Chronik/Oberösterreich

"OÖ liegt ziemlich darnieder"

Rudolf Anschober (55) ist Landesrat für Umwelt, Wasserrecht, Integration und KonsumentInnenschutz. Der 55-Jährige Politiker der Grünen gehört seit 2003 der Landesregierung an.

KURIER: Im Warteraum für Ihr Büro stellen Sie Bilder der Flüchtlingswelle im vergangenen Jahr aus. Sind Sie ein Vertreter der Willkommenskultur?Rudolf Anschober: Die Frage, ob man Willkommenskultur praktiziert, stellt sich nicht. Wir haben viele Menschen, die in einer absoluten Not sind und die von Bomben, Folter und Terror in Syrien verfolgt werden. Fünf Prozent derer, die aus Syrien geflohen sind, sind nach Europa gekommen. Wir wollen den Menschen, die uns vom Bund zugewiesen werden, ein menschenwürdiges Quartier geben und sie bestmöglich integrieren. Das ist neben dem Arbeitsmarkt und der Bildungsoffensive das wichtigste Thema in Oberösterreich. Hier wurden in der Vergangenheit viele Fehler gemacht.

Der Großteil der Menschen, die zu uns kommen, sind aber nicht Syrer, sondern kommen aus Nordafrika, Pakistan, dem Irak und Afghanistan. Das sind in erster Linie Wirtschaftsflüchtlinge. Sollen wir diese aufnehmen oder ablehnen?

Ich bin ein Verfechter des Rechtsstaates. Wir haben klare Asylregeln. Die Entscheidungen der Asylbehörden sind zu respektieren.Wir arbeiten mit ihnen gut zusammen. Wir konnten mit ihnen erreichen, dass sie massiv aufgestockt wurden und die Verfahren rascher abgehandelt werden.

Soll es an den Grenzen Kontrollen geben oder sollen sie offen sein?

Die Suche nach Lösungen beschäftigt ganz Europa. Es gibt kein Patentrezept. Die wirksamste Regulierung ist die Hilfe vor Ort. Die USA und Europa sollten Geld indie Hand nehmen und es in den Nachbarländern rund um Syrien investieren, um dort ein Leben zu ermöglichen. Ich war vor Ort und habe mit vielen gesprochen. Alle Flüchtlinge sagen, sie wollen zurück. Es ist eine Schande, dass Europa hier kaum etwas tut.

Ich bin ganz massiv für eine Kontrolle der europäischen Außengrenzen. Weiters trete ich für eine große europäische Lösung ein: ein gemeinsames Asylrecht, eine gemeinsame Asylbehörde, einheitliche Asylverfahren, Quotenregelung bei der Verteilung der Flüchtlinge. Wir brauchen Solidarität, da sind Österreich, Deutschland und Schweden zu wenig.

Das sind alles Wünsche ans Christkind, die europäische Solidarität findet nicht statt.

Einspruch. Hier muss es finanziellen Druck und Sanktionen für jene geben, die uns im Stich lassen.

Das heißt, man sollte die Fördermittel für die Verweigerer kürzen.

Man sollte sie kürzen und einen Bonus an jene geben, die sich solidarisch verhalten.

Wie sollen das drei von 27 EU-Staaten durchsetzen?

Ich glaube, dass es mehr gibt, für die das der einzig durchführbare Weg ist. Wir müssen dafür kämpfen. Die nächsten zwölf Monate werden über die Zukunft der EU entscheiden. Einerseits die Wahlgänge und andererseits die Asylfrage.Es gibt Kräfte, die es auf den Niedergang der EU anlegen. In Richtung Re-Nationalisierung.

Wer ist das in Österreich?

Da gehört die FPÖ mit dazu. Aber auch viele andere wie die Internationale der Patrioten, wie sie Strache und Le Pen genannt haben. Die nächsten fünf Wahlgänge werden über Europas Zukunft entscheiden: die Präsidentschaftswahl in Österreich, die Abstimmung über die neue italienische Verfassung, die amerikanische Präsidentschaftswahl, die Wahl in Frankreich und die deutsche Bundestagswahl. Diese Wahlen werden eine historische Weichenstellung bringen.

Ist es nicht bedauerlich, dass Efgani Dönmez nicht mehr Bundesrat der Grünen ist? Alle seine Befürchtungen in Bezug auf die AKP und die Türkei sind eingetreten. Ein kompetenter Mann, der seiner Zeit voraus war.

Es hat bei den Grünen eine demokratische Wahl gegeben, die so ausgegangen ist wie sie ausgegangen ist. Das muss man so zur Kenntnis nehmen. Mich persönlich hindert das nicht, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich arbeite gerade an der Evaluierung der Integrationsvereine in Oberösterreich. Dazu gehören auch Gespräche mit Dönmez. Ich will auch Kritiker am Tisch haben.

Wie haben Sie persönlich abgestimmt?

Wie wer abgestimmt hat, fällt unter das geheime Wahlrecht.

