Nachfahren von Holocaust-Überlebenden auf Spurensuche in Wien
Von Sarah Lechner
1936 in Wien geboren, zog Eva Blumenthal nur zwei Jahre später mit ihrer Familie nach London. Ein freiwilliger Umzug war es aber nicht. Sie flüchteten: Eva und ihre Familie sind Juden.
Nach dem Anschluss 1938 verlor Evas Vater seine Arbeit in einer Kanzlei, ihre Mutter musste die familieneigene Apotheke an Nazis übergeben. Es war der Moment, in dem die Familie wusste, "wir müssen hier weg", wie Evas Vater damals zu seiner Familie sagte. Zurück ließen sie ihre Wohnung in der Linken Wienzeile und ihre einstige Heimat.
Eine Heimat war Österreich für Eva seither nicht mehr. Denn obwohl die 87-Jährige über die Jahre mehrmals in ihre Geburtsstadt zurückkehrte, blieb London ihr Zuhause – und das bis heute.
Spurensuche
Im Juni war Eva nun erneut in Wien. Das allerdings nicht nur, um die Stadt zu besichtigen, sondern um sich mit ihren Wurzeln auseinanderzusetzen. Mit insgesamt 30 weiteren Menschen aus aller Welt machte sich Eva in der Woche vom 11. bis 18. Juni auf Spurensuche.
Eingeladen wurden die 30 Personen vom "Jewish Welcome Service". Die 1980 gegründete Organisation macht es sich zur Aufgabe, Nachkommen von Holocaust-Überlebenden einen Besuch in die Stadt zu ermöglichen. Aber auch jene, die im Zuge des Anschlusses das Land verlassen mussten und nach Kriegsende nicht zurückkehrten, nehmen teil.
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Eingeladen wird jährlich eine Gruppe von rund 30 Personen, die dann an einem einwöchigen Programm des Jewish Welcome Service teilnimmt. Dazu gehört unter anderem eine Besichtigung des Mahnmals Aspangbahnhof sowie eine Stadtrundfahrt.
Wiedergutmachung
"Ich muss immer an meine Mutter und Großmutter zurückdenken, wie sie mir erzählten, wie schön ihr Leben in Wien vor dem Krieg war. Und es ist auch so, Wien ist eine schöne Stadt. Die Erinnerungen aber sind einfach nur traurig", erzählt die 87-jährige Eva beim Ausflug zum Mahnmal Aspangbahnhof.
Lange wollte Eva die Wiedergutmachung, also eine materielle Entschädigung für Verfolgte des Nationalsozialismus, nicht annehmen: "Ich wollte nichts von den Österreichern." Heute nutze sie das Geld für wohltätige Zwecke und spende es an jüdische Kinder mit speziellen Bedürfnissen.
Die Engländerin Janine Holdhaus nahm ebenso am Jewish Welcome Service teil. Ihre Urgroßeltern wurden nach Riga deportiert und haben den Holocaust nicht überlebt.
Ihr Vater war sieben Jahre alt, als er gemeinsam mit seinen vier Geschwistern im Juni 1939 im Rahmen der Kindertransporte nach England gebracht wurde.
Nicht wieder heimisch
Nach dem Krieg kam er 1947 auf Wunsch seiner Eltern zurück nach Wien. "Er fühlte sich hier aber nicht mehr zu Hause und kehrte fünf Jahre später wieder nach England zurück", erzählt Janine. Die Geschichte ihres Vaters habe sie, wie sie selbst sagt, stark geprägt. Umso wichtiger ist ihr die Reise mit dem Jewish Welcome Service gewesen, wo sie "ihren Wurzeln näherkommt und mit anderen Menschen darüber redet, damit die Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerät."