Chronik/Oberösterreich

"Für Vereinigte Staaten von Europa"

Christoph Leitl hat im Dezember seine Funktion als Obmann des Wirtschaftsbundes abgegeben. Der 68-jährige Präsident der Wirtschaftskammer wurde ein zweites Mal zum Präsidenten von Eurochambres gewählt, der Vereinigung der europäischen Wirtschaftskammern. Ende Februar begleitet er Antonio Tajani, den Präsidenten des Europaparlaments, bei dessen Serbien-Besuch.

KURIER: Wann soll Serbien der EU beitreten?

Christoph Leitl: Die EU ist zurückhaltend, weil es genügend innere Probleme gibt. Aber Serbien ist auf dem besten Weg. Es könnte in drei bis fünf Jahren Mitglied werden.

Katalonien will ein selbstständiger Staat werden, was Spanien vehement ablehnt. Wie soll man den Konflikt lösen?

Es mangelt auf beiden Seiten an Gesprächsfähigkeit und Gesprächsbereitschaft. Europa definiert sich als ein Europa der Regionen und Vielfalt. Ein Autonomiestatus ähnlich dem von Südtirol würde es nicht mehr notwendig machen, einen eigenen Staat zu gründen.

Die EU muss Position beziehen, denn Spanien ist Mitglied.

Die EU lehnt das mit dem Argument ab, es handle sich um einen innerspanischen Konflikt.

Die EU soll nicht die Details regeln, sondern mit Best-Practise-Beispielen arbeiten. Ein Beispiel: Österreich ist bekannt für sein duales Ausbildungssystem der Lehrlinge. Deswegen haben wir eine der niedrigsten Jugendarbeitslosenraten.Damit wachsen auch die Fachkräfte heran, an denen es europaweit mangelt.

Die Bundesregierung will den Südtirolern auch die österreichische Staatsbürgerschaft geben. Finden Sie das gut oder ist das eine Schnapsidee?

Ich hüte mich, in ausschließlich politische Fragen einzugreifen. Ich bin Anhänger einer europäischen Staatsbürgerschaft als Zeichen der Zusammengehörigkeit. Europa klingt für Österreich manchmal weit weg. Aber wenn Europa nicht erfolgreich ist oder gar zerfällt, würde das für Österreich ungeheuer negative Konsequenzen haben. Wir wären dann wie eine Nußschale im Ozean.

Wir sind in einem globalen Wettbewerb. China ist weltweit in der Offensive. Sie haben die osteuropäischen Länder für ihre Strategie der Seidenstraße gewonnen.China besitzt in Afrika die wichtigsten Rohstoffvorkommen. Die Europäer schlafen. Wir streiten uns mit Russland anstatt sich mit ihm zu verbünden.

Russland hat daran erheblichen Anteil, denn es hat mit der Krim und der Ostukraine einfach Teile der Ukraine besetzt und annektiert.

Amerika zeigt uns den Weisel und wir kommen nicht drauf, dass wir in die Selbstständigkeit gehen müssen. Europa muss eine eigenständige Politik des Ausgleichs betreiben.

Natürlich hat Russland gegen das Völkerrecht verstoßen, aber haben das nicht auch die Amerikaner gemacht?

Ein Unrecht rechtfertigt nicht das andere.

Ich will das auch nicht hochrechnen, ich will nur, dass wir von den ständigen Drohgebärden und den unsinnigen Sanktionen, wo die Wirtschaft als Waffe missbraucht wird, wegkommen.

Was soll denn die EU außer den Wirtschaftssanktionen machten? Mit gutem Zureden wird man Putin nicht beeindrucken.

Es gibt politische und diplomatische Möglichkeiten. Ich halte nichts vom Boykott sportlicher Veranstaltungen, nichts vom Abbrechen kultureller Brücken und nichts von wirtschaftlichen Sanktionen.

Glauben Sie, dass Reden bei einem ehemaligen Geheimdienstagenten wie Putin wirklich genügt?

Haben die dreijährigen Wirtschaftssanktionen irgendeine Lösung gebracht?

Lösung haben sie keine gebracht, aber sie zeigen Wirkung.

Ja, bei uns in Österreich.

Und bei den Russen.

Die Russen haben dadurch einen Vorteil. Putin hat genau das erreicht, was er wollte. Aus einem Import, der Russland früher Devisen gekostet hat, wurde eine Investition vor Ort. Das kann man am Beispiel der Firma Backaldrin sehen, die jetzt in Moskau ein Werk gebaut hat.

Beide haben profitiert, Backaldrin und Russland.

Österreich zahlt drauf, weil der Kornspitz in Russland produziert wird.

Aber die Grundware wird aus Österreich angeliefert.

Österreich zahlt drauf. Der Schaden für ganz Europa geht jährlich in dreistellige Milliardenbeträge. Mein Vorschlag wäre, Schritt für Schritt auf beiden Seiten abzurüsten und abzubauen. Und am Schluss eine Kooperation mit Russland zu suchen. Wir wären dann im globalen Wettbewerb unschlagbar. Deshalb sind die Amerikaner dagegen.

Der Freihandel ist generell bedroht. Trump sagt, America first, die Chinesen sagen China strong, was sagen wir Europäer?

Wir geben keine Antwort und lassen uns die Anteile am Weltmarkt nehmen.

