Chronik/Österreich

Das Geschäft ohne Kassa-Personal

Beim Ausgang geht es vorbei an der elektronischen Diebstahlsicherung, wie sie jeder Kunde aus zahllosen Shops kennt. Davor fehlt aber, was heute noch in jedem Geschäft zum Standardinventar gehört: die Kassa und der Angestellte dahinter. Dafür stehen zwei Securitys vor dem am Donnerstag neu eröffneten Geschäft – dem europaweit ersten kassenfreien Elektronik-Markt.

In Innsbruck startet der Konzern Mediamarkt/Saturn einen Testballon für ein Modell, das eines Tages vielleicht zum Alltag gehört. In einem 120 Quadratmeter großen Pop-up-Store im Einkaufszentrum Sillpark können die Kunden Produkte direkt am Regal mit einer Handy-App einscannen und sofort elektronisch bezahlen. Damit wird auch die Diebstahlsicherung an den Waren deaktiviert. Der Kunde wird so selbst zur Kassakraft.

Bleibt die Frage, was heißt das für den Personalstand von Unternehmen, die solche Selbstbedienungskonzepte verfolgen? "Wir bieten neue Dienstleistungen an. Das müssen wir mit Menschen machen. Es geht nicht darum, Personal abzubauen", versichert Florian Gietl, Österreich-Chef von Mediamarkt/Saturn, der bundesweit 52 Geschäfte betreibt und rund 3000 Mitarbeiter beschäftigt.

Mehr Kundenkontakt

Die Mitarbeiter (zwei bis drei sind bei normalem Betrieb im Dienst, Anm.) sollen sich verstärkt um die Kunden kümmern, "Partner und Navigator in die digitale Welt" sein, wie das im Unternehmerjargon heißt. "Der Handel wird sich in den nächsten zehn Jahren stärker ändern als in den 100 davor", sagt Martin Wild, Innovationschef der Unternehmensgruppe, die sich zunehmend gegen Online-Konkurrenz behaupten muss.

Dass in diesem Wettbewerb Beratung, Warenverfügbarkeit und Service vor Ort die größten Vorteile des stationären Handels sind, weiß auch die Handelsexpertin Anita Palkovich von der Gewerkschaft GPA-djp.

Wenn Unternehmen gegenüber Kunden zunehmend auf Selbstbedienungsmodelle setzen – egal ob das die Banken mit Online-Banking betreiben, Airlines mit Self-Check-in oder Supermärkte mit Scannerkassen – hat das für sie zwei Facetten. "Der Kunde bekommt hier Tätigkeiten von Mitarbeitern übertragen", sagt Palkovich. Der digitale Wandel werde jedenfalls auch den stationären Handel immer stärker betreffen. Wie sich das aber auf Personalstände auswirkt, ist noch nicht absehbar.

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"Es gibt Studien, die sagen dass Arbeitsplätze verschwinden werden, wenn im Zuge der Digitalisierung keine neuen Tätigkeiten im Handel geschaffen werden", erklärt Palkovich. Laut einer Studie im Auftrag der Arbeiterkammer könnten durch die Konkurrenz aus dem Online-Handel in Österreich bis 2020 etwa 7000 bis 14.00 0 Jobs gefährdet sein.

Gewerkschafter beobachten daher mit Argusaugen, ob bei Projekten wie jenem von Saturn Mitarbeiter im Unternehmen nur anders eingesetzt werden – etwa als Berater statt als Kassakräfte – oder unter dem Strich Jobs abgebaut werden.

Starker Wandel

In der Wirtschaftskammer sieht man die Sache positiv. "Das ist die Veränderung der Zeit. Andere Länder sind da ja schon viel weiter", betont etwa Gerhard Wohlmuth, Obmann der Sparte Handel in der Steiermark. "Die Mitarbeiter haben so mehr Zeit für die Beratungstätigkeit vor Ort. Das wird immer wichtiger."

Zwar gäbe es durch die Technik Verschiebungen in der Form der Arbeitsplätze, nicht aber in deren Anzahl, meint Wohlmuth. Er habe daher keine Sorge, dass durch mehr Selbstbedienung Jobs verloren gingen. Das beweisen auch die Zahlen: Rund 75.000 Steirer waren 2017 im Handel beschäftigt, 1,4 Prozent mehr als 2016.

In der Entlohnung wurde dem neuen Trend im Handel bereits Rechnung getragen. Wenn sich die Tätigkeit eines Mitarbeiters Richtung Beratung und Überwachung verlagert, ist das auch höher zu entlohnen, erklärt Gewerkschafterin Palkovich.

Der Einkauf über Apps, auch im stationären Handel, erspart Händlern nicht nur Kassen-Personal, sondern ist auch ein wirksames Mittel, um wertvolle Daten über ihre Kunden zu sammeln. Die Datenspur, die Nutzer im Internet hinterlassen, wird dann nahtlos in den stationären Handel weitergezogen. Über Smartphone-Anwendungen können etwa Standortdaten von Kunden an den Händler gelangen. Der kann sie dazu nutzen, um Kunden abgestimmt auf ihren Standort gezielt Angebote zu machen. Auf diese Art können Kunden etwa über das Handy an den Kauf bestimmter Artikel erinnert werden, wenn sie sich in einer Filiale des Händlers befinden oder auf ihr früheres Kaufverhalten abgestimmte Angebote erhalten. Eben so gut ist es aber auch möglich, dass Preise individuell an Datenprofile angepasst werden. Im Online-Handel sind dynamische Preise keine Seltenheit. Algorithmen berechnen aus den vorhandenen Daten unterschiedliche Preise. Mit digitalen Preisschildern, die vom Händler jederzeit geändert werden können und die es in einigen Supermärkten bereits gibt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die dynamische Preisgestaltung auch im stationären Handel Einzug hält. Je nach Tageszeit oder Kundenprofil könnten dann für die Flasche Wein im Supermarkt unterschiedliche Preise aufscheinen. Die Verknüpfung persönlicher Daten mit dem Kaufverhalten hat Datenschützer bereits bei den allgegenwärtigen Kundenkarten auf den Plan gerufen. Mit den Daten aus Online-Tools und den immer präziser werdenden Möglichkeiten der Datenanalyse werden Kunden zunehmend gläsern.