Kasernen-Aus: "Schwerer Fehler der Politiker"
Von Jürgen Pachner
Die Bevölkerung in der Grenzstadt kann den Schließungsplänen nichts abgewinnen. In der Tilly-Kaserne in Freistadt scheint nach Bekanntwerden der Schließungspläne äußerlich alles den gewohnten Verlauf zu nehmen: Ein Rekrut schneidet die Hecken, zwei Chargen sind in Trainingskleidung zum Fitnessraum unterwegs und im Lehrsaal warten 35 Unteroffiziersanwärter auf ihre Waffenprüfung.
Das vier Hektar große Areal mit neun Gebäuden wirkt blitzsauber und modern – eine Vorzeige-Kaserne, könnte man meinen. Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) scheint allerdings anderer Ansicht. Bis 2018 soll die Mühlviertler Grenzgarnison wie sechs weitere Kasernen aufgelöst und die gut 50 Bediensteten auf andere Standorte verteilt werden. Angeblich seien auf die Weise massiv Kosten einzusparen.
"Ein Argument, das nur schwer nachvollziehbar ist", widerspricht Offiziersanwärter Reinhard Atteneder. Der 41-jährige Personalvertreter hatte dem Generalstab vorab in einem Grundsatzpapier (siehe Zusatzgeschichte) noch aufgezeigt, dass eine Absiedlung der Tilly-Kaserne dem Heer teuer zu stehen komme. "Aufgrund der sachlich gut fundierten Argumente haben wir geglaubt, nicht mehr auf der Schließungsliste zu stehen. Die Entscheidung hat uns jetzt sehr überrascht."
Wirtschaftliche Ängste
Im Tankstellen-Shop um die Ecke wird heftig über das Kasernen-Aus diskutiert. "Die Politiker machen einen schweren Fehler, unsere Kaserne ist doch in einem Top-Zustand", sagt Tankstellen-Betreiber Friedrich Polloss. Fast alle Anwesenden befürchten, dass anstelle der Soldaten schon bald Asylwerber einziehen.
Trafikant Thomas Ruhaltinger rechnet auch mit wirtschaftlichen Einbußen. "Ich hab’ in der Kaserne einen neuen Zigarettenautomaten aufgehängt, auch in die Trafik kommen regelmäßig Soldaten." Spar-Abteilungsleiterin Elisabeth Affenzeller sieht das ähnlich: "Wenn es die Bundesheerler einmal nicht mehr gibt, werden wir das schon spüren."
Auch Wolfgang Seidl, Wirt des Café-Restaurants Kupferdachl, macht sich Sorgen: "Wenn am Abend plötzlich zehn Gäste weniger da sind, ist das natürlich bitter."
Besonders heftig treffen die Schließungspläne aber die Bäckerei Kern. "Wir beliefern die Kaserne täglich mit Brot und Gebäck", sagt Chefin Waltraud Kern. "Wir haben aktuell 36 Mitarbeiter. Fällt das Heer als Kunde fix weg, werden wir vielleicht einigen kündigen müssen."
Im September 2015 wird das Militär-Realgymnasium in Wiener Neustadt 50 Jahre alt. Geburtstagsparty wird’s aber wohl keine geben – schon eher "a schene Leich".
Zwei Jahrgänge dürfen noch im Oberstufen-Realgymnasium maturieren. Dann ist Schluss, zumindest wenn es nach den Plänen von Verteidigungsminister Gerald Klug geht. Zwei Jahrgänge, die neben der Schule auch eine "vormilitärische Ausbildung" erhalten. Jene Zöglinge, die jetzt die fünften und sechsten Klassen besuchen, sollten sich also schon einmal umschauen, wo sie die Schule fertig machen wollen.
"Das ist pädagogischer Wahnsinn", meint Werner Sulzgruber, der erst mit 1. Oktober offiziell zum Direktor am MilRG bestellt worden war. "Wir haben Schüler aus ganz Österreich. Sie müssen doch einen Anspruch darauf haben, die Ausbildung dort fertig zu machen, wo sie sie begonnen haben." Sulzgruber hofft auf seine Ministerin, Gabriele Heinisch-Hosek. Die Lehrer am MilRG werden nämlich vom Bildungsministerium bezahlt, das Bundesheer kommt für das Kommando des Schulbataillons, die Infrastruktur und die acht Erzieher im Internat und natürlich für die Kosten der vormilitärischen Ausbildung auf. 342 Euro zahlen die Eltern der 188 Schülerinnen und Schüler dafür zehn Mal jährlich.
Auf Heinisch-Hosek hofft auch Wiener Neustadts Bürgermeister Bernhard Müller. Er will mit der Bildungsministerin und Klug die Schließung diskutieren – im Notfall könnte sogar die finanziell gebeutelte Stadt helfen, um die Schule "zumindest für vier Jahre zu retten, damit alle Schüler maturieren können", sagt Müller.
Schüler kämpfen
Diese Schüler wollen sich jedenfalls nicht mit der Schließung ihres MilRG abfinden – sie gehen auf die Straße und ins Internet. Eine Online-Petition "Rettet das Borg an der Theresianischen Militärakademie" hatte bis gestern knapp 2000 Unterstützer. In der Wiener Neustädter Innenstadt sammelten die Schüler der siebten Klassen in ihrer Freizeit Unterschriften für den Erhalt. Auch wenn sie selbst nach Klugs Plänen noch maturieren dürfen. "Diese Schule ist es wert, für sie zu kämpfen. Es wäre schade um diese Einrichtung. Wir wollen, dass auch noch andere davon profitieren können", erklärt Zögling Benjamin Krug.
Im Kommando des Schulbataillons hat man dafür Verständnis. "Es wird von uns sicher keinen Maulkorberlass für die Schüler geben. Sie haben ein Recht darauf, um ihre Schule zu kämpfen", sagt Oberst Wilhelm Mainhart.
Seit Jahren werden in der Freistädter Tilly-Kaserne Berufssoldaten ausgebildet. 365 Männer und Frauen können hier untergebracht werden. Im Gegensatz zu anderen Kasernen ist die notwendige Infrastruktur zu Fuß gut erreichbar. Während etwa Soldaten der Vogler-Kaserne Hörsching 23 Kilometer zum nächsten Übungsplatz fahren müssen, liegt er in Freistadt nur vier Kilometer entfernt. Sporthalle, Hallenbad und Laufbahn sind in zehn Minuten erreichbar. Auf dem Areal der Tilly-Kaserne gibt es, anders als in Hörsching, auch eine Hindernisbahn. Personalvertreter Reinhard Atteneder hat errechnet, dass pro Ausbildungskurs in Hörsching beträchtliche Fahrtkosten zu und von den Ausbildungsstätten sowie ein höherer Fahrzeug- und Personalbedarf berücksichtigt werden müssen. Pro Kurs gingen dort jährlich etwa 7680 Stunden Ausbildungszeit (im Gegenwert von 72.000 Euro Personalkosten) nur mit Busfahrten und Im-Stau-Stehen verloren. Hinzu kommt, dass allein die Kosten für die zusätzliche Anmietung ziviler Busse weitere 60.000 Euro ausmacht.
"Bei einer Ausbildung in Freistadt werden also fast 132.000 Euro gespart", sagt Atteneder. Die Betriebskosten der Tilly-Kaserne liegen bei 185.000 Euro. Atteneder: "Und wegen 53.000 Euro lässt man die Kaserne auf?"