Experte Kreissl: "Politiker polen Wahrnehmung um"
Nach den jüngsten Messer-Attacken liefert ein glimpflich ausgegangener Vorfall das nächste Beispiel dafür, wie Politik und Medien das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung schwächen können.
Ein 26-Jähriger war kurz nach acht Uhr auf einen Streifenwagen vor dem provisorischen Parlamentsgebäude auf dem Heldenplatz zugegangen. Die Beamten öffneten das Fenster. "What’s the matter (Anm. Was ist los)?", fragte ein Beamter. "That’s the matter (Anm. Das ist los)?", erwiderte der Mann, packte den Polizisten und versuchte, ihn durch das Fenster aus dem Auto zu zerren. Er wurde festgenommen.
Bei der anschließenden Personenkontrolle stellte sich heraus, dass der Angreifer ein afghanischen Asylwerber ist. Das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) ermittelte, ob es eine Verbindung zu der Messerattacke vor der iranischen Residenz in Wien-Hietzing gab. Es zeigte sich jedoch, dass der Asylwerber, der im August 2015 nach Österreich gekommen war, schon zwei Mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war. Und einfach einen Groll gegen die Exekutive hegen dürfte.
Thema Nummer 1
Bei einer Pressekonferenz des Innenministeriums am Dienstag wurde der Fall sogleich prominent thematisiert: FPÖ-Innenminister Herbert Kickl hätte sich bei dieser Pressekonferenz eigentlich dem BVT widmen wollen, zuvor sprach er jedoch eine halbe Stunde über die Problematik straffälliger Asylwerber – vornehmlich aus Afghanistan.
Er kündigte an, aufgrund der jüngsten Anlassfälle Konsequenzen ziehen zu wollen: Weil ein Afghane in Wien-Leopoldstadt vier Menschen niedergestochen haben soll und der eingangs erwähnte 26-Jährige am Heldenplatz einen Polizisten angegriffen hatte, seien Verschärfungen im Asylrecht angebracht, sagte Kickl. Künftig soll darum bei straffällig gewordenen Asylwerbern leichter Schubhaft nach Haftentlassung verhängt werden; zudem will man Beamte des Bundesamts für Asyl mit Polizisten auf Streife schicken, um untergetauchte Asylwerber ausfindig zu machen. Und bei Abschiebungen, und da speziell nach Afghanistan, sollte "so restriktiv wie möglich" vorgegangen werden, sagte er – und wetterte danach über jene Parteien und NGOs, die Rückführungen in das vom Krieg gezeichnete Land verhindern wollen.
"Politisches Kalkül"
Wieso diese Schelte? Fragt man bei jenen NGOs nach, die er attackierte, ist die Erklärung einfach: "Es geht um politisches Kalkül", sagt Helmut Langthaler von der Asylkoordination. Am gestrigen Montag waren Beamte des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Wien; die gaben im Innenministerium und bei NGOs ihre Einschätzung ab, wonach Abschiebungen nach Afghanistan massiv erschwert werden sollten – die Sicherheitslage habe sich extrem verschlechtert.
Das ist eine große Hürde für die restriktive Asylpolitik der Regierung: Bis 2017 waren Abschiebungen nach Afghanistan genau aus diesem Grund fast unmöglich, seither wird aber in großem Stil zurückgeführt – und auch die Zahl der Negativ-Bescheide geht stark nach oben. Muss die Koalition das nun auf UNHCR-Empfehlung eindämmen, wäre das politisch schwer zu argumentieren.
Panikmache?
Bleibt die Frage: Welche Auswirkung haben mediale und politische Angstmache auf die Bevölkerung? Wenn man über Wochen mit derartigen Meldungen bombardiert wird, habe das einen Effekt auf das subjektive Sicherheitsempfinden, sagt Soziologe Reinhard Kreissl vom Wiener Zentrum für sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung. "Je mehr Medien und Politiker eine Situation der Unsicherheit vermitteln, desto unsicherer fühlt man sich auch", sagt Kreissl.
Der Eindruck subjektiver Unsicherheit entstehe nicht nur durch das Thematisieren der Attacken, sondern auch durch die Präsentation von Lösungen zum Schutz der Bevölkerung, wie etwa Poller. "Politiker polen so die öffentliche Wahrnehmung um." Eine wesentliche Rolle spiele zudem die Selbstverstärkung der Medien: Berichtet eine Zeitung über einen spektakulären Fall, bringe die andere am nächsten Tag eine noch stärker zugespitzte Geschichte. Bestimmte Phänomene würden so zum Selbstläufer, erklärt der Experte. Er verweist auf ein Beispiel aus der Vergangenheit: "Auf einmal war die Welt voller Horror-Clowns."
Was Politiker derzeit machen, sei von Einzelfällen auf eine gesellschaftliche Gruppe zu schließen, kritisiert Kreissl. "Und da beginnt das Problem." Ebenso wenig sei es zulässig, die Messer-Attacken auf eine Ursache zurückzuführen – etwa auf eine verfehlte Migrationspolitik, wie es zuletzt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) tat. Dass Nachahmungstäter durch die Berichterstattung zu Angriffen inspiriert werden, sei nicht auszuschließen, räumt Kreissl ein. Grund zu akuter Sorge bestehe aus seiner Sicht aber nicht, denn: "Das Risiko, vom eigenen Partner niedergestochen zu werden, ist größer, als von einem Afghanen angegriffen zu werden, der mit dem Messer hinter einem Busch steht."