So ist es. Mein Motto ist Europa competitive. Wir sind wettbewerbsfähig,weil wir innovativ sind, weil wir auf Qualität setzen. Wir brauchen Verbündete in einer europäischen Freihandelszone, die langfristig auch Länder wie die Türkei, die Ukraine, den Nahen Osten und Nordafrika umfasst. Sollen wir zuschauen, wie sich die anderen bei uns verankern und sich festkraulen? Gleichzeitig sollten wir die EU, ausgehend von der Eurozone, vertiefen.

Wir brauchen ein unternehmerisches Europa, das sich nicht fürchtet zwischen Amerika und China zerrieben zu werden, sondern das unsere Werte und unseren Wohlstand sichert. Europa zählt nur sieben Prozent der Weltbevölkerung, mit sinkender Tendenz. Es hat noch 25 Prozent des Welthandels, das wird auch immer weniger, aber es stellt auch 50 Prozent der Weltausgaben für Soziales und Umwelt. Das, was für uns selbstverständlich ist, ist nicht selbstverständlich.

Wie soll die Krise des Euro gelöst werden?

Der Euro hat sich viel besser gehalten als es die düsteren Prognosen der Amerikaner prognostiziert haben. Ich habe damals bei einem Vortrag in Princeton gesagt, dass der Dollar seinen Thron zu teilen hat. Den wirklichen Durchbruch gibt es erst dann, wenn die Währung durch eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik fundiert ist. Dass bedeutet, dass sich Europa weiter vertiefen muss. Es muss die Wirtschafts-, die Finanz- und Fiskalpolitik stärker gemeinsam gestaltet werden.

Soll es einen gemeinsamen Finanzminister geben?

Ich halte diesen Vorschlag für sehr gut. Wir sollen auch bei der Unternehmensbesteuerung eine gemeinsame Bandbreite finden, um Dumping zu verhindern. Ungarn reduziert die Unternehmensbesteuerung auf neun Prozent, wir in Österreich haben 25 Prozent. Auf der anderen Seite erhält Ungarn aus den Kohäsionsfonds der EU Mittel auch aus Österreich. Das passt nicht zusammen.

In welchem Bereich soll sich die Bandbreite bewegen?

Zwischen 15 und 25 Prozent.

Soll es auch einen gemeinsamen europäischen Wirtschaftsminister geben?

Sicher.

Das bedeutet, dass die Nationalstaaten Kompetenzen an Brüssel abtreten müssen.

Ja.

Der Wille ist dafür weder in der Bevölkerung noch bei den Politikern vorhanden.

Es ist eine Bewusstseinsfrage. Der Euro ist Basis unseres Wohlstandes. Wenn wir diesen Wohlstand erhalten wollen, müssen wir alles tun, dass die Wirtschafts- und Währungspolitik funktionieren.

Welche Kompetenzen sollen an Brüssel abgegeben werden?

Wir haben jetzt schon die Finanzpolitik abgegeben. Jetzt sollten wir das in der Steuerpolitik machen.

Mit Spielräumen?

Durchaus mit Spielräumen. Es ist auch in der Schweiz so, das die Kantone Spielräume haben. Auch in den USA haben die Bundesstaaten diese Spielräume.

Ihre Vorstellung läuft auf die Vereinigten Staaten von Europa hinaus.

Langfristig gesehen ja, denn das ist ohne Alternative. Das soll aber kein Zentralstaat sein, der alles im Detail regelt, sondern ein starker Staat nach außen, der unser Schutzmantel gegen die Bedrohungen der Globalisierung ist. Nach innen soll er auf dem Prinzip der Subsidiarität aufgebaut sein. Alles, was Länder und Regionen selbst regeln können, sollen sie regeln. Der Nationalstaat wird auf der einen Seite Kompetenzen an die Regionen abgeben. Siehe Oberösterreich, das mehr Autonomie fordert.

Das bedeutet eine Stärkung der Regionen auf der einen Seite und eine Stärkung von Brüssel auf der anderen Seite. Beides geht auf Kosten des Nationalstaates.

So ist es.

Sie sind Präsident der Bundeswirtschaftskammer, eine Funktion, die Sie bis zum Ende der EU-Ratspräsidentschaft Österreich, also bis Ende 2018, behalten wollen.

Das ist eine mögliche Variante. Es ist derzeit noch nichts bestimmt. Ich möchte das im Gespräch mit Sebastian Kurz und Harald Mahrer definieren. Ich werde das Thema Europa, in welcher Funktion auch immer, aktiv begleiten.

Sie haben vor einigen Jahren in der österreichischen Verwaltung ein Einsparpotenzial von vier Milliarden Euro definiert. Wie viel davon ist bereits gehoben?

(lacht). Von den damals von mir genannten 3,5 Milliarden Euro ist das auf vier Milliarden angestiegen. Es läuft in die falsche Richtung. Ich setze große Erwartungen in Minister Josef Moser, den ehemaligen Rechnungshofpräsidenten. Er kennt sich aus. Wir reduzieren in der Wirtschaftskammer durch die Möglichkeiten der Digitalisierung um 20 Prozent. Warum kann der Staat nicht um zehn Prozent, das wären 16 Milliarden Euro, reduzieren? Das muss heute jedes Unternehmen machen. Der Staat könnte Kompetenzzentren einrichten und nicht alles in Wien zentralisieren. Oberösterreich könnte Kompetenzzentrum für Innovation, für erneuerbare Energie und Umwelttechnik werden.