Polizei zerschlägt Terror-Stützpunkte
Nach der Zerschlagung eines österreichisch-bosnischen Islamistennetzwerkes droht nun ein Rachefeldzug der Terrormiliz " Islamischer Staat" (IS).
Bereits im Juni kündigten die Extremisten per Videobotschaft eine Terrorwelle in Bosnien an. Mittwochabend erschoss in einem Vorort von Sarajevo der 34-jährige, in Frankreich geborene, Enes Omeragic zwei Militärpolizisten und sprengte sich anschließend selbst in die Luft. Bei dem Attentäter soll es sich um einen Syrien-Rückkehrer mit wahhabitischen Hintergrund handeln.
Ist das nun die Rache für die "Operation Palmyra", bei der österreichische und bosnische Behörden ein großes Rekrutierungsnetz des IS ausgehoben hatten? Es begann im November 2014 in Österreich, als 900 Polizeibeamte in Wien, Graz und Linz 29 mutmaßliche Terrorkrieger festnahmen. Die Spur dieser Zelle führte ins bosnische Dörfchen Gornja Maoča, wo die mutmaßlichen Verbindungsleute zum IS saßen.
Damit geriet die bosnische Wahabitengemeinschaft ins Visier der Behörden. Der IS hatte sich nicht nur in Gornja Maoča ganz ungeniert festgesetzt, sondern auch in Dörfern bei Zeniza, Bihać und Brčko.
Dschihad-Dörfer
Die Dschihad-Dörfer und IS-Stützpunkte in Bosnien entwickelten sich zum Sicherheitsrisiko für ganz Europa. Daher waren sie auch das Ziel einer KURIER-Recherche in den letzten Tagen. Das unerwartete Ergebnis: Diese Terrorzellen gibt es nicht mehr. Sie wurden von den bosnischen Behörden mit österreichischer Unterstützung ausgehoben. Mittlerweile sind alle bisher bekannten Salafistendörfer wieder unter der Kontrolle der Polizei. Das bestätigen österreichische und deutsche Diplomaten, die den bosnischen Behörden bei den Aktionen assistieren. Und auch Generalmajor Johann Luif, Kommandant der EUFOR-Truppen, bestätigt dem KURIER: "Diese Extremistendörfer sind alle unter Kontrolle."
Damit kommt auch die Rekrutierung zum Erliegen. Die Zahl der reisewilligen Jung-Dschihadisten sei nun in Bosnien stark rückläufig, meinen bosnische Staatsschützer. Eine Entwicklung, die auch der österreichische Verfassungsschutz in Wien sieht.
Tschetschenen
Nach der Zerschlagung der bosnisch orientierten Struktur wendet der österreichische Verfassungsschutz sein Hauptaugenmerk verstärkt der tschetschenischen Szene in Österreich zu. Die Hälfte der in Österreich identifizierten 250 Terrorverdächtigen hat tschetschenischen Migrationshintergrund. Deren Organisationsstruktur ist von der Bosnien-Razzia nicht betroffen. Das starke Netzwerk zwischen türkischen und österreichischen Tschetschenen wird nach wie vor für den Transfer von Dschihadisten nach Syrien genutzt.
Das Verhindern der Rekrutierung ist eine wirksame Waffe gegen den IS. Nach Schätzungen des US-Geheimdienstes CIA haben sich etwa 20.000 Kämpfer aus 90 Ländern dem IS angeschlossen. Diese Söldner bilden fast die Hälfte der gesamten Truppenstärke. Ohne ausländische Kämpfer könnte der IS in Syrien und im Irak nicht überleben.
289 tschetschenische Flüchtlinge haben im Vorjahr beim Verein Hemayat in Wien eine Behandlung für ihr Kriegstrauma in Anspruch genommen. 324 stehen laut Cecilia Heiss auf der Warteliste: „Der Bedarf ist enorm, leider reichen die Kapazitäten nicht. Es ist verheerend, wenn diese Menschen so weit sind, um Hilfe zu bitten, sie dann aber nicht bekommen.“
Etwa 30.000 Tschetschenen leben in Österreich, knapp die Hälfte davon in Wien. Sie sind mit einem Altersschnitt von 27,5 Jahren eine relativ junge Bevölkerungsgruppe.
