Hasspostings: Richter im Visier
Gabriela Thoma-Twaroch hat sich seit Längerem wieder einmal selbst gegoogelt. Nicht aus Spaß, sondern aus beruflichen Gründen. Sie ist Vorsteherin am Bezirksgericht Josefstadt in Wien, eine von dreizehn Richtern, die hier über alles von kleinen Diebstählen bis zu Obsorgestreitigkeiten urteilen. In der realen Welt hütet sie das Recht. Glaubt man aber den Postern in den Internet-Foren, die die Google-Suche ausspuckt, ist die Richterin Teil einer Art Verschwörung gegen den Rechtsstaat. Gegen eine ganze Reihe von Richtern richten sich wüste Beleidigungen. Dass sie korrupt seien, ist noch das Geringste.
Hasspostings gehören in Foren und in den sozialen Medien zum Alltag. Nicht nur Minderheiten, Politiker oder Promis, auch Mitglieder des Justizapparats sind zunehmend vom Hass im Netz betroffen, Richter ganz besonders. Doch während Anzeigen und Klagen gegen Diffamierungen im Netz zunehmen, ist es für Richter schwieriger, sich gegen die Anfeindungen zur Wehr zu sehen. Die rechtsprechende Gewalt im Staat steckt in einem Dilemma.
Mehr Hass
„Es ist viel schlimmer geworden“, sagt Thoma-Twaroch. Seit 25 Jahren arbeitet sie als Richterin, seit 25 Jahren auch im Bereich des Familienrechts. Seit Jahren schlägt sie sich mit Diffamierungen gegen sich und andere Kollegen herum. Denn richterliche Urteile bergen Zündstoff. Nicht immer sind alle Seiten mit einer Entscheidung zufrieden. Oft geht es emotional zu. Doch während früher höchstens einmal Flugzettel verteilt wurden, tragen Prozess-Unterlegene ihre Wut immer öfter ins Netz. In Online-Foren finden sie Gleichgesinnte, wo gemeinsam über unliebsame Richter hergezogen wird. In den vergangenen Jahren bildeten die Foren einiger Männerrechtsgruppen den Nährboden für die Entwicklung.
„Unsere Recherche hat ergeben, dass Strafrichter, Staatsanwälte und, derzeit fast am meisten, Familienrichter betroffen sind“, sagt Thoma-Twaroch. Im Familienrechtsprozessen, wenn es um die Obsorge von Kindern geht, kochen die Emotionen besonders oft hoch. Im erbitterten Kampf um ein Kind ziehen die Eltern nicht selten die Prozessbeteiligten in den Konflikt hinein. Und am Ende ist es nur allzu leicht, die Schuld am verlorenen Prozess dem Richter umzuhängen.
„Es ist jede sachliche Kritik an Entscheidungen gerechtfertigt“, sagt sie. „Aber nicht dieses Klima des Hasses, persönliche Diffamierungen oder Stalking.“ Richter seien in der Vergangenheit auf der Straße verfolgt oder heimlich gefilmt worden. Bilder und Informationen von Verwandten tauchten auf einmal in den einschlägigen Foren auf. Sie habe keine Angst , sagt Thoma Twaroch, „Aber in der Kollegenschaft ist ein ungutes Gefühl da. Das wird unterschätzt.“ Bemühungen, die Kommentare löschen zu lassen, hätten bisher nicht gefruchtet.
Härtere Zeiten
Die Entwicklung im Internet verläuft parallel zu einer allgemein aufgeheizten Stimmung im Land. Als Ende Jänner ein Asylwerber wegen der Vergewaltigung einer 72-Jährigen in Traiskirchen zu 20 Monaten verurteilt wurde, brach im Netz ein Sturm von Beschimpfungen gegen die Richterin los, weil das Urteil als zu milde erachtet wurde. Die Namen der Richter bei Prozessen werden am Landesgericht Wiener Neustadt nun nicht mehr öffentlich gemacht. „Man antwortet mit Anonymität auf Anonymität“, sagt Werner Zinkl, der Präsident der österreichischen Richtervereinigung. „Dort wo eine unmittelbare Gefahr für Entscheidungsorgane besteht, ist die einzige Möglichkeit, Namen nicht zu nennen.“
Das Bundesministerium für Justiz (BMJ) hat eine Clearingstelle eingerichtet, wo Bedrohungen von Justizpersonal aufgenommen und analysiert werden. Bei strafrechtlicher Relevanz wird die Polizei eingeschaltet. Auch Gabriela Thoma-Twaroch wurde einmal per Brief „mit dem Umbringen bedroht“, wie sie sagt. Der Täter wurde verhaftet.
