Flüchtlingszug hat den Weg geändert

Am Samstag kamen bereits zahlreiche Flüchtlinge in Spielfeld (Steiermark) an. Dort stehen beheizbare Zelte für bis zu 1500 Menschen bereit
Hunderte Menschen kamen über Spielfeld, Behörden und Hilfskräfte rechnen mit vielen weiteren.

4300 Flüchtlinge schafften es bis Samstagabend noch auf der bekannten Route nach Österreich, über Ungarn und Nickelsdorf im Burgenland. Doch nachdem Ungarn kurz vor Mitternacht die letzte Lücke der "grünen Grenze" mit Stacheldraht geschlossen hat, trat ein, was Beobachter bereits Mitte September vorausgesagt hatten: Der Flüchtlingszug änderte seine Richtung.

Die Betroffenen versuchen nun, über Kroatien und Slowenien nach Österreich zu gelangen. Samstagvormittag fuhren auch schon die ersten Busse mit Flüchtlingen von Kroatien nach Slowenien. Von der ungarisch-kroatischen Grenze folgte etwas später auch ein Zug mit 1800 Asylsuchenden in Richtung Slowenien.

Zeitverzögert werden die Flüchtlinge in Österreich erwartet, jetzt ist vor allem die Steiermark die Drehscheibe. "Wir rechnen über das gesamte Wochenende mit 3000 Menschen", erklärte Landespolizeidirektor Josef Klamminger Samstagmittag. 640 Flüchtlinge kamen schließlich bis zum Abend in Spielfeld an. In der Nacht könnten laut Landespolizeidirektion bis zu 3500 Flüchtlinge die Grenze passieren.

Transitquartiere frei

Das Rote Kreuz fuhr am Samstag seine Versorgungsstelle an der slowenisch-österreichischen Grenze hoch: In Spielfeld stehen beheizbare Zelte für bis zu 1500 Menschen bereit. Die Sammelstelle in Bad Radkersburg bietet 350 Menschen Platz, sie wird aber erst bei Bedarf aktiviert. Doch beide Stellen sind bloß für den Transit gedacht: Von dort aus sollen die Betroffenen so rasch wie möglich in die Notquartiere nach Graz gebracht werden. Sie, aber auch die Pendants in Klagenfurt meldeten Samstag noch genug freie Plätze.

Polizei- und Hilfskräfte fuhren ihre Einsatzstäbe hoch: Das Bundesheer stockte für die Steiermark die Anzahl der Soldaten im Assistenzeinsatz von 300 auf 460 auf.

An den Grenzübergängen Spielfeld, Mureck und Bad Radkersburg in der Steiermark sowie am Loiblpass, Karawankentunnel, Seebergsattel und am Wurzenpass, in Lavamünd und Grablach bei Bleiburg Kärnten werden Reisende seit Samstag vermehrt kontrolliert.

Notfallplan mit Zelten

Auch wenn sich die Routen der Flüchtlinge ändern, ihr Ziel bleibt gleich Deutschland. Damit ist auch der Salzburger Hauptbahnhof weiterhin ein neuralgischer Punkt. Bis Samstagnachmittag war die Lage dort entspannter als zuletzt, die Landespolitik arbeitete aber dennoch an einem Notfallplan: Sollte Deutschland die Grenzen dicht machen, müssten bis zu 5000 gestrandete Flüchtlinge rasch im Bundesland untergebracht werden. Das soll u.a. in Zelten in Gröding-Gartenau im Flachgau sowie Hallein passieren. In Traiskirchen in Niederösterreich seien unterdessen keine dauerhaften Zelte mehr nötig, der Aufnahmestopp wirke, hieß es seitens des Innenministeriums. Waren im Sommer noch mehr als 4000 Asylwerber im Erstaufnahmezentrum, seien es jetzt nur noch 1800. Drei Viertel von ihnen sind Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, die alleine auf der Flucht waren.