Durch Erfahrungen mit Folter und Mord im zweiten Tschetschenien-Krieg (1999–2009) seien viele „extrem traumatisiert“, erklärt Heiss. „Wir haben Kinder, die beim Anblick eines Uniformierten in Ohnmacht fallen.“ Mit gezielter Psychotherapie ließen sich gute Erfolge erzielen. Aus einem nicht behandelten Trauma, das geprägt sei von einem Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit, entstehe Misstrauen und ein gewisses „Machtbedürfnis“, erklärt Heiss – der perfekte Nährboden für Kriminalität und Radikalisierung. Dazu kommt, dass die tschetschenische Community sich nach außen isoliert – die Familie ist das wichtigste Netzwerk. In Wien gibt es inzwischen mehrere Vereine zur Förderung von kulturellem Austausch und Integration. hemayat.org
Wien war während des Bosnien-Krieges von 1991 bis 1995 eine Drehscheibe für wahabitische Kreise beim Versuch, in Bosnien Fuß zu fassen. Damals galt zwar ein UN-Waffenembargo für Jugoslawien, doch für die bosnische Armee des Alija Izetbegović wurde eine (illegale) Ausnahme gemacht.
Waffenlieferungen
Finanziert wurden die Waffenlieferungen von den Saudis. Organisiert wurden sie von einem in Wien akkreditierten, sudanesischen Diplomaten über die sudanesische Hauptstadt Khartoum, wo Osama Bin Laden einen Stützpunkt besaß. Die Transportflugzeuge organisierte ein Österreicher.
Gleichzeitig kamen ausländische Mudschahedin nach Bosnien, um an der Seite von Izetbegović zu kämpfen. Viele waren El Kaida-Anhänger aus Afghanistan, Tschetschenien, Pakistan und Saudi-Arabien.
Nach dem Krieg blieben viele im Lande. Sie heirateten junge Bosnierinnen und bekamen die bosnische Staatsbürgerschaft – sehr zum Missfallen der liberalen, bosnischen Muslime. Als 2001 Verwicklungen von bosnischen El-Kaida-Aktivisten in den Anschlag auf das World Trade Center in New York offenkundig wurden, expedierte die US-Armee einige Bosnien-Mudschahedine nach Guantanamo. Und die bosnische Regierung war bestrebt, die ungeliebten Gäste aus dem Krieg wieder loszuwerden. Man habe den Männern die Staatsbürgerschaften wieder aberkannt und sie außer Landes gebracht, erklärte ein Beamter des bosnischen Innenministeriums dem KURIER.
IS-Konvertiten
Die Hinterlassenschaft der Gotteskrieger waren aber radikalisierte Jugendliche, die von der El-Kaida-Ideologie zum Islamischen Staat konvertierten. IS-kontrollierte Dörfer in Bosnien wurden aber weltweit als Bedrohung empfunden. Im Februar forderte die US-Botschafterin in Sarajevo, Maureen Cormack, die Behörden zur energischeren Bekämpfung des Extremismus auf. Im März schloss sich Bosnien der weltweiten Anti-IS-Koalition an und spendete 500 Tonnen Munition für die irakische Armee. Am 6. Oktober gab es das erste Urteil gegen bosnische Syrien-Kämpfer. Husein Bilal Bosnic, Chef der bosnischen Wahabitengemeinde, fasste sieben Jahre aus.
Auch die in Gornja Maoča nach der Scharia lebenden Salafisten wollen sich verändern. In Interviews erklärten sie, dass das Leben durch die vielen Polizeikontrollen und die internationalen Fotoreporter sehr unerquicklich geworden sei. Einige wollen ihre Häuser verkaufen und wegziehen.