„In manchen Ländern gibt es bedrohte Richter, die nur noch unter Polizeischutz außer Haus gehen können“, sagt Werner Zinkl. „Gottseidank sind wir noch nicht so weit. Aber man muss letztlich auch sagen: man muss den Anfängen wehren.“
Verwundbare Richter
Während die Maßnahmen bei strafrechtlichen Tatbeständen verstärkt wurden, bleibt das Vorgehen gegen diffamierende Postings im Internet schwierig, was zu einem Teil an der Anonymität der Poster liegt. Zu einem anderen aber auch daran, dass es für Richter nicht so leicht ist, sich zur Wehr zu setzen. Politiker und Journalisten etwa haben rechtliche und publizistische Mittel zur Verfügung. Für Richter aber kommt der zivile Klagsweg meist nicht infrage.
„Der Richter soll und kann sich nicht selbst gegen Angriffe zur Wehr setzen, da er sich sonst dem Anschein der Befangenheit aussetzen würde“, sagt Gabriele Thoma-Twaroch. „Der Richter muss Distanz wahren.“ In anderen Worten: Ein Familienrichter, der eine Männerrechtsplattform klagt, wird sich immer dem Vorwurf der Parteilichkeit ausgesetzt sein. Die „noble Zurückhaltung“ gehört hierzulande zum Berufsethos, wie auch parteipolitische Tätigkeiten zwar nicht verboten, aber nicht gerne gesehen sind.
Die Befürchtung ist, dass öffentliche Diffamierungen im Netz die Rechtssprechung negativ beeinflussen könnten, indem sie das Vertrauen in den betroffenen Richter und in das System an sich schwächen. Nicht zuletzt dienen Hasspostings auch der Einschüchterung. „Es geht nicht in erster Linie darum, wie es für einen persönlich ist“, sagt Thoma-Twaroch. „Aus meiner Sicht ist das Funktionieren der Justiz gefährdet.“
Forderung nach Justizschutz
Wenn also der Richter oder die Richterin nicht selbst zum Beispiel auf Unterlassung klagen kann, wer dann? Für viele Richter ist hier Staat gefragt. Ein sogenanntes Justizschutzgesetz solle dem Staat ermöglichen, für das Justizpersonal zu klagen, sollte die Sache in einem beruflichen Zusammenhang stehen und nicht ohnehin im Strafrecht abgedeckt sein. Das Gesetz wird seit Jahren debattiert. „Es besteht durchaus eine Erwartungshaltung, dass da was passiert“, sagt Richtervereinigungspräsident Zinkl. „Auch im Bewusstsein, dass es nicht leicht ist. Richter sind grundsätzlich zu Neutralität verpflichtet, die Grundlage dafür ist ein hohes Gut, das muss geschützt werden.“
Im Justizministerium ist ein Justizschutzgesetz zwar Thema. Ein Entwurf dazu ist allem Anschein nach in näherer Zukunft nicht zu erwarten. „Es gibt verschiedene Rechtsmeinungen betreffend eines eigenen Justizschutzgesetzes und was es wirklich braucht. Wir schauen uns das gerade genauer an“, sagt Katharina Holzinger, die Pressesprecherin von Justizminister Wolfgang Brandstetter. „Es gibt bereits strafrechtliche Tatbestände, die sehr vieles abdecken.“
Gemeint ist die jüngste Strafverschärfung bei Verhetzung und die Einführung des Cyber-Mobbings als Straftatbestand. Und diese Strafverschärfungen, so die Pressestelle, kämen schließlich auch den Mitarbeitern der Justiz zugute.