Inferno im Tunnel: "Wer im Auto bleibt, der stirbt"
Von Yvonne Widler
Ohrenbetäubende Explosionen, glühende Hitze, giftige Rauchgase. Die Menschen rannten, T-Shirts auf Mund und Nase gepresst, um ihr Leben. Sie sahen nur schwarz im dichten Qualm. Dann fiel auch noch das Licht aus. Teile der Betondecke stürzten ein. Verzweifelte Hilfeschreie, laute Sirenen. Es waren grauenvolle Szenen, die sich am 29. Mai 1999 im Tauerntunnel zwischen Salzburg und Kärnten abgespielt haben.
Im Schockzustand
Gegen fünf Uhr Früh prallte ein Lkw, vermutlich war der Fahrer in den Sekundenschlaf gefallen, auf eine vor der Baustellenampel stehende Kolonne mit 13 Fahrzeugen. Mehrere Pkw wurden mit voller Wucht unter einem davorstehenden Lkw zusammengequetscht, der mit Tausenden Dosen Spraylack beladen war. Ausfließender Treibstoff führte zu Explosionen. Mehrere Wägen brannten. Eine bis zu 1.200 Grad heiße Feuerwalze rollte durch die Betonröhre.
Einige Autolenker wollten ihre Wägen panisch wenden, um dem Feuer zu entkommen. Sie fuhren sie dabei zu Schrott. Ein belgisches Ehepaar weigerte sich, das Auto zu verlassen, das war das Todesurteil. Insgesamt starben zwölf Menschen im Flammeninferno. 49 wurden verletzt.
Österreich stand unter Schock. Die heimischen Tunnelanlagen und ihre enormen Sicherheitsrisiken seien den Autofahrern nicht länger zuzumuten, sagten damals Politiker und Brandschutzexperten unisono über die Zustände. Die Feuerwehr konnte wegen des starken Rauchs und der gewaltigen Hitze erst am Nachmittag allmählich in den Tunnel vordringen, das „Brand aus“ gab es nach knapp 17 Stunden.
Alles neu
Heute, 20 Jahre und knapp sechs investierte Milliarden Euro später, steht das Datum der Katastrophe im Tauerntunnel für eine Zäsur in der Geschichte der österreichischen Tunnelsicherheit. „So etwas wie 1999 kann heute nicht mehr passieren“, sagt René List von der Asfinag. Der Mann kennt jeden Zentimeter unserer 165 Tunnel und erzählt mit Begeisterung von den höchstmodernen Lüftungsanlagen und den auf 350 Meter verminderten Fluchtwegabständen.
Auf Lists Visitenkarte steht: Abteilungsleiter Elektrotechnische und Maschinelle Ausrüstung. Er ist es also, der die Tunnel kontinuierlich auf den neuesten Stand der Technik bringt. Dabei orientieren sich List und sein Team an der entsprechenden EU-Richtlinie, die hierzulande „übererfüllt wird“, wie er sagt.
Nach der Katastrophe im Tauerntunnel habe ein massives Umdenken begonnen und in den letzten 20 Jahren sei jeder Tunnel risikoanalysiert worden. Da, wo es nötig war, wurde ausgebaut und saniert. „Der letzte Tunnel, der noch nicht entsprechend der EU-Richtlinie umgebaut ist, ist der Karawankentunnel. Dort wird derzeit die zweite Röhre fertiggestellt“, erzählt List und kramt seine Unterlagen hervor.
Rund um die Uhr
List weiß um die Sperrigkeit des Themas und hat in weiser Voraussicht Ansichtsmaterial zusammengestellt. „Die wichtigste Sicherheitsmaßnahme war die Zweiröhrigkeit, damit wir keine Gegenverkehrstunnel mehr haben. Daraus ergeben sich mehr Flucht- und bessere Rettungswege.“ Außerdem: Pannen- und Abstellnischen. Hellere LED-Beleuchtung. Thermoscanner für heiße Lkw. Kürzere Abstände der Hydranten, verdichtete Notrufeinrichtungen, Brandschutzelemente, Entwässerung, Videoüberwachung und Überwachungszentralen, die rund um die Uhr aktiv sind.
