Verurteilter Vater strebt Prozess-Wiederaufnahme an
Die Idylle des Weihnachtsmarkts im offenen Hof der Justizanstalt oder die Geburtstage in der Familie setzen Rupert W. in diesen Tagen besonders zu. Der 62-jährige Pensionist ist für siebeneinhalb Jahre in der Justizanstalt Garsten, OÖ, inhaftiert. Mehr als zwei Jahrzehnte lang soll er eine seiner beiden Töchter sexuell missbraucht haben. Ein unverzeihliches Verbrechen. Aber nicht nur Verwandte sind überzeugt, dass da tatsächlich kein Krimineller hinter Gittern sitzt.
"Anhand der Fakten und dem Prozessablauf ein klassischer Fall für eine Wiederaufnahme des Verfahrens", ist Robert Gangl vom Verein BBSV (Bürgerinnen und Bürger Selbsthilfe-Vereinigung) überzeugt. Der pensionierte HTL-Direktor und seine Mitstreiter haben einst den als Justizirrtum bekannt gewordenen Fall Ambrosi wieder ins Rollen gebracht (siehe Zusatzbericht unten). Im Fall von Rupert W. erkennen sie dringenden Bedarf, dass der Rechtsstaat das Urteil noch einmal genau durchleuchtet.
Der Kunststoffverarbeiter W. (Anwalt Nikolaus Rast) war 2013 am Landesgericht Steyr zu sechs Jahren, später vom Oberlandesgericht Linz wegen der Schwere des Missbrauchs zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Im Oktober 2014 wurde er inhaftiert.
Überfall
"Immer, wenn ich bei ihm bin, fragt er ,was tue ich hier eigentlich‘", sagt W.’s 56-jährige Ehefrau Inge. "Man kann sich nicht vorstellen, was wir durchgemacht haben. Wir waren eine ganz normale Familie. Dann brach von heute auf morgen alles zusammen", grübelt die Frau. Dass ihr Mann von ihrer 34-jährigen Tochter unschuldig ins Verderben geschickt wurde, ist für Inge. W. völlig klar. Der Prozess und die Berufungen verschlagen sämtliche finanziellen Reserven.
Täglich, wenn sie im Keller zum Auto geht, wird sie an unglaubliche Vorkommnisse und Anschuldigungen erinnert. Am 8. März 2012 lauerten die Tochter und ihr Freund im Dunkeln des Kellers vermummt Rupert W. auf und schlugen ihn brutal mit einem Baseballschläger nieder. Das Duo wurde ausgeforscht und zu fünf Jahren bedingter Haft verurteilt. "Für mich war der Überfall ein Racheakt, weil sie beim Erben des Hauses das Nachsehen hatte", meint Aktivist Gangl. Zu ihrer Verteidigung zündete die Tochter ein Pulverfass: Von Kindesalter an habe sie der Vater betrunken gemacht und missbraucht.
Anschuldigungen
Detaillierte Beschuldigungen, wie sie in W.’s Urteil zu lesen sind, verursachen bei Inge W. Zorn und Übelkeit. "Da steht, dass die Vergewaltigungen im Bügelzimmer im Keller passiert seien. Nie hatten wir hier ein Bügelzimmer. So vieles passt nicht zusammen", sagt sie. Gangl dazu: "Dass die Frau in so vielen Jahren bei so schweren Delikten nichts bemerkt hat, ist fast unmöglich." Vor allem kritisiert er aber, dass im psychologischen Gutachten eine posttraumatische Belastungsstörung beim Opfer diagnostiziert wird. Das war ausschlaggebend für das Urteil. Die Untersuchung eines Psychiaters, worauf sich die Störungen begründen, lehnte das Gericht aber ab.
Viele offene Fragen
Der BBSV legt im Fall Rupert W. eine lange Liste mit Argumenten vor, die W.s Schuld infrage stellen. Ein Auszug: Den Tatort „Bügelzimmer im Keller“ habe es demnach nie gegeben. Freunde waren oft im Kellerstüberl und könnten das bezeugen. Das Bügelzimmer liege im Erdgeschoß direkt neben dem Schlafzimmer der Eltern, die Ehefrau hätte einen Missbrauch der Tochter wohl mitbekommen. Dass beim Opfer Drogenkonsum festgestellt wurde, spielte beim Prozess, wie auch der Überfall auf den Vater, keine Rolle. Die Schwester entlastet den Vater.
Beim Prozess gegen Rupert W. sind zu viele Aspekte unbeleuchtet und unberücksichtigt geblieben. Davon sind die Sprecher des Selbsthilfevereins BBSV überzeugt. Sie wollen ihm und seiner Frau helfen, den Fall beim Landesgericht Steyr neu aufzurollen.
„Die Wiederaufnahme von Verfahren ist in Österreich extrem schwierig. Als Verein sehen wir uns nicht als Anwälte. Aber wir versuchen, bei möglichen Justizirrtümern Anstöße zu geben und Opfern geeignete Juristen zu vermitteln“, sagt Obmann Robert Gangl. Der pensionierte St. Pöltener HTL-Direktor hat den BBSV vor elf Jahren gegründet.
Beteiligt war die Gruppe an der erfolgreichen Wiederaufnahme des Falles von Franz Ambrosi in NÖ. Dessen Schwester hatte sich an den BBSV gewendet, weil Ambrosi wegen Mordversuchs an seiner Frau zu zwölf Jahren verurteilt wurde. BBSV-Vorstandsmitglied Helmut Ober, ein pensionierter Chefinspektor, soll mit kriminalistischem Scharfsinn Ambrosis Anwältin Karin Prutsch entscheidend unterstützt haben. Nach 712 Tagen Haft wurde der vermeintliche Täter freigesprochen.
Der BBSV hat derzeit rund 30 Mitglieder. Bei der jüngsten Generalversammlung in Amstetten wurde gut ein Dutzend möglicher Justizirrtümer an den Verein herangetragen und diskutiert.