mehr Flüchtlinge ankommen, so dürfte es noch einige Tage dauern, bis all jene, die zuletzt dort nach Österreich eingereist sind, in Salzburg eintreffen. Ob Salzburg nach Nickelsdorf dann zeitverzögert eine Verschnaufpause vergönnt ist, bleibt fraglich. Denn derzeit kommen die Flüchtlinge vom Süden her über Spielfeld nach Österreich kommen. Beim Land Salzburg erwartet man, auch für diese Menschen eine Drehscheibe zu bleiben.

Bat Österreich um Obergrenze?

Nach Angaben der slowenischen Regierung habe Österreich um die Begrenzung der Zahl der täglich aus dem Nachbarland einreisenden Flüchtlinge gebeten. Es habe "Forderungen seitens der Republik Österreich gegeben, dass sie angesichts ihrer Notsituation auf keinen Fall mehr als 1.500 Migranten aufnehmen könne", sagte der Staatssekretär im Innenministerium, Bostjan Sefic, am Sonntag in Ljubljana. Slowenien möchte derzeit nur so viele Flüchtlinge einreisen lassen wie nach Österreich wieder ausreisen. Limitiere man den Zustrom nicht, habe man "innerhalb von zehn Tagen rund 35.000 Migranten in Slowenien", erklärte Sefic.

Ungarn - Kroatien

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Bild: Zaun an der Südgrenze Ungarns

Nachdem Ungarn in der Nacht auf Samstag seine Grenze zu Kroatien für Flüchtlinge de facto geschlossen hat, fühlt sich die Regierung in Budapest, durch den Erfolg ihrer Maßnahme bestätigt. "An der ungarischen Südgrenze ist die Ankunft illegaler Migranten praktisch zum Erliegen gekommen", erklärte Regierungssprecher Zoltan Kovacs am Sonntag.

Frankreich - England

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Bild: "New Jungle"-Flüchtlingslager bei Calais

Die Zahl der Flüchtlinge, die in einer improvisierten Zeltstadt am Rand der französischen Hafenstadt Calais festsitzen, hat sich in den vergangenen drei Wochen verdoppelt. Die Zahl der Menschen in dem als "Neuer Jungle" bekannten Flüchtlingslager sei von 3.000 auf 5.500 bis 6.000 gestiegen.

Calais ist einer der Brennpunkte in der Flüchtlingskrise in Europa. In der Stadt sitzen tausende Flüchtlinge fest, die hoffen, auf Fähren über den Ärmelkanal oder auf Zügen durch den Eurotunnel nach Großbritannien zu gelangen.

Türkei - Griechenland

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Bild: Diese Flüchtlinge haben es bis nach Piräus geschafft.

Das Flüchtlingsdrama in der Ägäis dauert an. Mehrere Menschen, darunter auch Kinder, starben am Wochenende bei Versuchen, aus der Türkei nach Griechenland zu kommen. Die Küstenwache rettete Hunderte Menschen.

In der Region wehten am Wochenende Winde der Stärke 6. Die Ägäis ist eine der Routen, über die Flüchtlinge nach Europa kommen. Seit Jahresbeginn sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mehr als 473 000 Menschen in Griechenland angekommen. In ihrer Mehrheit reisen sie über die Balkanroute nach West- und Nordeuropa weiter.

(APA)