Chronik/Oberösterreich

„Der moderne Sozialstaat wurde in Goisern erfunden“

Bis 1848 war Bad Goisern Herrschaftssitz der Wildenstein’schen Verwaltung. „ Goisern war damals quasi die Hauptstadt des Inneren Salzkammergutes. Ischl wurde dann durch die Sommerfrische des Kaisers Bezirksstadt, Goisern hingegen erlitt einen enormen wirtschaftlichen Niedergang. Es gab eine gewisse Perspektivlosigkeit, es kam zwischen 1855 und 1860 zu Auswanderungen von rund 180 Einheimischen nach Amerika“, erzählt Reinhard Winterauer, Goiserer Bürgermeister von 1983 bis 2001. Der 71-Jährige ist sozialdemokratisches Urgestein, er war Betriebsrat, Landes- und Bundesschäftsführer, Landtagsabgeordneter und Bundesrat.

Konrad Deubler

Gründer der Arbeiterbildungsvereine war Konrad Deubler (1814-1884), „der geistige Vater von allem. Er war ein Goiserer, der die Mühle in Hallstatt gepachtet hat. Er gründete am 18. Jänner 1868 den Verein in Hallstatt, am 26. Juli den Zweigverein Goisern, der am 29. September ein eigenständiger Verein wurde. Deubler war Anhänger der Darwinschen Evolutionstheorie. Er war mit den Freidenkern in Verbindung, die er in seine Villa eingeladen hat, die er nach dem Philosophen Ludwig Feuerbach benannt hat.“

In Goisern sei damals jedes zwei Haus ein Wirtshaus gewesen. „Deubler hat eines davon in der Kirchengasse gekauft und im ersten Stock eine Bibliothek eingerichtet. Direkt neben der katholischen Kirche. Er war Protestant, wir Gosauer sind alle Protestanten.“ Ebenso die Bergleute , die keine Proleten, sondern wißbegierig gewesen seien. Der Vater von Martin Luther war auch Bergmann. „Wer in Goisern etwas auf sich gehalten hat, hat eine deutsche Luther-Bibel gehabt.“ Zur Zeit der Gegenreformation habe es in Goisern Aufstände der Arbeiter gegeben, die niedergeschlagen worden sein, die Protestanten wurden in den Untergrund gedrängt (Geheimprotestantismus).

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Bildung macht frei

Deubler habe Bildung propagiert. Lerne was, so kannst Du was, lese was, dann weisst Du was, sei seine Devise gewesen. Das sei auch der Grund, warum die Jubiläumsveranstaltung150 Jahre Arbeiterbildungsverein den Titel Bildung als Widerstand trage. Hauptreferenten der Tagung, die vom 27. bis 29. September 2018 im Festsaal Bad Goisern stattfindet, sind SPÖ-Vorsitzender Christian Kern und ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian.

Der Arbeiterbildungsverein sei der Träger der genossenschaftlichen Entwicklung geworden. Geschäftsleute wie Deubler und der Kirchenwirt hätten sich mit den Arbeitern zusammengetan. Ähnlich wie Robert Owen (1771-1858), der britischer Unternehmer und Frühsozialist war und als Begründer des Genossenschaftswesens gilt. „Es hat immer schon Unternehmer gegeben, die ihre Mitarbeiter gut behandelt haben. Wie man in Goisern sagt, was im Butter zerrinnt, kommt im Schmalz wieder. Das heisst, ein motivierter Mitarbeiter bringt wesentlich mehr als einer, der unterdrückt wird.“

Winterauer: „Die Leute in den Arbeiterbildungsvereinen haben sich gesagt, wir müssen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. In zweiten Sitzung im Dezember haben sie bereits den Konsumverein gegründet. Zur besseren Versorgung der Bevölkerung. Die Salzzillen haben das Salz die Traun und die Donau hin untergebracht, im Gegenzug wurden Hofkorn und Hofschmalz ins Salzkammergut herein transportiert. Es war damals ein Versorgungselend. Die Bezirkshauptmannschaft hat die Konsum-Gründung unterstützt, weil es die Problemlösung gesehen hat.“

Der Arbeiterbildungsvereine seien auch der Grundstein für das Genossenschaftswesen gewesen. 1873 wurde der Sparkassen- und Kreditverein gegründet. Um 1880 hatte der Arbeiterbildungsverein Goisern inklusive des 13 km entfernten Gosau rund 2000 Mitglieder. Unter ihnen war auch Leopold Winterauer, der Urgroßvater von Reinhard Winterauer. Er war Kassier, wie aus dem ersten Protokollbuch hervorgeht. Leopold hatte 1866 als Soldat auch an der Schlacht in Königgrätz gegen Preußen teilgenommen. Den Original-Feldsack hat Reinhard heute noch.

Krankenkasse

Weiters wurde ein Altersversorgungsverein und ein Privat-Arbeiterkrankenkassenverein analog der Bruderlade der Salinenarbeiter gegrüdnet (Selbsthilfekrankenkasse, in die monatlich einbezahlt wurde). Sie war ein Vorläufer der Gebietskrankenkasse und ging später in ihr auf. Dann gab es noch einen Feuerschadenversicherungsverein. Weiters wurde 1883 in Goisern nach Linz die zweite öffentliche Volksschule gebaut, weil man dem Klerus nicht die Bildung überlassen wollte.

Zur Finanzierung der Schule wurde die Biersteuer eingeführt. Bis dato hatte die halbe Bier zehn Kreuzer gekostet, danach 13 Kreuzer. Zwei Kreuzer hat die Gemeinde bekommen, einen hat sich der Wirt fürs Einheben behalten dürfen. „Da haben die Leute dann gesagt, ich trinke noch eine Halbe, damit aus unseren Kindern etwas wird.“

Der moderne Sozialstaat, ist Winterauer überzeugt, sei in der Kleinheit von Goisern erfunden worden. „Das ist keine Übertreibung. Das gab es sonst nirgends in der Monarchie.“ Und das nur zehn Kilometer entfernt vom Sommersitz des Kaisers FranzJosef.