Chronik/Oberösterreich

„Im Supermarkt wird die Moral des Tierwohls abgelegt“

Michaela Langer-Weninger, 43-jährige Bäuerin aus dem Mondseeland, ist Landesrätin für Landwirtschaft, Ernährung, Gemeinden und Feuerwehren.

KURIER: Die Bauern bekommen seit dem 1. Juli 50 Cent für den Liter Milch, das ist eine Erhöhung um 40 Prozent. Reichen die 50 Cent, um die gestiegenen Kosten abzudecken?

Michaela Langer-Weninger: Die Situation ist insgesamt schwierig. Man muss das über das gesamte Jahr sehen. Die Kosten für die Betriebsmittel sind enorm gestiegen, ob das nun Futter- oder Düngemittel sind oder die Energie. Das ist für jeden Betrieb eine sehr große Herausforderung. Auf der anderen Seite steigen die Preise in den Supermärkten nicht so, wie wir das brauchen würden. Oder wie das zum Beispiel die Molkereien brauchen würden. Es wird Richtung Herbst noch stärkere Anpassungen geben müssen. Wir wissen aber auch, dass es dann für die Konsumenten schwierig wird. Wenn man will, dass österreichische Lebensmittel produziert werden, brauchen die Bauern entsprechende Produktpreise und Einkommen, damit sie ihre Aufwendungen decken können. Das von der Bundesregierung beschlossene Vorsorgepaket von 110 Millionen Euro ist ein Teil davon.

Das Lied gerechter Preise für die Bauern wird schon seit Jahrzehnten gesungen. Trotzdem müssen immer mehr Bauern wegen Unwirtschaftlichkeit aufhören, weil die Konsumenten zu den billigen Produkten greifen.

Wir in der Landwirtschaft haben ebenso wie die Arbeitnehmer und der Handel die Intention, dass unsere Aufwendungen abgedeckt werden, denn sonst können wir nicht produzieren. Das ist ein grundsätzliches Recht. Wenn bei den Produkten in den Regalen der Supermärkte alle Gestehungskosten enthalten sind, aber sie sind für den Konsumenten nicht mehr leistbar, dann wird es sozialpolitische Maßnahmen geben müssen. Es kann nicht der Zugang sein, dass die Gestehungskosten der Bauern so reduziert werden, dass der Bauer nicht mehr existieren kann. Und wenn es keine österreichischen Produkte nicht mehr gibt, sind wir auf jene aus dem Ausland angewiesen. Wir haben nun mehrfach gesehen, welche Abhängigkeiten und Probleme sich hier ergeben.

Der Handel argumentiert, österreichische Produkte sind immer verfügbar, hier gibt es keine Lieferprobleme. Wenn man österreichische Produkte will, muss es so sein, dass die Bauern ein Einkommen erwirtschaften können, von dem sie auch leben können.

Bekommen die Bauern in dieser Zeit von achtprozentiger Inflation jene Preise, die sie benötigen?

Es wird einiges an Nachbesserung notwendig sein. Die Energiekosten haben sich teilweise verdoppelt, verdrei- und vervierfacht, das Gleiche gilt für die Dünge- und Futtermittel. Für manche Bauern ist es wirtschaftlicher, das Getreide zu verkaufen als damit Schweine oder Geflügel zu mästen. Sie stellen momentan keine Tiere in den Stall ein. Das bedeutet, dass wir langfristig Lebensmittelproduktion in Österreich verlieren.

Werden wir sie nicht sowieso verlieren? Jetzt werden die Spaltenböden in den Schweineställen verboten, was zur Folge haben wird, dass das Fleisch teurer wird, weil die Aufwendungen höher werden. Die Konsumenten kaufen aber primär das billige Fleisch, sprich das importierte, das aus der Massentierhaltung stammt.

Wer hat diese Richtlinien gewollt?

Tierschutzorganisationen.

Und auch der gesellschaftliche Druck, wenn man sich Leserbriefe oder Berichte der Medien ansieht. Auch im Parlament wurde Druck gemacht. Ich kenne keine Fraktion außer der ÖVP, die im Parlament gesagt hat, wir brauchen auch Vollspaltenböden oder zumindest lange Übergangsfristen und Begleitmaßnahmen, damit Tierhaltung auch in Zukunft möglich ist.

Aber die Vertreter scharfer Richtlinien rufen die Konsumenten nicht auf, das teurere, heimische Fleisch zu kaufen.

Deshalb haben wir Planungssicherheit und lange Übergangszeiten für die Bauern gefordert. Es braucht einen Investitionsschutz. Wir brauchen auch eine marktkonforme Mitentwicklung. Es gibt nun ein begleitendes Forschungsprojekt, wie künftig die Stallhaltung aussehen soll, wenn die Spaltenböden 2040 komplett verboten sind. Alle reden zwar vom Tierwohl, aber im Supermarkt wird die Moral abgegeben und das Billige gekauft. Wir müssen uns immer mit der Marktsituation entwickeln, wir können uns nicht entkoppeln. Die öffentliche Hand leistet ihren Beitrag, in dem sie in den öffentlichen Küchen die Tierwohl-Produkte anbietet. Hier hat die Bundesebene noch viel zu tun, wir in Oberösterreich sind schon sehr weit.

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Die gesamtgesellschaftliche Diskussion bewegt sich doch in eine Richtung, dass aus der Landwirtschaft letzten Endes ein Streichelzoo gemacht wird.

