"Haremsdame oder böse Islamistin"
Von Bernhard Ichner
"Mein Leben ist (...) freier und leichter geworden, ohne dass ich auf meinen Glauben verzichtet hätte", zitierte KURIER-Chefredakteur Helmut Brandstätter jüngst eine Muslimin, die nach 30 Jahren ihr Kopftuch abgelegt hatte. Mit seinem Leitartikel ("Religion ist privat, das Kopftuch ein Symbol") löste er eine heftige Debatte aus. In sozialen Medien setzten sich Musliminnen gegen die Vorstellung zur Wehr, das Kopftuch als religiöses Symbol sei ihnen aufgezwungen worden.
Viele von ihnen wollen sich nicht zwischen Gottesfurcht und Emanzipation entscheiden. Islam und Gleichberechtigung seien kein Widerspruch, argumentieren muslimische Feministinnen. Das Kopftuch tragen sie selbstbestimmt und aus religiöser Überzeugung. Dudu Kücükgöl, Integrationsexpertin und gläubige Muslimin, ärgert sich über die Kopftuch-Debatte. Für sie ist sie "sexistisch-rassistisch". "Wir diskutieren nie über das Aussehen oder die Kleidung von Männern" beschwert sich Kücükgöl, die an der Universität Wien Forschungen zu feministischen Fragen anstellt. Sie pocht auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper und Kleidungsstil.
Diskriminierungen
Carla Amina Baghajati konvertierte vor 26 Jahren zum Islam. Die ehemalige Protestantin arbeitet ehrenamtlich als Sprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Vor Kurzem erschien ihr Buch "Muslimin sein". Besonders als solche erkennbare Frauen leiden unter Diskriminierung, berichtet Baghajati.
Wieder über Kleidungsvorschriften zu diskutieren, sei ein Angriff auf die Frauenrechte und die individuellen Freiheiten, meint Kücükgöl. Dabei seien die Gründe, wieso Frauen zum Kopftuch greifen ganz individuell, ergänzt Asma Aiad. Im Rahmen ihres Foto-Projekts "Hijabista" porträtierte die Geschlechterforscherin Frauen mit Kopftuch.
"Im Islam gibt es keinen Zwang. Wir wollen weder ein Gebot noch ein Verbot."
Vom stylischen Hippie-Turban bis zum klassisch-traditionellen Kopftuch, Musliminnen seien genauso "vielfältig wie selbstbewusst".
Wieso Dudu Kücükgöl das Kopftuch trägt? "Weil ich es will und weil ich es kann."
Im Glauben gebe es keinen Zwang – darauf verweisen muslimische Feministinnen gern. "Wir wollen kein Kopftuch-Gebot", doch genauso wenig möchte Aiad, dass ihr verboten wird, ihr Kopftuch zu tragen.
Frauen im Minirock müssen genauso respektiert werden wie Frauen mit Kopftuch, betont Kücükgöl. Das Kopftuch sei zwar keine Säule des Islam – doch bei vielen Musliminnen bestehe der Wunsch nach Verhüllung aus einem tiefen religiösen Bedürfnis heraus, meint Baghajati.
Trotz Diskriminierungen kommt für diese drei Musliminnen ein Ablegen des Kopftuchs nicht infrage. "Das ist eine Opfer-Täter-Umkehr wie sie bei Vergewaltigungsopfern oder Opfern von sexueller Belästigung passiert", sagt Kücükgöl. "Diesen Frauen wird auch gesagt, dass sie sich anständiger anziehen sollen und selber Schuld sind, dass ihnen das passiert."
Die im Irak geborene Pharmaziestudentin Saly A. berichtet von ganz anderen Zwängen. Ihr wurde wegen ein Job verwehrt, weil sie ihr Kopftuch nicht ablegen wollte: "Das kam für mich nicht infrage."
Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch in Österreich Mädchen und Frauen dazu gezwungen werden sich zu verhüllen. "Dennoch gilt das nicht für den Großteil der Musliminnen in Österreich", glaubt Baghajati.
Mitarbeit: Simone Egarter
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Die Zahl Kopftuch-tragender Musliminnen ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Sah man früher vor allem ältere Frauen mit Kopftuch in der Öffentlichkeit, bekennen sich mittlerweile auch immer mehr jüngere, "verwestlichte" Frauen auf diese Weise zu ihrer Religion. Die Motive sind vielfältig. Dass Musliminnen das Kopftuch nur unter Druck tragen, stimme jedenfalls nicht, sagt der kurdisch-türkischstämmige Soziologe Kenan Güngör.
