Rettungstrupp hat bereits Biwak 2 erreicht
Die Rettungskräfte des verletzten Höhlenforschers Johann Westhauser kommen weiter rascher voran als geplant. Wie Stefan Schneider von der Bergwacht Bayern Dienstagfrüh auf Anfrage mitteilte, haben die Einsatzkräfte mit dem Verletzten und einem italienischen Arzt bereits das Biwak 2 in rund 500 Metern Tiefe erreicht.
"Wir rechnen jetzt damit, dass er am Donnerstag oder Freitag das Tageslicht erreicht", sagte Schneider. Die Rettung des Verletzten aus der Riesending-Schachthöhle in Berchtesgaden könnte damit bei planmäßigem Verlauf nach genau einer Woche abgeschlossen werden. Der Transport des durch ein Schädel-Hirn-Trauma schwer verletzten Westhauser in einer Trage hatte am vergangenen Freitag begonnen.
Erster Einsatz
Erstmals wurden am Montag der Öffentlichkeit auch Retter präsentiert, die bei der gefährlichen Krankenbergung mitgeholfen hatten. Für Christian Öhlinger aus Wolfsegg im Hausruck (OÖ) war es der erste derartige Hilfseinsatz. "Ich bin erst seit drei Wochen bei der Höhlenrettung, das Schwierigste für mich war im Vorfeld die Entscheidung, ob ich überhaupt in die Höhle hineingehen soll", erzählte der 32-jährige Pro-Mente-Mitarbeiter. Seit seinem 17. Lebensjahr verbringt er nahezu jede Woche am Berg. Außerdem ist er schon lang als Höhlenforscher – wenn auch nicht in 1000 Metern Tiefe – aktiv. "Ich wusste zwar, ich kann das, aber es war doch eine Überwindung", gestand er.
Öhlinger war zunächst für Sicherungsarbeiten im Abschnittsbereich zwischen Biwak 5 und 4 mitverantwortlich. "Als am Freitagnachmittag dann die Nachricht kam, dass die Bergung losgeht, war es für mich und die Kameraden eine Riesenerleichterung." Auf einmal sei eine enorme Energie in der Höhle zu spüren gewesen: "Wir waren alle froh, dass endlich etwas weitergeht."
Die Stimmung unter den verschiedenen Nationen sei nach wie vor hervorragend. "Die Italiener zum Beispiel sind nicht nur technisch hervorragend, sondern legen auch eine sehr entspannte Art an den Tag. Sie haben unten in der Höhle Bob Marley gehört, Kerzen angezündet und Zigaretten geraucht." So etwas helfe enorm dabei, den Stress abzubauen und die Strapazen ein wenig vergessen zu lassen. Öhlinger erzählte auch, dass die Geruchsbelastung unter Tag durch das fortwährende Verrichten der Notdurft schon deutlich zugenommen habe. "Bei so vielen Männern kann das schon ein wenig anstrengend werden", grinste er.
Ohrenschützer
Zum Verletzten selbst habe er keinen persönlichen Kontakt aufgebaut. "Das hab’ ich bewusst vermieden, um die nötige Distanz wahren und mich auf meine Arbeit besser konzentrieren zu können."
Sein Schweizer Kollege Pedro Balordi erzählte, dass Westhauser während des Transports Ohrenschützer trägt. "Einerseits wegen der Wärme und auch, damit er nicht zu sehr von unserem Lärm belästigt wird – weil wir uns im Schacht nur laut schreiend verständigen."
Die kommenden Abschnitte werde der Patient auf einer Sarkophag-Trage absolvieren. "Das ist wie ein fester Schlafsack – eine Schale, in der er in Schaumstoff eingebettet und mit einem Klettergurt fixiert ist." Die Trage sei acht Kilogramm schwer. "Mit dem Verletzten kommt man auf insgesamt etwa 100 Kilogramm." Zwar werde die meiste Zeit versucht, ihn horizontal zu transportieren, aber an manchen Stellen sei es einfach unabdingbar, ihn stehend hinaufzuziehen.
Westhausers Lebensgefährtin Angelika G. ließ den Rettern am Montag via Bild-Zeitung ihren Dank ausrichten: "Sie leisten Übermenschliches und ich danke jedem Einzelnen von Herzen." Wenn Johann wieder zu Hause sei, werde er seinen geliebten Obstkuchen bekommen: "Das wünscht er sich so sehr."
Erste Bilder von der Bergung im Inneren
Es ist bitterkalt, stockdunkel, schlammig, nass und rutschig. Seit einer Woche sitzt Höhlenforscher Johann Westhauser, 52, nach einem Steinschlag mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma bei extremen äußeren Verhältnissen im Bauch des Untersbergs bei Berchtesgaden fest.
Es sind Bedingungen, die einem Gesunden psychisch alles abverlangen. Für Außenstehende scheint daher kaum vorstellbar, wie ein schwer Verletzter derartiges so lang ertragen kann. Doch Westhauser hält sich bisher sehr tapfer und wird das wohl auch in den kommenden Tagen weiter tun müssen. Verläuft der Rettungseinsatz nach Plan, könnte er Ende der Woche endlich wieder Sonnenlicht sehen, in einem sauberen Bett liegen und mit seiner Familie plaudern.
70-Grad-Schacht
Dieser Streckenabschnitt gilt als extrem schwierig, kräfteraubend und gefährlich. Während der Weg zu Biwak 4 weitgehend waagrecht bewältigt werden konnte, müssen zu Biwak 3 großteils senkrecht abfallende Steilwände überwunden werden. "Es handelt sich hier um einen 70 Grad steilen Schacht und es sind mehrere Schrägstufen zu überwinden", sagt Erich Hofmann, Landeseinsatzleiter der nö. Höhlenretter. Der 57-Jährige hat in der Vorwoche (von Mittwoch bis Samstag) gemeinsam mit einem Kärntner Kollegen den Einsatz des österreichischen Höhlenretter-Teams koordiniert. Einige seiner Leute waren auch an der Sicherung des anspruchsvollen Streckenabschnitts beteiligt. "Dort mussten technische Einbauten wie Flaschenzüge und Seilwinden angebracht werden."
Ohne Pause
In dieser Passage kann der Verletzte nicht immer völlig waagrecht mit der Trage transportiert werden. "Die etwa 200 Meter Höhendifferenz bis Biwak 3 können die Retter nur in einem Stück durchfahren (Fachausdruck)", betont Hofmann. Für die Helfer gebe es keinen Platz, wo sie eine Pause einlegen könnten. Auch die Ärzte haben in dem Bereich keine Möglichkeit, Westhauser medizinisch zu betreuen. "Man muss sich das so vorstellen, als ob er am Donauturm außen auf einem Seil hängt und nach oben gezogen wird." Die zu erwartenden Strapazen seien für alle Beteiligten jedenfalls enorm.
"Ohne Teamarbeit geht überhaupt nichts. Hier funktioniert alles nur durch das kluge Zusammenwirken zahlreicher Kräfte." Hofmann rechnet damit, dass es etwa 24 Stunden dauern werde, den schwierigen Streckenabschnitt zu bewältigen. "Wichtig ist, dass es in der Zeit nicht auch stark regnet, das könnte problematisch werden."
Auch in den darauffolgenden Tagen warten auf den Rettungstrupp zahlreiche Herausforderungen. "Zwischen Biwak 2 und Biwak 1 ist eine gefährliche Canyoning-Passage zu erwarten – das ist ein sehr langer, enger Spalt, der nach unten hin offen ist."
Aktuell sind in Berchtesgaden noch 21 Österreicher im Einsatz. Hofmann ruht sich derzeit zu Hause von den Strapazen aus. "Wenn nötig, werde ich am Mittwoch aber wieder nach Bayern fahren und weiter mithelfen."