Kilo für Kilo in ein neues Leben
Johanna Rathner hat in einem halben Jahr mehr abgenommen als eine durchschnittliche Frau wiegt: 70 Kilogramm. Fast täglich sei eines gepurzelt, berichtet die 59-Jährige. „Es war die Hölle, aber ich hab’s überstanden und lebe jetzt ein neues Leben.“
Im Rollstuhl – einer extrabreiten Spezialanfertigung – kurvt die schwer übergewichtige Frau durch die Gänge des Bezirksaltenheims St. Dionysen/Traun. Nach intensivem Training, erzählt sie stolz, kann sie schon mit den Krücken einmal rund um das lichtdurchflutete Foyer spazieren. Acht Stufen schafft sie auf der Treppe und ihre Arme trainiert sie an der Haltestange über ihrem Bett. In diesem Schwerlastbett – Eigengewicht: 450 Kilo – hat sie die wohl schwierigste Zeit ihres Lebens verbracht.
Im Juli 2012 musste die Landwirtin vom Klinikum Wels in ein Pflegeheim. Kein leichtes Unterfangen: Erst hagelte es Absagen von Heimen, dann musste ein Spezialtransporter aus Innsbruck und ein Bergetuch der Feuerwehr her, um die schwer übergewichtige Frau zu transportieren. „Mir ist es miserabel gegangen. Ich hatte so starke Wassereinlagerungen, dass ich bei der geringsten Anstrengung blau angelaufen bin. Überall am Körper war ich offen. Meine Haut war so gespannt, dass sie mir bei einer falschen Berührung aufgeplatzt ist.“
Zusätzlich habe es geschmerzt, dass kein Heim sie haben wollte. Einzig in St. Dionysen stellte man sich der Herausforderung. „Frau Rathner hat sehr intensive Pflege gebraucht – das hat sich niemand zugetraut. Einerseits ist das nachvollziehbar, aber Übergewicht darf kein Ausschlussgrund sein“, betont Heimleiter Martin Badza. Alleine das Spezialbett hat den Sozialhilfeverband Linz-Land laut Pflegedirektorin Gertrude Strigl 20.000 Euro gekostet. „Wir haben eine mündliche Zusage vom Sozialbüro des Landes, dass sie einen Teil der Kosten übernehmen. Wir haben vorfinanziert, weil es dringend war, warten aber noch immer auf das Geld.“
Ziel: Minus
20 Kilo Die Gewichtsabnahme ist durch eine Kombination aus Medikamenten, ausgewogener Ernährung und Physiotherapie gelungen, erklärt Pflegedienstleiterin Christine Deban. Rathner stehe unter ärztlicher Beobachtung und soll, sofern sie weitere 20 Kilo abspeckt, operiert werden – die überschüssige Haut muss weg. Aber: „Alles Schritt für Schritt“, betont die ehrgeizige Abnehmerin.
Ein wahrer Befreiungsschlag sei gewesen, dass sie wegen ihres Körperumfangs nicht mehr ans Bett gefesselt ist. „Die ersten paar Wochen mussten ihr vier Pfleger beim Aufstehen helfen. Heute braucht sie nur noch einen“, schildert Deban die Fortschritte.
Mittlerweile verbringt Rathner ihre Nachmittage in geselliger Runde. Volksschulkinder, die ihren Werkunterricht ins Altenheim verlegt haben, weiht sie derzeit in die hohe Kunst der Oster-Deko ein. Ihr Zimmer, das sie sich mit ihrem Ehemann Karl teilt, ist mit Werken aus ihrer Bastelleidenschaft (und einem erotischen Männerkalender) geschmückt.
„Dieses Geheimnis lüfte ich erst, wenn ich mein Traumgewicht habe.“ Mit Träumen tut sich die 59-Jährige allerdings schwer. Gehen wird sie wohl nie wieder können – zu sehr haben ihre Bein- und Kniegelenke unter der großen Last gelitten. „Ich war noch nie schlank, aber das muss ich auch nicht sein. Ich will einfach nur leben.“