Shitstorm nach Vergewaltigungsurteil
Bisher kannte man das nur von Dschihadisten-Prozessen. Staatsanwälte oder Richter, die aus Angst vor dem IS-Gefolge in die Anonymität abtauchten. Nach einem Zwischenfall im Landesgericht Wiener Neustadt wird das aber in Zukunft auch bei vermeintlichen Routine-Verfahren Schule machen.
Nach einem Vergewaltigungsurteil ist über die zuständige Richterin nicht nur ein Shitstorm (lawinenartige, negative Kritik im Internet, Anm.) herein gebrochen. Sie musste wegen konkreter Drohungen sogar unter Polizeischutz gestellt werden. Das Landesgericht hat daraufhin alle Namen der Richter von den öffentlich zugänglichen Verhandlungsplänen entfernen lassen. Dies wird auch so beibehalten.
In der aufgeheizten Stimmung rund um die Flüchtlingssituation in Österreich gab es ein gesteigertes Interesse der Öffentlichkeit an dem Fall. Ein zum Tatzeitpunkt 17 Jahre alter Asylwerber aus Afghanistan hatte im September in Traiskirchen eine 72-jährige Pensionistin an einem Flussufer niedergeschlagen und vergewaltigt. Er war voll geständig und wurde vom Schöffensenat unter Vorsitz der besagten Richterin zu 20 Monaten unbedingter Freiheitsstrafe verurteilt. Nicht nur für das schwer gezeichnete Opfer, sondern auch für Beobachter fiel das Urteil viel zu harmlos aus. Daraufhin gingen die Wogen hoch.
Morddrohungen
Die Richterin wurde beschimpft, verunglimpft und via eMail massiv mit dem Umbringen bedroht. Am Gericht läuteten die Alarmglocken, die Polizei wurde sofort eingeschaltet. "So etwas ist natürlich extrem Besorgnis erregend. Der Grund für die Strafe liegt in der Schuld des Täters. Es macht keinen Unterschied, welche Nationalität oder Religion jemand hat", erklären die beiden Vize-Präsidenten des Landesgerichts, Birgit Borns und Hans Barwitzius.
Ein Richter müsse die Strafe innerhalb des gesetzlich vorgegeben Rahmens verhängen. "Und diese Strafhöhe war völlig gerechtfertigt", sagt Borns. Das Jugendstrafrecht sieht bei Vergewaltigung eine Höchststrafe von fünf Jahren vor. Als mildernd wurden Geständnis und Unbescholtenheit gewertet, Erschwerungsgründe gab es hingegen keine. "Daher bewegt man sich bei der Strafbemessung im unteren Drittel", sagt Borns. Außerdem sei das Urteil kein Alleingang der Richterin gewesen. "Es wird gemeinsam mit den Schöffen festgelegt. Auch die Staatsanwaltschaft hat nicht dagegen berufen und es so akzeptiert", so Barwitzius.
Eine Umfrage an anderen Gerichtsstandorten hat ergeben, das derartige Bedrohungsszenarien bei Strafverfahren bisher eher selten oder gar nicht vorgekommen sind. "Viel größer ist die Gefahr für Richter in Pflegschafts-, Scheidungs- oder ähnlichen Verfahren, die sehr in den persönlichen Bereich eines Menschen gehen. Entscheidungen werden vom Betroffenen vielfach als Kränkung empfunden, worauf es dann zu Wutausbrüchen und auch Drohungen kommt", erklärt der Sprecher des Landesgerichts Korneuburg, Gernot Braitenberg-Zennenberg.
Er selbst hat 2010 einen der erschütterndsten Fälle verhandelt: Johann Preiss, ein Zeichenprofessor aus Krems, wollte sich am Bezirksgericht Hollabrunn an seiner Scheidungsrichterin rächen. Weil sie sich dem bewaffneten Mann in den Weg stellte, erschoss Preiss die 42-jährige Rechtspflegerin Silvia Mestnik. Der Mörder bekam lebenslang. In der Folge wurden die Zutrittskontrollen auch an Bezirksgerichten massiv verschärft.
Schutzschild
Der Präsident der Richtervereinigung, Werner Zinkl, sieht in der Anonymität einen Schutz für die Kollegen. Ergebnisse von Gerichtsverfahren würden oftmals kein Verständnis hervorrufen, Kritik sei zuzulassen. "Aber es wird auch beleidigt, bedroht, es gibt vermehrt Angriffe, so dass man einen Schutzschild ziehen müsse.
Auf die Namen der Richter kommt es Zinkls Meinung nach nicht an: "Er entscheidet ja nicht als Franz Bauer, sondern als Vertreter des Gerichts." Der Polizist müsse ja auch nur seine Dienstnummer und nicht seinen Namen nennen. Im übrigen erfahre der Richter schon durch den Talar Anonymität: "Alle schauen gleich aus."
Der KURIER sprach mit dem Österreich-Generalsekretär von Amnesty International, Heinz Patzelt, über anonyme Richter und Ankläger.
KURIER: Passen namenlose Richter in einen modernen Rechtsstaat?
Es ist eine Errungenschaft des transparenten Rechtsstaates, dass er alle Elemente von Geheimprozessen aufgegeben hat. Ich erkenne die Risiken des Berufsstandes, trotzdem sollten wir bei maximaler Transparenz bleiben. Sonst enden wir bei maskierten Richtern wie im Mittelalter. Zum Glück gibt es mutige Richter und Staatsanwälte, die mit ihrer Person für die Qualität ihrer Arbeit stehen.
Benötigen die Richter den Schutz der Anonymität?
Man muss sie auf andere Weise schützen können. Aber die Öffentlichkeit ist ein zentraler Punkt des Rechtsstaates. Außerdem: Man sieht die Wirkung bei der Justizwache: Je maskierter, desto mehr wird Gefährlichkeit signalisiert.
Richterpräsident Zinkl meint, durch den Talar erfahre der Richter ja auch eine gewisse Anonymität, auf den Namen komme es nicht an.
Der Talar hat einen anderen Sinn als den der Verschleierung, nämlich dass er soziale Gleichwertigkeit schafft. Es soll bei den Urteilen nicht darauf ankommen, ob der Richter den teureren Anzug trägt.
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