Die Warnungen von Dönmez haben sich durch die Reaktionen auf den Putschversuch durch den türkischen Präsidenten Erdogan bestätigt.

Wir brauchen keine Parallelgesellschaften. Weder eine türkische noch eine andere. Wir leben in Österreich. Wir haben gemeinsame Regeln und diese sind von allen, die hier leben, anzuerkennen. Ich sehe es mit Sorge, wenn es Übergriffe gibt. Es darf nicht passieren, dass türkische Innenpolitik in Österreich ausgefochten wird. Efgani hat lange Jahre davor gewarnt, man muss das sehr ernst nehmen, aber er hat das teilweise in einer Sprache gemacht, die für manche schwer akzeptabel war.

Österreich und Europa müssen in einer klaren Sprache und sehr konsequent auf die Ereignisse in der Türkei reagieren.

Ist die Integration der Türken bei uns misslungen?

Bei den Allermeisten ist sie gelungen. Es gibt zwei Problemfelder. Bei den vergangenen Fluchtbewegungen ist Integrationspolitik nie wirklich gemacht worden. Mein Kurs ist, dass wir es nun wirklich anders machen wollen.

Bei den Tschetschenen ist die Integration nicht gelungen. Bei einigen Türken gibt es Defizite im Bereich der Sprache, des Deutschlernens. Vor allem bei Frauen. Das ist kein Zufall, denn sie durften das offensichtlich nicht. Das sind aber Einzelfälle. Aber um sie müssen wir uns auch kümmern. Wenn Frauen sich nicht verständigen können, bleiben sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen.

Verfolgen die Grünen die Vision einer multikulturellen Gesellschaft? Im Gegensatz zum christlichen Abendland, das der FPÖ vorschwebt?

Schauen wir in unser Telefonbuch, schauen wir uns an, wie die Oberösterreicher heißen, woher sie abstammen. Daran sieht man, dass Vielfalt einem Land guttut. Allerdings unter klaren Regeln, die transparent sind und die kontrolliert werden. Wir sind längst eine vielschichtige Gesellschaft und Vielfalt ist besser als Einfalt. In einer globalisierten Welt ist die Zeit der Abschottung vorbei. Seit der Monarchie gibt es große Bewegungen von Menschen. Erinnern wir uns an 1945/’46, als viele Sudetendeutsche zu uns gekommen sind. In den 50er-Jahren war die Ungarnkrise. Dann kamen die sogenannten Gastarbeiter. In den 1990er-Jahren waren die Kriege in Jugoslawien.

Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger meint, dass das Zusammenleben schwieriger wird. Teilen Sie diesen Befund?

Es schafft andere Bedingungen. Es geht um das Kennenlernen. Wenn man sich begegnet, bekommen wir ein anderes Verständnis füreinander. Deshalb machen wir im September die erste oberösterreichische Begegnungswoche. Das ist wichtig, damit es kein Nebeneinander, sondern ein sich gegenseitiges Respektieren gibt.

Sollte die EU die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen?

Die Verhandlungen sind eingefroren. Es war nicht ehrlich, wie in den vergangenen Jahren agiert wurde. Ich persönlich bin dafür, die Beitrittsverhandlungen zu beenden, aber gleichzeitig Gespräche mit der Türkei zu suchen. Um vor allem die Opposition und all jene zu unterstützen, die für die Demokratie arbeiten. In diesem Zusammenhang muss ich betonen, dass ich es unerträglich finde, wie das Handeln Putins in Syrien hingenommen wird.

Ich verstehe die Putin-Versteher nicht. Diktator Assad und sein Verbündeter Russland tragen die Hauptverantwortung in Aleppo, wo laufend Bombardierungen von Kinderspitälern und Zivilisten geschehen. Die Welt wird tatenlos Zeuge von Verbrechen an der Menschlichkeit unter massiver russischer Mitwirkung. Hier zuzusehen und das nicht zu kommentieren ist ein wirklicher Skandal.

Sie treten dafür ein, die Flüchtlinge möglichst schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit ist das ein schwieriges Unterfangen.

Die Situation ist sehr, sehr schwierig. Oberösterreich hat seit der schwarz-blauen Regierung einen massiven Zuwachs der Arbeitslosigkeit. Trotz eines engagierten Wirtschaftslandesrats. Die Hoffnung, dass sich Oberösterreich modellhaft weiterentwickelt, liegt ziemlich darnieder. Es ist eine schlechte Stimmung da. Das hat mit der Politik der FPÖ zu tun, die signalisiert hat, dass ihr Öko-Jobs gleichgültig sind und die die Energiewende nicht will. Das ist nur ein Beispiel. Wir müssen ganz stark auf Zukunftstechnologien und Bildung setzen.

Asylwerber sollten sofort arbeiten dürfen. In den Bereichen, wo es keine inländischen Bewerber gibt. Man sollte auch Praktika und Schnuppertage legalisieren.