Chronik/Österreich

Fall Dr. L: Vor Gericht blieben die Hilfeschreie ungehört

Es sind Aufzeichnungen, die die Verzweiflung spürbar machen: Im Jahr 2011 schilderte ein Mädchen in ihrem Tagebuch den Psychoterror durch ihren Vater, dem sie regelmäßig ausgesetzt war. „Er hat mich angerufen und gesagt: Nur dass du es weißt. Ich habe jetzt mein Testament geschrieben.“

Am nächsten Tag meldete er sich wieder: „Du brauchst dir keine Sorgen machen, bis Donnerstag bringe ich mich nicht um.“ „Warum?“, fragte sich M. „Ich kann nicht mehr!!! Hilfe!“

M. ist die Tochter von Dr. L. Jenem steirischen Arzt, der in Graz vor Gericht stand, weil er seine vier Kinder jahrelang gequält haben soll. Er wurde freigesprochen – doch das Urteil wurde aufgehoben, der Prozess wird wiederholt. Richter Andreas Rom hatte Beweismittel nicht in seine Entscheidung einfließen lassen, auch belastende Zeugenaussagen wurden nicht berücksichtigt. Die entsprechende Begründung des Oberlandesgerichtes Graz liegt dem KURIER nun vor.

Schwarzes Loch

Und auch weitere Schilderungen von Tochter M., die wohl auch im neuen Prozess eine gewichtige Rolle spielen werden: M. erzählte ihrem Tagebuch auch über ihre Versuche, sich das Leben zu nehmen – mit einer Medikamentenüberdosis. „Ich habe das Gefühl, dass mein Herz nicht mehr schlägt und sich dort nur ein großes schwarzes Loch befindet. Ich hoffte, ich würde bewusstlos werden und an meiner eigenen Kotze ersticken.“

Die Aufzeichnungen lagen auch beim Verfahren gegen den steirischen Arzt Dr. L. vor. Berücksichtigt wurden sie aber nicht. Genauso wenig wie Aussagen von Dr. L. selbst, seine Kinder „durch Bemerkungen, Blicke, Demütigungen und Entwertungen verletzt“ zu haben.

Auch nicht die protokollierten Selbstverletzungen des Angeklagten, die laut OLG für die minderjährigen Kinder „durchaus zur Auslösung seelischer Qualen geeignet erscheinen“. So führte er sich einmal einen Schraubenzieher in die linke Seite seines Bauches und forderte dann eine Tochter dazu auf, den Schraubenzieher wieder herauszuziehen.

Und auch nicht berücksichtigt wurden die „klaren Hinweise auf den Besitz und Konsum von Cannabisprodukten“. Dr. L. wird unter anderem vorgeworfen, seine Kinder zum Konsum verleitet zu haben. Einer Tochter soll er zudem über Jahre Schmerzmittel verabreicht haben – das Mädchen wurde süchtig.

Stattdessen vermutete der Richter einen Rosenkrieg. Die Ex-Frau verfolge „das Ziel seiner Vernichtung“ und „manipuliert oder instrumentalisiert dazu die gemeinsamen Kinder“. Die leugnende Verantwortung von Dr. L. wertete der Richter als „äußerst nachvollziehbar“ und „schlüssig“.

Sämtliche Kinder kämpfen noch immer mit den seelischen Folgen.

Schenkung

Und es sind auch neue merkwürdige Vorgänge, bei denen der Name von Dr. L. auftaucht: Eine betagte Patientin soll ihm ihr Haus geschenkt haben, das aktuell um rund 150.000 Euro zum Verkauf steht.

Als Besitzerin scheint in der Schenkungsurkunde die neue Lebensgefährtin von Dr. L. auf. Man habe das so geregelt, „damit Dr. L. aus berufsethischen Gründen nicht als Besitzer aufscheint“. Eine entsprechende Aussage liegt dem KURIER vor. Im Schenkungsvertrag allerdings ist auch ein lebenslanges Wohnrecht für die 83-Jährige eingetragen. Sie lebt derzeit in einem Pensionistenheim.