Wir reden momentan nicht von 100 Prozent Strohschweinen, sondern dass es statt dem Vollspaltenboden um eine strukturierte Bucht und um mehr Platz geht. Andere Länder in Europa haben solche Systeme schon. Wie Dänemark oder Schweden. In Schweden hat der Umbruch in der Schweinehaltung zu einem Rückgang der Eigenversorgung geführt. Alle, die die Abschaffung der Vollspalten gefordert haben, wie zum Beispiel der Handel, sind eingeladen, diese Produkte auch anzubieten. Das hätte der Handel auch schon vorher haben können, indem er freiwillig, das heißt ohne Gesetz, nur mehr solche Produkte in die Regale legt.

Ihre Erwartungshaltung ist also, dass die Supermärkte nur mehr Fleisch aus österreichischer Haltung unter Einhaltung der österreichischen Richtlinien anbieten und nichts anderes mehr verkaufen?

Ja, dazu stehen wir.

Ist das realistisch?

Aufgrund dessen, was gefordert worden ist, auch vom Handel, muss es realistisch sein. Man kann nicht A sagen und B tun.

Wir sind mit einer Energiekrise konfrontiert. Was kann die Landwirtschaft hier einbringen?

Wir haben mit der Biomasse in den Bereichen Holz und Biogas ein großes Potenzial. Hier haben wir die Chance, uns ein Stück unabhängiger zu machen.

Rechnen sich nun die Biogasanlagen aufgrund der höheren Gaspreise?

Es wird interessanter. Wir müssen es gesetzlich möglich machen, dass wir Biogas in Gasnetz einspeisen können. Das ist eine Bundesaufgabe. Mit Holz (Pellets, Scheitholz, Hackschnitzel, Nahwärme) haben wir einen nachhaltigen Rohstoff, der nachwächst, CO2 bindet und der regional produziert werden kann.

Womit sollen die Bauern selbst heizen?

Mit Hackschnitzel, mit Fotovoltaik. Man kann auf dem landwirtschaftlichen Betrieb einen derartigen Mix sicherstellen.

In den Niederlanden gibt es massive Proteste der Bauern. Auslöser ist die Entscheidung der Regierung, bis 2030 die Stickstoffemissionen halbieren zu wollen. Rund 45 Prozent des Stickstoffs in Böden und Wasser stammen aus der Gülle von Kühen und Schweinen. Trotz ihrer kleinen Fläche sind die Niederlande mit ihrer intensiven Landwirtschaft und Massentierhaltung der zweitgrößte Agrarexporteur der Welt. Die Entscheidung der Regierung bedeutet, dass jedes dritte Tier verschwinden muss, wodurch viele Bauern werden zusperren müssen.

Das bestätigt den Weg der österreichischen Agrarpolitik, eine bodengebundene Landwirtschaft zu führen. Die Anzahl der Tiere ist an die landwirtschaftliche Nutzfläche gebunden. In den Niederlanden ist das nicht gelebt worden. Gülle ist in die Nachbarländer exportiert worden, weil dafür auf dem Grund und Boden kein Platz mehr war. Die Vorgaben durch die Ammoniak-Richtlinie der EU sind für uns und die Niederlande die Gleichen. Hier werden nun die Unterschiede der landwirtschaftlichen Systeme deutlich. Es ist dort nicht möglich, etwas freiwillig zu machen, um die Reduktionsziele zu erfüllen. Die Einschnitte sind für die dortige Landwirtschaft eine Katastrophe. Die Bauern werden bezahlt dafür, dass sie zusperren, niemand mehr will diesen Beruf ergreifen.

Ist Holland für Sie eine Fehlentwicklung?

Ja, das ist eine Fehlentwicklung gewesen, weil bodenunabhängig produziert worden ist und keine Kreislaufwirtschaft praktiziert wurde.

Unsere Bauern haben darunter gelitten, dass das billige niederlän- dische Schweinefleisch importiert worden ist.

Ja. Es zeigt, welche Schwierigkeiten das letztendlich erzeugt. Wir versuchen, die Reduktionsziele bei Ammoniak durch Freiwilligkeit zu erreichen. 2025 werden wir das Ergebnis evaluieren und entscheiden, ob weiterführende Maßnahmen notwendig sind. Auch wenn unser Weg schwierig ist, ist es besser, die Bauern auf diesem Weg finanziell zu unterstützen und zu begleiten als zu sagen, ab morgen wird die Produktion um 30 Prozent reduziert. Damit würde man den Bauern die Existenz nehmen, was nie unser Zugang war.

Wo liegt die Zukunft der Landwirtschaft? Wie können Sie einen jungen Menschen überzeugen, in diese schwierige Branche einzusteigen?

Ich sage niemanden, was er tun soll, damit die Sache dann von Erfolg gekrönt wird. Es werden jene Betriebe erfolgreich sein, wo der Betriebsführer ein besonderes Talent hat. Das kann beim einen die Milchwirtschaft sein, beim anderen die Schweineproduktion, oder die Produktion von Pilzen oder Fischen. Wichtig ist, dass wir die Jungen Dinge ausprobieren lassen, sie fühlen zu lassen, wo ihre Leidenschaft liegt. Und sie herausfindet, wie sie aus den Gegebenheiten des Betriebes etwas machen. Ich spüre bei den Jungen einen unheimlichen Zug zu Professionalität und zu neuem Denken. In der Urproduktion überlegen sie genau, was es für den Erfolg braucht. Es ist mir um die Jugend in der Landwirtschaft überhaupt nicht Bange. Es hat zu allen Zeiten Herausforderungen für die Landwirtschaft gegeben. Wir als politische Verantwortliche müssen schauen, dass die Rahmenbedingungen dafür passen.