"Die schönste Frau erobern, die einen haben will"
Von Josef Ertl
Michael Lehofer ist ein erfahrener Mann. Der 66-Jährige ist Universitätsprofessor, ärztlicher Direktor und Leiter einer Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Landeskrankenhaus Graz II. Kürzlich ist sein Buch Alter ist eine Illusion – Wie wir uns von den Grenzen im Kopf befreien erschienen, nun präsentiert er am Mittwoch, den 21. September um 19 Uhr bei Thalia Linz-Landstraße sein neues Werk 40 verrückte Wahrheiten über Frauen und Männer.
Frauen entscheiden
Er empfiehlt Männern, niemals die schönste Frau zu erobern, sondern die schönste, die einen haben will. „Normalerweise suchen bei den Homo sapiens die Frauen die Männer aus und ermöglichen ihnen, sie zu erobern. Normalerweise, wohlgesagt. Die Eroberung ist ein Fake. Sie ist nichts weiter als ein Ritual, das notwendig ist, damit die Frau nicht nur den Mann aussucht, sondern sich auch sicher ist, dass er jener Held ist, der sich um sie bemüht. Als ich dieses Prinzip später in meinem Leben verstanden hatte, suchte ich mir nie mehr die Schönste aus, sondern suchte mir unter den Frauen, die mich haben wollten, die schönste aus. Das war dann zauberhaft. Vor allem war das Erobern dann nicht mehr anstrengend und frustrierend. Ich lernte, dass der Respekt vor einer Frau damit beginnt, dass man akzeptiert, ob sie einen haben will oder nicht. Die Freiheit des Mannes besteht darin, sich diesem Wunsch zu entziehen oder ihm zu entsprechen.“
Wir brauchen Begegnung
Im Mai war Lehofer im Bildungshaus Puchberg bei Wels zu Gast, wo es aus Anlass seines Buches Alter ist eine Illusion auftrat. „Wenn man mit alten Menschen spricht, dann ist es meistens ein bisserl fad. Man muss schon sehr nächstenliebend sein, wenn man sich dazu motiviert“, sagt er. „Warum ist es fad? Weil die alten Menschen dazu neigen, die immer gleichen Geschichten, die sie eh schon immer erzählt haben, wieder zu erzählen. Sie monologisieren und treten nicht in einen Diskurs. Es ist anstrengend, wenn man in einer Situation keine Begegnung hat. Wir brauchen Begegnung. Wie sehr wir Begegnung brauchen, habe ich als Psychiater von depressiven Menschen gelernt. Wenn man depressiv ist, hat man das Problem, dass man nicht begegnen kann. Ein Professor von mir in Salzburg hat einmal gesagt, die Sonne steht am Himmel, aber sie scheint mir nicht. Das ist auch der Grund, warum die depressiven Menschen am Tag müde sind und in der Nacht nicht schlafen können. Weil sie sozusagen gar keinen Bezug zu den kosmischen Rhythmen haben.“
Nicht lebendig
Es sei interessant, so Lehofer, dass die Menschen, die depressiv seien, das Problem hätten, sich selber nicht lebendig zu fühlen. „Sie können sich selbst nicht erzeugen, weil man sich in der Begegnung erzeugt. Wenn es mir gelingt, ihre Herzen mit dem, was ich sage, zu berühren, ist es so, dass sie sich lebendiger fühlen. Wenn ich etwas erzähle, was sie nicht interessiert, dann werden sie müde. Wenn ich sie berühre, werden sie lebendiger sein. Begegnung erzeugt innere Lebendigkeit. Das hat auch der südindische Weise Jiddu Krishnamurti, eine transreligiöse Persönlichkeit, gesagt, dass die Welt in der Begegnung, im Gegenüber entsteht. Wir haben andere Ideen, aber in Wahrheit ist es so, dass Du mir das Leben schenkst. Ein Lächeln ist das Schenkung von Leben. Es ist eine Bejahung.“
Begegnung ist Leben
Wenn das Kind geboren wird, hat es noch keine Vorstellung, wer es ist. Die Bezugspersonen Mama und Papa neigen sich ihm zu, es schreit, weil es Hunger hat. Aber das Kind weiß gar nicht, dass es Hunger hat, es wird ihm quasi gespiegelt, dass es hungrig ist und das es bald etwas zu essen bekommt. Durch die Begegnung schenkt ihm die Mama das Leben.“
Begegnung brauche man ein Leben lang, sagt Lehofer. Es sei zum Beispiel noch keine schlechte Ehe, wenn man viel streite. In der Ehe solle man zum Beispiel Geborgenheit finden, auf der anderen Seite soll man etwas lernen. „Das Schreckliche einer wirklich schlechten Ehe ist die mangelnde Resonanz. Das hält man nicht aus. Normalerweise ist man auf den Menschen bezogen und wenn der nicht resoniert, dann ist das eine schwere Einschränkung der Lebendigkeit. Sie könnten es sich woanders holen, aber wenn das ihre fixe Beziehung ist, ist das sehr schwer. Sie werden an dieser Unlebendigkeit leiden. Eine schwierige Situation.“
Keine Resonanz
Wie könne man Resonanz herstellen? „Man kann die Beziehung nicht so lassen wie sie ist. Man kann nicht so leben wie bisher. Man riskiert eine Krise, und eine Krise bedeutet immer einen Neuanfang.“ „Wir sind ein Ergebnis von Begegnung. Das ist ein schöner Gedanke. Nicht nur ein Ergebnis der Begegnung der Sexualität, sondern ein ganzes Leben lang.“
Der Mensch werde mit einem unreifen Gehirn geboren. Im Gegensatz zu anderen Säugetieren. Das unreife Gehirn sei deswegen eine gute Idee des lieben Gottes, weil die ersten Lebenserfahrungen das unreife Gehirn modifizierten. „Wenn man am Nordpol oder in Lappland geboren ist, kann man die dortige Situation im Gehirn adaptieren. Man konstruiert nicht nur aufgrund der genetischen Komposition die Wirklichkeit, sondern man kann durch die Unreife des Gehirns einiges modifizieren. Darum sind wir Menschen am Anfang des Lebens so hilflos. Darum ist uns ein Leben lang Begegnung das Wichtigste. Wir machen die Erfahrung, dass es ohne Bindung kein Überleben gibt. Bis zum dritten Lebensjahr ist das Gehirn so unreif, dass man sich nichts merken kann. Wenn man sich nichts merken kann, kann man auch nichts integrieren. Darum sind Traumata bis zum dritten Lebensjahr besonders schlimm, weil man quasi nichts verarbeiten kann. Später wird es ein bisschen leichter.“
Das Gehirn wird verändert
Das Gehirn werde ständig umgebaut. „Wenn man erwachsen ist, um die 20 Jahre alt, kommt dieser Umbau, diese Neurobiogenese, diese Nervenneubildung, zum Stoppen. Daher wollen Kinder neue Erfahrungen machen.“ Weil jede gewonnene Erfahrung das Spektrum für das spätere Leben erweitere. Daher sei ein junger Mensch sehr an Veränderung interessiert. Er wolle sich weniger bewahren als sich verändern. Das führe dazu, dass junge Menschen eigenartig unterschiedlich seien. Sie verfügten über wenig Stabilität. „Sie erfüllen ihre Aufgabe, ihr Gehirn weiterzuentwickeln.“ Das sei das Wesen des Jungen: das Interessiertsein an Neuem.
Selbstverteidigung
Mit dem 20. Lebensjahr sei die Neurobiogenese weitgehend abgeschlossen. „Wir sind dann erst wirklich geboren. Ab dem Zeitpunkt sind Menschen wenig interessiert sich zu verändern, weil sie sich ständig selbst konstruieren wollen. Man versucht immer, sich selber zu verteidigen. Wenn Sie einmal genau hinhören, werden Sie merken, wie viel Zeit Menschen jeden Tag mit Selbstverteidigung verbringen."
Das sei der Beginn des Alters. Das Wesen des Jungseins sei es, sich für das Neue zu interessieren. Das Wesen des Altseins sei die Selbstverteidigung. Darum sei es auch so fad, mit den alten Menschen zu reden.