Chronik/Österreich

Eine Stadt sucht einen Mörder

Mehrere dutzend Grabkerzen und ein Blumenmeer bedecken eine Stelle am Kopfsteinpflaster vor dem Bürgerbräuhaus im bayerischen Bad Reichenhall. "Schau, da ist es passiert", flüstert eine Passantin im Vorbeigehen.

Es ist die Stelle, an der am 14. Juli der 73-jährige Alfons S. von einem Unbekannten zu Tode geprügelt wurde. Kurz darauf attackierte derselbe Täter ein paar hundert Meter weiter noch eine 17-Jährige mit einem Messer. Sie überlebte mit schweren Stichverletzungen.

Die Lebensgefährtin des Toten meidet die Gedenkstelle. Verstehen kann sie die Tat bis heute nicht. "Alfons hat mit seinen Freunden gefeiert, dass Deutschland Fußballweltmeister geworden ist. Für seine letzten Euros hat er noch eine Lokalrunde spendiert. Er hatte also nicht einmal Bargeld dabei, das man ihm rauben hätte können", sagt sie mit Tränen in den Augen. Am Mittwoch nahm sie bei der Beisetzung Abschied.

Phantombild

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Erni S. kauft beim Kiosk neben der Gedenkstelle eine Zeitung. DasPhantombild des Mörders, das die Kriminalpolizei Traunstein veröffentlicht hat, prangt von allen Titelblättern. "Schlimm", sagt die 72-jährige Einheimische und bleibt kurz vor den Kerzen stehen. "Ich habe den Alfons gekannt. Er war ein lustiger Kerl und ist gerne tanzen gegangen, so wie ich. In Zukunft werde ich mir danach ein Taxi leisten. Zu Fuß hat man hier in der Nacht kein gutes Gefühl mehr."

Auch einem Urlauber-Paar aus Mainz ist seit dem Vorfall mulmig zumute. Immerhin läuft der Mörder noch frei herum, macht Jutta ihren Gatten Klaus aufmerksam. "Mörder gibt es überall", sagt er, und schlendert weiter. Er will die Augen offen halten, das Phantombild hat er sich gut eingeprägt.

Bevölkerung in Angst

So geht es vielen in der Kurstadt nahe der Salzburger Grenze, weiß Jürgen Thalmeier von der Sonderkommission des Bayrischen Landeskriminalamts. "Tötungsdelikte haben meistens etwas mit persönlichen Beziehungen zu tun. Dieser Fall ist anders. Das bewegt ganz Reichenhall, weil man denkt: ‚Das hätte mir auch passieren können’", beschreibt Thalmeier die Stimmung.

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Um den Menschen Sicherheit zu vermitteln, sei die Polizeipräsenz auf den Straßen deutlich erhöht worden. Die Polizei hofft auf Zeugen und hat für den entscheidenden Tipp 20.000 Euro ausgelobt. Seit der Veröffentlichung des Phantombilds am Dienstag seien etliche telefonische Hinweise eingegangen – bis Mittwochmittag waren es schon 100. "Das Bild ist dank der Beschreibung des verletzten Mädchens und anderer Zeugen gut gelungen. Wir gehen jedem Hinweis nach, sie sind mit großer Sorgfalt zu behandeln", betont der Polizist.

Die 50-köpfige Sonderkommission arbeitet auf Hochtouren, kann die Tatnacht aber nur vage rekonstruieren: Die beiden Opfer haben sich unabhängig voneinander in der Kneipe P42 in der Poststraße aufgehalten. Der Täter dürfte in den Morgenstunden zuerst dem 73-jährigen Alfons S. durch die Fußgängerzone zum Bürgerbräu gefolgt und nach der Bluttat weiter zur Berchtesgadener Straße gegangen sein, wo er auf sein zweites Opfer, die 17-Jährige, traf.

Das Motiv ist noch völlig unklar. Ein Team von Fallanalytikern – darunter der bekannte Profiler Alexander Horn aus München, der bereits beim Fall Lucile in Tirol beteiligt war – arbeiten gerade an einem Täterprofil. Vom "klassischen" Raubmord bis zum Anschlag eines psychisch Kranken sei alles möglich, sagt Thalmeier.

Tom K. (Name von der Redaktion geändert) war am 14. Juli gegen 3 Uhr morgens nach dem WM-Finalspiel auf dem Weg nach Hause, als er den ermordeten Alfons S. blutüberströmt in der Poststraße entdeckte. Mit dem KURIER spricht der 21-Jährige aus Bad Reichenhall über jene Nacht.

KURIER: Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie den Mann da liegen gesehen haben?
Tom K.: Zuerst nur, dass ich ihm helfen muss. Überall war Blut, sein Kopf war seitlich komplett eingeschlagen. Ich habe ihm den Puls gefühlt und die Rettung gerufen.

Haben Sie noch versucht, ihm zu helfen?
Ja, ich habe mich neben ihn gehockt und mit ihm geredet, weil ich gedacht habe, er lebt vielleicht noch. Aber der Puls, den ich gespürt habe, war vor lauter Aufregung wohl mein eigener.

Wie haben Sie dieses Erlebnis verarbeitet?
Ich bin gleich danach psychologisch betreut worden. Aber auch jetzt noch, fast zwei Wochen später, weiß ich nicht so recht, wie ich damit fertig werden soll. Diese Bilder vergesse ich wohl nie.

Sie sind sicher oft in den Lokalen hier in der Altstadt unterwegs. Kommt Ihnen der Mann auf dem Phantombild bekannt vor?
Nein, überhaupt nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, wer so etwas getan haben könnte. Das muss schon ein sehr brutaler Mensch sein, der einen anderen so zurichtet.

Wie geht es Ihnen damit, dass hier vielleicht noch ein Mörder frei herumläuft?
Nicht gut, aber das geht jedem hier so. Man kann nur hoffen, dass so etwas nicht noch einmal passiert und dass die Polizei ihn bald schnappt.