Tausende Obdachlose

Doch der Aufnahmestopp sei ein zweischneidiges Schwert, kritisiert Peter Hacker, Flüchtlingskoordinator in Wien. Er zwinge Massen von Flüchtlingen gerade zu in die Obdachlosigkeit. "Wir haben obdachlose Antragssteller, das nicht nur in ein paar Dutzend." Allein in Wien seien 3600 Betroffene in Transitquartieren untergebracht, die eigentlich für Durchreisende gedacht seien.

Die Bundesländer sind in den vergangenen Wochen bemüht. Und dennoch hinken sie bei der Schaffung von Quartieren ständig der Realität hinterher. Zuletzt hingen beim Bund 3000 Menschen in der Warteschleife für eine Unterkunft in den Ländern. Nach wie vor sperren sich zu viele Gemeinden gegen Asylquartiere oder stellen sie nicht schnell genug bereit.

"Die Bürgermeister haben lange Mikado gespielt und sich gedacht: Wer sich rührt, der hat verloren", gibt Hermann Gierlinger (ÖVP) offen zu. Er ist Vize-Ortschef des 5000-Einwohner-Dorfs Bergheim am Rand der Stadt Salzburg. Und die hat gerade erfahren, wie schnell es nun gehen kann, wenn Österreichs Bürgermeister nicht selbst versuchen, Flüchtlinge aufzunehmen.

Bergheim ist die vierte Gemeinde, in der der Bund von seinem neuen Durchgriffsrecht Gebrauch macht. Bis zu 400 Asylwerber könnten in einem ehemaligen Bürogebäude in dem Dorf untergebracht werden. Hätte der Ort selbst Unterkünfte für 76 Flüchtlinge geschaffen, wäre er erst gar nicht ins Radar des Innenministeriums geraten. Denn damit wäre die 1,5-Prozent-Quote erfüllt gewesen, die seit Anfang Oktober für Bezirke und Gemeinden als Richtschnur dafür gilt, ob das Durchgriffsrecht schlagend werden kann.

"Es wäre uns natürlich lieber gewesen, selbst die Quote zu erfüllen", sagt Gierlinger. Die Stimmung in der Bevölkerung sei durchwachsen, aber nicht so negativ wie befürchtet. Der Politiker ist überzeugt, dass das Beispiel Bergheim Österreichs Bürgermeistern als Weckruf dienen wird. Das könnte auch die Arbeit der Flüchtlingsreferenten in den Bundesländern erleichtern.

Auf den Fall Bergheim angesprochen, sagt etwa Tirols Soziallandesrätin Christine Baur (Grüne): "Das ist ein Szenario, das uns realistischerweise jederzeit treffen kann. Der Großteil von Tirols Gemeinden erfüllt die Quote derzeit nicht. Aber wir sind sehr bemüht, dass wir keine Türe für den Bund aufmachen." Der kann nur in Ländern aktiv werden, die die Quote nicht erfüllen.

Flüchtling in jedem Ort

"Ich hoffe, dass wir dem Bund heuer keine Möglichkeit geben, dass er im Ländle durchgreifen kann", sagt auch der Vorarlberger Landesrat Erich Schwärzler (ÖVP). Sein Ziel: "Bis Jahresende soll jede Gemeinde Flüchtlinge haben." Schwärzler glaubt, dass das Beispiel Bergheim seine Wirkung tut: "Das mobilisiert."

Die Länderquoten, die darüber entscheiden, wo der Bund auf eigene Faust Unterkünfte schaffen darf, werden monatlich errechnet. Aktuell wäre hier nur Wien aus dem Schneider. In Niederösterreich pocht man zwar darauf, dass die Quote (inklusive dem Erstaufnahmezentrum Traiskirchen) erfüllt werde, dennoch wird von den Gemeinden mehr Engagement gefordert. In jene Ortschaften, die bislang zu wenig Quartiere geschaffen haben, werden nun Wohncontainer errichtet. Bis Jahresende sollen dadurch rund 3500 Flüchtlinge aufgenommen werden können.

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