Das Herzstück sind die modernen Lüftungsanlagen. Davon gibt es zwei Arten. Jene, die die Luft nach oben absaugen, wie etwa im Gleinalmtunnel. Oder sogenannte Längslüftungssysteme, die den Rauch in die Fahrtrichtung wegblasen. „In den letzten sieben Monaten gab es in Österreich vier schwere Tunnelbrände, wo nichts passiert ist. Daran sieht man, dass die Maßnahmen greifen. Die Menschen schaffen es, in eine sichere Zone zu flüchten.“ Es gebe immer weniger Tote.
Jeder Tunnel hätte seinen eigenen Charakter und seine eigenen Gegebenheiten. Der Arlbergtunnel etwa wurde mit einer Sprühnebelanlage ausgestattet. Die Fluchtwege führen dort über Aufstiege in die Zwischendecke. „Wenn Menschen da oben sind, darf diese Zwischendecke nicht einstürzen. Deswegen gibt es dieses spezielle Löschsystem, das den Brand eindämmt, sodass die Hitzeentwicklung geringer bleibt“, erklärt List.
Die Wahrscheinlichkeit, sich selbst zu retten, sei weit höher als vor 20 Jahren. „Auch die Feuerwehr hat es heute leichter, einen Löschangriff zu starten.“ Über die zweite Röhre könnten die Einsatzkräfte über einen Querschlag einfacher vordringen.
Üben, üben, üben
All das gehört natürlich geprobt. Regelmäßige Tunnelübungen sind wichtig. Meistens finden sie in der Nacht statt, wenn die Tunnel nicht stark frequentiert sind. Bei Großübungen wird ein Unfallgeschehen so real wie möglich nachgestellt. Dazu werden Einsatzkräfte herangezogen, aber auch Statisten eingesetzt, die wie Verletzte geschminkt sind. Sie erhalten ganz konkrete Instruktionen, wie sie sich verhalten sollen.
Teilweise sind bis zu 200 Teilnehmer bei so einer Übung involviert. „Österreich liegt, was die Tunnelsicherheit betrifft, im europäischen Spitzenfeld. Wir werden als führende Nation gehandelt“, sagt List und verweist auf eine Statistik zu vermuteten heimischen Tunnel-Unfallursachen von 2012 bis 2017. Demnach seien Unachtsamkeit, Ablenkung, mangelnder Sicherheitsabstand, nicht angepasste Geschwindigkeit sowie Übermüdung der Fahrer nennenswert.
Eine Sache ist ihm besonders wichtig zu erwähnen: „Wenn im Tunnel ein Brand ausbricht, dann raus! Wenn die Menschen im Auto sitzen bleiben, dann werden sie sterben.“
Das neueste Projekt
Stefan Krausbar leitet das Sachgebiet Verkehrsanlagen und -wege beim österreichischen Bundesfeuerverband (ÖBFV). Er kümmert sich dort also um alles, das notwendig ist, damit die Feuerwehren so gut wie möglich arbeiten können. Krausbar ist zudem stellvertretender Branddirektor der Linzer Berufsfeuerwehr und weiß, wovon er redet. Mit Feuer kennt er sich aus.
Aktuell leitet er ein interessantes Projekt: das Tunneltrainingszentrum am Erzberg in der Steiermark. „Wir planen, dort Attrappen aus hochfestem Stahl einzubauen, die einen Pkw oder Lkw nachstellen. Diese werden mit gasversorgten Feuerstellen ausgestattet, man kann dort Gas anzünden und damit kontrolliert den Heißeffekt üben.“ Doch bei aller Übung: Für die Feuerwehr sei das größte Thema die Ungewissheit. „Wir wissen erst, wenn wir dort sind, was wirklich los ist.“