Zwischen den Extrempolen – dem "Zwang"-Argument, das Kritiker gern bemühen, und der von der Linken hochgehaltenen Freiwilligkeit – gebe es viele Nuancen. Etwa den sozialen Druck im Freundeskreis, wo ein Nicht-Tragen des Kopftuchs als unehrenhaft empfunden wird. Jugendliche Musliminnen würden das Kopftuch beispielsweise aber auch tragen, um sich vor Annäherungsversuchen zu schützen.
Herausforderungen
In einem Punkt stimmt Güngör mit Wiens ÖVP-Chef Gernot Blümel überein: Mit den Flüchtlingsströmen kommen massive Herausforderungen auf Europa zu. Wenn es um das Rollenverständnis von Mann und Frau geht, um Religiosität im Alltag und in öffentlichen Institutionen oder auch um die Kindererziehung. "Friktionen und Irritationen werden zunehmen", sagt der Experte für Integrations- und Diversitätsfragen.
Das Kopftuch, das nach Güngörs Einschätzung nicht einmal 30 Prozent der Musliminnen in Österreich tragen, sorgt jedenfalls schon längst für Irritationen. Wie berichtet, stellte Blümel ein Verbot im öffentlichen Raum zur Diskussion (Kasten oben). Dazu der Soziologe: "Es ist ein Riesen-Unterschied, ob mir etwas missfällt oder ob ich es verbiete. Anstatt die Diskussion mit Migranten zu führen, werden seitens der Mehrheitsgesellschaft Ge- und Verbote schnell zum ersten Mittel."
Das sei aber ebenso wenig hilfreich wie "Islam-Versteher", die selbst religionsfern oder religionskritisch sind, in der Kopftuch-Debatte aber nicht hinterfragen, sondern bloß pauschal verteidigen.
"Teil der Wahrheit"
"Muslime, die sagen, das Tragen des Kopftuchs sei ,individuelle Freiheit‘ blenden aber ebenfalls einen Teil der Wahrheit aus", sagt Güngör.
Denn es gehe um das Normalitätsverständnis einer Gesellschaft – "einerseits wollen Frauen nicht auf das Kopftuch reduziert werden, andererseits tragen sie ein sichtbares starkes Zeichen und fallen dadurch natürlich auf. Zu glauben, niemand merkt das und man muss nicht darüber diskutieren – das funktioniert nicht. Zumal das eine Gesellschaft ist, in der Religiosität im öffentlichen Raum massiv rückgängig ist."
Ein Diskurs sei in einer demokratischen Gesellschaft zwar legitim, müsse aber respektvoll geführt werden, meint Güngör. "Wer Kritik üben will, muss auch Selbstkritik üben. Sonst führt das zu Selbstgerechtigkeit. Das ist der Mehrheitsgesellschaft genauso vorzuwerfen wie den Muslimen selbst."
Die Positionen könnten nicht unterschiedlicher sein. Während man in der FPÖ schon lang ein Kopftuchverbot in öffentlichen Gebäuden und Schulen fordert und auch der neue Wiener ÖVP-Chef Gernot Blümel zuletzt via KURIER ein solches im öffentlichen Raum zur Diskussion stellte, sind Grüne und SPÖ mehrheitlich dagegen.
"Ein Kopftuch zu tragen, ist eine individuelle Entscheidung. Mir ist wichtig, dass Frauen diese Entscheidung selbstbestimmt treffen können. Anstelle der Verbotsdebatte braucht es eine Diskussion darüber, wie man Frauen durch Information und Beratung zu einem selbstbestimmten Leben verhelfen kann", sagt Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SP) zum KURIER.
In dieselbe Kerbe schlägt die für Frauen- und Integrationsfragen zuständige Wiener Stadträtin Sandra Frauenberger (SP). Anders als Blümel, der das Kopftuch als "Symbol der Unterdrückung von Frauen" erachtet, fände sie ein Verbot nicht sinnvoll.
Alibi-Argument?
"Wie sollte ein Kopftuch-Verbot Frauen helfen, die nicht selbstbestimmt handeln können?!", fragt sie. Diskussionsbeiträge wie aktuell aus den Reihen der ÖVP würden nicht helfen, sondern bloß Ängste schüren. Sinnvoller sei, die Position der Frauen zu stärken – beispielsweise durch Weiterbildungs- und Sprachangebote.
"Wenn über ein Stück Stoff so laut diskutiert wird", meint Frauenberger im Bezug auf die Kopftuch-Debatte, "dann geht es eigentlich um etwas, über das nicht laut diskutiert wird." Sprich: Radikalisierung, Islamismus, Bedrohung westlicher Werte.