Chronik/Österreich

"Kein Nährboden für absurde Theorien"

Wolfgang Priklopil war ein Einzeltäter. An seinem Selbstmord gibt es keine Zweifel. Und angebliche Verstrickungen ins Rotlicht bzw. in die Pädophilenszene sind haltlos: 122 Seiten stark ist der Evaluierungsbericht im Fall Natascha Kampusch, der am Montag bei Schokokeksen und Saft den Journalisten präsentiert wurde.

„Der Fall Kampusch ist somit der bestuntersuchte Akt der Zweiten Republik“, sagt Kampusch-Anwalt Gerald Ganzger. „Das Ergebnis muss jeder seriöse Mensch zur Kenntnis nehmen. Frau Kampusch hofft, dass künftig keine absurden Theorien mehr gesponnen werden. Spätestens jetzt haben die nämlich gar keinen Nährboden mehr.“

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Doch so sicher ist das nicht. Denn: Im Rahmen der Untersuchungen (unterstützt vom Deutschen Bundeskriminalamt und dem FBI) wurden 84 Befragungen durchgeführt. „Und wir haben auch 18 Lokalaugenscheine durchgeführt“, sagt der frühere Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Herbert Anderl. Doch Natascha Kampusch, Priklopil-Freund Ernst H. und jene Zeugin, die die Entführung Kampuschs beobachtet hatte, waren nicht dabei.

Objektiv geirrt

„Diese Personen wurden früher mehrmals ausgiebig befragt. Das hätte nichts Neues gebracht“, sagt BKA-Chef Jörg Ziercke. Etwa die Aussage von Ischtar A., die beobachtet hatte, wie Kampusch in den weißen Bus gezerrt wurde. Sie sprach immer von zwei Tätern. „Die Zeugin ist subjektiv glaubwürdig. Aber objektiv hat sie sich geirrt“, sagt Ziercke. Soll heißen: Priklopil saß erst am Steuer des weißen Transporters, kroch dann zwischen den Sitzen in den Laderaum, öffnete die Seitentür und zog Kampusch ins Fahrzeug. Dass Priklopil selbst von Komplizen sprach, sei reine Taktik gewesen. „So hat er die Beschützerrolle eingenommen“, sagt der Kriminalist.

Die Aufarbeitung des „Jahrhundertfalles“, wie ihn der BKA-Chef bezeichnet, widmete sich aber auch den Ermittlungspannen. Und davon wurden einige gefunden. Die erste Masse an Hinweisen hätte die Ermittler überfordert. Der Überblick sei verloren gegangen. „Wir brauchen bessere IT-Analysemöglichkeiten, auch für umfangreiches Aktenmaterial“, resümiert Christian Pilnacek, Sektionschef im Justizministerium. Und es hätte eine „starke, klare Sprache“ in dem Fall gefehlt. Zudem sei die Aussage der Entführungszeugin damals nicht auf Video aufgenommen worden. Das habe dann Raum für Interpretationen gelassen.

Ebenfalls sei es unterblieben, die ersten eingegangenen Hinweise nach einigen Wochen von anderen Ermittlern nochmals sichten zu lassen. Die Spuren hätten auch zu Priklopil geführt. „Möglicherweise hätte man intensiver nachfragen müssen“, hält sich Ziercke diplomatisch. „Aber das Verlies hätten wir nicht entdecken können.“ Und auch bei der Befragung von Priklopil-Freund Ernst H. seien Fehler passiert.