Abhöraktionen nehmen zu - aber weniger Aufklärung
Von Ricardo Peyerl
Die viel diskutierte Hausdurchsuchung beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung am 28. Februar war nur die Spitze des Eisberges. Im Vorjahr wurden in Österreich 4577 derartige Razzien an Wohnorten oder Arbeitsplätzen von Verdächtigen durchgeführt, das ist ein Anstieg gegenüber 2016 um 17 Prozent.
Auch die Anzahl der Telefonüberwachungen ist von 2016 (3031 Mal) auf 2017 (3378 Mal) um rund elf Prozent gestiegen.
2017 gab es insgesamt 14.667 Überwachungsmaßnahmen wie Durchsuchungen von Orten oder Gegenständen, Überprüfungen von Nachrichten, Lauschangriffen, Telefon-Abhöraktionen und Datenabfragen bei Mobilfunkbetreibern. Nicht mitgezählt sind Observationen, verdeckte Ermittlungen, DNA-Tests und die Rasterfahndung. Das geht aus einer von den NEOS initiierten parlamentarischen Anfragebeantwortung durch Justizminister Josef Moser (ÖVP) hervor.
Zehn Prozent mehr
In einem Vergleich mit den Vorjahren zeigt sich: Die Polizei spioniert im Auftrag der Justiz immer öfter verdächtigen Bürgern hinterher. 2015 gab es 12.571 Überwachungsmaßnahmen nach der Strafprozessordnung, 2016 waren es bereits 13.236, 2017 gab es einen Anstieg um weitere zehn Prozent.
Den Löwenanteil an Überwachungsmaßnahmen (6100) hielt 2017 die Staatsanwaltschaft Wien, bei ihr werden die größten Wirtschaftskriminalfälle bearbeitet. Gefolgt von der Anklagebehörde in Graz (1860). Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hält sich bei ihren Ermittlungen mit besonderen Maßnahmen zurück (295).
Und wie erfolgreich sind Razzien, Abhöraktionen und Datenabfragen im Kampf gegen die Kriminalität? Die nackten Zahlen vermitteln den Schluss, dass mit immer mehr Überwachung immer weniger aufgeklärt werden kann. 2014 standen noch am Ende von immerhin 2326 Verfahren, in denen eine oder mehrere Überwachungsmaßnahmen gesetzt worden waren, Verurteilungen. 2017 waren es nur noch 1543. Umgelegt bedeutet das, dass nur etwa jede zehnte vom Gericht bewilligte besondere Ermittlungsmaßnahme das bestätigt, was als dringender Tatverdacht angenommen worden war.
Besonders krass ist das Verhältnis zwischen Anzahl der Maßnahmen und Anzahl der Verurteilungen, wenn man sich den Lauschangriff anschaut: 2016 kam es noch in 13 Prozent der Fälle zu einem Schuldspruch, im Vorjahr nur noch in 3,5 Prozent.
Freilich kann man das nicht ganz 1:1 umrechnen. Es gibt Überschneidungen, weil in ein und derselben Causa verschiedene Überwachungen durchgeführt werden können. Zahlreiche 2017 angefallene Strafverfahren sind noch nicht abgeschlossen oder wurden mit anderen Fällen verbunden.
Privatsphäre
Der NEOS-Abgeordnete Nikolaus Scherak hält das von der ÖVP-FPÖ-Regierung beschlossene „Sicherheitspaket“ mit weiteren Eingriffen in die Privatsphäre (Bundestrojaner) angesichts dieser Zahlen jedenfalls für umso fragwürdiger.
Der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl gibt im Überwachungsbericht 2017 der Grünen zu bedenken: Sicherheit werde nicht mit dem vermeintlichen Schutz vor oft medial dramatisierten Gefahren durch immer mehr Überwachung gewährleistet. Die Politik sollte mit zumindest ebenso viel Engagement gesellschaftliche Verhältnisse schaffen, in der Bevölkerungsschichten nicht in Randgruppen der Gesellschaft abgleiten und keine radikalen Milieus entstehen können.