Chronik/Österreich

Höhlenforscher bedankt sich via Videobotschaft

Um 11.44 Uhr kam die Nachricht: Johann Westhauser ist an der Oberfläche. Der Jubel in der Einsatzzentrale in Berchtesgaden war so laut, dass er bis nach draußen zu den Dutzenden Journalisten drang, die auf die frohe Botschaft gewartet hatten.

Ein Helikopter brachte den schwerverletzten 52-Jährigen in die Unfallklinik Murnau im Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Er soll zuvor den Piloten gebeten haben, noch zwei Runden über den Untersberg zu drehen.

So endete die europaweit einzigartige Bergeaktion: Mehr als 700 Helfer aus fünf Nationen retteten einen Mann. Bei jedem möchte sich Westhauser persönlich bedanken, ließ er ausrichten.

Über die hohen Kosten der Rettung schwiegen die Behörden. Die Bergwacht Bayern wird jedenfalls eine Rechnung stellen. „Aber über das Geld reden wir später“, wehrte Einsatzleiter Klemens Reindl ab. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, CSU, kündigte finanzielle Hilfe an: Es sei möglich, dass Bayern „einen großen Teil der Kosten“ übernehme. Das hänge auch davon ab, ob Westhauser versichert sei.

Exakt elf Tage, zehn Stunden und 14 Minuten war der 52-jährige Stuttgarter unter Tag: Als er Donnerstagmittag wieder in Freiheit kam, mussten seine Augen mit einer Binde vor Licht geschützt werden. „Wir haben auch permanent auf seinen Kreislauf achten müssen“, schilderte Reindl. „Wenn die Anspannung nach so einem Martyrium von einem abfällt, kann es zu einem Kollaps kommen.“

Westhauser überstand auch diesen Teil: Wie die Zeit zuvor war er trotz Schädel-Hirn-Traumas ansprechbar. „Er hat nicht aufgegeben, war zuversichtlich“, erinnerte sich der Salzburger Anästhesist Jacob Krammer, der Westhauser 48 Stunden in der Höhle begleitete. „Er ist ein außergewöhnlicher Mensch.“ Westhauser habe die nötige Konstitution mitgebracht. „Wenn jemand diese Voraussetzungen nicht hat wie er, hätte er die lange Zeit nicht überstanden.“

Die letzte Etappe

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Am Schluss verlief die Rettungsaktion langsamer als erwartet: Weil sowohl der Verletzte als auch die Retter am Ende ihre Kräfte waren, mussten sie in der Nacht zum Donnerstag eine mehrstündige Pause einlegen. Um 5.30 Uhr ging es mit der letzten Etappe weiter. Die 100 Kilogramm schwere Trage wurde durch eine 180 Meter breite Steinhalle und über einen 200 Meter langen Schacht ins Freie gehoben stellenweise freischwebend, nur mit Muskelkraft der Helfer. Eine motorbetriebene Seilwinde einzusetzen, war an dieser engen Stelle nicht möglich: Stattdessen mussten sich die Retter mit ihrem ganzen Gewicht regelrecht in die Seile hängen, um die Trage als menschliche Gegengewichte in Bewegung zu versetzen.

"Wir sind diese letzte Phase bewusst bedächtig angegangen", beschrieb Klemens Reindl. "Wir wollten nicht in Euphorie verfallen und einen Rettungskollaps riskieren." Denn noch am Dienstag schien es, dass die Rettungsaktion früher beendet sein könnte als erwartet: Das vierte Zwischenlager in 500 Meter Tiefe wurde um Stunden früher erreicht als angenommen.

Die Bergeaktion begann am späten Nachmittag des 13. Juni: Da saß Westhauser bereits seit fünf Tagen mit schweren Schädelverletzungen in der Höhle fest. Gemeinsam mit drei Kollegen war er zu Pfingsten eingestiegen. Seit 2002 erforscht er die Gänge, von denen er einige sogar als Erster entdeckt hat.

Doch Höhlenforschung in dieser Dimension ist unberechenbar: Am 8. Juni wurde der Deutsche bei einem Steinschlag in 1000 Meter Tiefe am Kopf getroffen. Einer seiner Kollegen brauchte zwölf Stunden nach oben, um Hilfe zu holen. Der zweite Forscher blieb bei Westhauser.

Internationales Team

Danach lief eine internationale Rettungsaktion bisher kaum bekannten Ausmaßes an: Teams aus Österreich, Deutschland, Kroatien, Italien und der Schweiz reisten nach Berchtesgaden. Mehrere Ärzte stiegen zu dem Verunglückten ab. Insgesamt waren 728 Helfer beteiligt, 202 Bergretter direkt in der Höhle. "In den vergangenen Tagen haben wir am Untersberg alpine Rettungsgeschichte geschrieben", ist Norbert Heiland von der Bergwacht Bayern überzeugt.

Die Riesending-Höhle die größte Höhle Deutschlands gilt nun offiziell als Unfallort. Sie wurde von der Staatsanwaltschaft gesperrt, falls Ermittlungen der Polizei nötig sein sollten. Der bayrische Innenminister Herrmann überlegt, den Eingang ganz sperren zu lassen.

KURIER: Wie haben Sie die letzten Stunden erlebt – eine schlaflose Nacht?

Markus Schafheutle: Die Nacht habe ich mit Kollegen unter großer Anspannung in der Einsatzzentrale verbracht. Es hätte jede Minute der Anruf vom Untersberg kommen können. Als es dann um 11.44 Uhr soweit war, sind wir uns alle in die Arme gefallen. Es war ja nicht immer klar, dass der Einsatz gut ausgeht. Je weiter der Trupp nach oben gekommen ist, desto optimistischer sind wir geworden. Aber spannend war es bis zuletzt.

Und die Stimmung am Berg?

Da hatten sogar die härtesten Burschen vor Freude Tränen in den Augen.

Der Bergungstrupp mit Johann Westhauser wurde schon in den frühen Morgenstunden erwartet. Woran hat es gehakt?

Dass es hakt, wollten wir vermeiden. Darum hat es auch so lange gedauert. Es war immer wichtig, dass jeder der Helfer gut bei Kräften ist. Der Patient hat vor der letzten, langen Rast 40 Stunden nonstop in der Trage verbracht. So etwas ist auch für einen gesunden Menschen ein Problem, und mit seinen Verletzungen erst recht.

Unter den 202 Rettern aus fünf Nationen in der Höhle waren 42 Österreicher. Sind Sie stolz?

Natürlich, das muss uns erst mal einer nachmachen – tagelang schuften, schwitzen, frieren. Und ein Luxushotel sind die Biwaks ja auch nicht. Geschlafen haben sie oft im Stehen, und zum Essen gab es nur, was nährt. Es war ein gnadenlos harter Job. Das wäre ohne die internationale Zusammenarbeit nicht gegangen. Wir haben alle Spezialisten gleichzeitig gebraucht, und sie sind gekommen.

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