Fall Aliyev: Heißer Poker vor der Haftverhandlung
Bereits bei der Verhaftung des kasachischen Ex-Botschafters Rakhat Aliyev wegen Mordverdachtes vor wenigen Tagen war schon klar, dass nun in die Endlos-Affäre eine neue Dynamik kommt. Sollte es zur Mordanklage kommen, müssen österreichische Geschworene darüber entscheiden, ob der Ex-Schwiegersohn des kasachischen Herrschers Nursultan Nasarbajew in seiner Heimat drei Bankmanager umgebracht hat.
Die erste Zwischenrunde gibt es kommenden Freitag bei der Haftprüfungsverhandlung. Da wollen die Aliyev-Anwälte Manfred Ainedter und Otto Dietrich einen Enthaftungsantrag stellen. Ihrer Ansicht nach reichen die Beweismittel nicht aus.
Montag gingen der Wiener Rechtsanwalt Gabriel Lansky und sein Partner Gerald Ganzger bei einer Pressekonferenz in die Gegenoffensive. Sie vertreten die Witwen der toten Bankmanager. Nachdem sie Akteneinsicht bekommen haben, sprechen sie von "unfassbar dichtem Beweismaterial".
Aliyev-Jäger
Ein wesentliches Beweismittel für die Aliyev-Jäger sind Mitschnitte von Skype-Telefonaten zwischen dem Geschäftsmann Lev Nakhmanovich und dem früheren kasachischen Geheimdienstchef Alnur Mussayev. Bei Mussayev handelt es sich um den früheren Chef des Aliyev, weil der einige Jahre lang stellvertretender Direktor des kasachischen Geheimdienstes KNB war. Mussayev behauptet in den Telefonaten, dass er den Fundort der erst später entdeckten Leichen kenne. Und dass er ein schriftliches Geständnis Aliyevs besitze. Weiters sollen die beiden auch Strategien gegen die Aliyev-Gegner in Österreich entwickelt haben und hinter der inzwischen eingestellten Anzeige gegen Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer wegen nachrichtendienstlicher Tätigkeit stecken.
Geheimdienstmilieu
Aliyevs Verteidiger sehen diese Beweismittel als das Produkt einer Mischung von Fälschung und Nötigung in einem ganz düsteren Geheimdienstmilieu. Mussayev wurde in Wien als angeblicher Aliyev-Komplize ebenfalls verhaftet und in U-Haft genommen. Bei der Hausdurchsuchung wurde tatsächlich eine Art "Geständnis" in Form einer Kopie gefunden. Und zwar als Brief, den Aliyev an seinen Schwiegervater, den Präsidenten, geschrieben haben soll.
Die Anwälte meinen aber, das dieses Geständnis schon mit bloßem Auge als Fälschung erkennbar sei. Außerdem hätte ihr Mandant nie eine Veranlassung gehabt, seinem Schwiegervater einen derartigen Brief zu schreiben. Bezüglich der Skype-Telefonate mutmaßen sie, dass die Gesprächspartner von KNB-Agenten zu diesen Aussagen genötigt wurden. Es war ja schließlich auch ein kasachischer KNB-Mitarbeiter, der den Datenspeicher mit den Gesprächen bei der Staatsanwaltschaft Wien abgegeben hatte.
Ein Mann, der schon einmal eine belastende Aussage gegen Rakhat Aliyev widerrufen hatte, ist nun der Schlüssel der Staatsanwaltschaft Wien für einen Haftbefehl wegen Mordverdachts gegen den kasachischen Ex-Botschafter.
Aliyev wird von der kasachischen Justiz vorgeworfen, er hätte in der Hauptstadt Astana zwei Bankmanager ermordet und in Beirut eine schwangere Freundin ermorden lassen. Nachdem der mittlerweile in Ungnade gefallene Ex-Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajev in seiner Heimat kein faires Verfahren erwarten kann, wird er nicht ausgeliefert. Die Staatsanwaltschaft Wien muss das Verfahren führen. Die Staatsanwälte haben in den letzten drei Jahren fast 100 Zeugen per Skype vernommen.
Ein "dringender Tatverdacht", der für eine Verhaftung vorliegen muss, konnte bisher nicht herausgearbeitet werden. Zu unklar sind die Hintergründe der Zeugen. Bei einigen handelt es sich um ehemalige Aliyev-Mitarbeiter, die aus kasachischen Arrestzellen vorgeführt wurden. Sie könnten zu Gefälligkeitsaussagen vom kasachischen Geheimdienst KNB genötigt worden sein.
Tatverdacht
Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Wien nach der Auswertung eines Skype-Telefonats des ehemaligen KNB-Geheimdienstchef Alnur Mussayev einen "dringenden Tatverdacht" gefunden. Auch Mussayev lebt jetzt in Wien. Er soll einem Gesprächspartner geschildert haben, dass er den Aufenthaltsort der Leichen der Bankmanager kenne und über ein Geständnis von Aliyev verfüge.
Hier haken die Aliyev-Verteidiger Manfred Ainedter und Otto Dietrich ein. Mussajew hatte im August 2009 der Krone ein Interview mit schwer belastenden Aussagen gegen Aliyev gegeben. Bei einer späteren Vernehmung vor dem Verfassungsschutz widerrief er aber diese Behauptungen, und erklärte, dass er vom kasachischen KNB zu diesen Aussagen gezwungen worden sei. Demnach habe ihm ein KNB-Offizier befohlen, er sollte seinen ehemaligen Weggefährten Aliyev in der Kanzlei des Wiener Anwaltes Gabriel Lansky mit Falschaussagen belasten, andernfalls würde es seiner Familie in der Heimat schlecht gehen.
Seitdem laufen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wien gegen Lansky wegen nachrichtendienstlicher Tätigkeit zugunsten des KNB und wegen Nötigung des Mussajev. Lansky bestreitet die Vorwürfe aufs Heftigste.
Warum nun ein sieben Jahre altes Skype-Telefonat von dem selben Mann plötzlich als glaubwürdig erachtet wird, ist den Aliyev-Anwälten unklar. Klar ist aber: Die unendliche Geschichte mit Nötigung und Entführungsversuchen geht im Falle einer Anklage dem Ende zu – egal, wie das Urteil ausfällt. Im Außenministerium betrachtet man die Entwicklung mit Wohlwollen. Wie Depeschen der österreichischen Botschaft in Astana zu entnehmen ist, belastet die Affäre die diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und Kasachstan enorm.
Das könnte aber auch weiter der Fall sein: Denn Aliyev hat nach der Verhaftung um politisches Asyl angesucht. Ein Schritt, den das Innenministerium vor Jahren vermeiden wollte, indem ihm ein Fremdenpass mit voller Reisefreiheit ausgestellt wurde.