Chronik/Oberösterreich

Das andere Leben auf der Alm

Bevor Franz Kogler sich an den Frühstückstisch setzt, schlüpft er in feste Schuhe und nimmt seinen Wanderstecken in die Hand. Während „andere" – damit ist der gestresste Menschenschlag unterhalb gemeint –  mit dem Auto auf dem Weg zur Arbeit schon im Stau stehen, stimmt er im Licht der ersten Sonnenstrahlen am Berg ein melodiöses „Gehedo, Gehedo" als Begrüßung an.

Seine Kühe und Ochsen erkennen ihn schon von Weitem am zerschlissenen Strohhut und traben in Vorfreude auf das Salz, das er in einem Joghurtkübel bei sich trägt, auf ihn zu. „Man fühlt sich wie ein Internatsleiter, der sich unter lauter Teenagern durchsetzen muss", scherzt der 65-Jährige, der bis zur Pension als Postler gearbeitet hat. Heute betreuen Franz und Gattin Barbara 72 Jungrinder von Mai bis Ende September in der Schafferreith im Gemeindegebiet von Hinterstoder.

Alm-Comeback

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Die Alm wurde erstmals im 15. Jahrhundert urkundlich erwähnt. Seit 1896 ist sie im Besitz der Familie von Württemberg, die 1926 das Weiderecht an die oö. Weidegenossenschaft abgegeben hat.

Nach dem großen „Almsterben" in den 1960er-Jahren seien die „grünen Dächer" als Arbeitsplatz wieder salonfähig geworden, meint er. „Es interessieren sich immer mehr Junge für diese Arbeit. Vom Akademiker bis zum Postler, wie mich, gibt es hier oben alles."
2004 hat Kogler der Enge seiner Heimatgemeinde Grünburg den Rücken gekehrt und fühlt sich jetzt in den Weiten des Berge seinen Wurzeln wieder ganz nah. „Ich bin am Land aufgewachsen. Für mich gibt es nichts Schöneres", sagt der rüstige Rentner.

Das Paar lebt erst seit zwei Jahren gemeinsam auf der Alm. Im Umkreis von sechs Kilometern nur einander zu haben, sei nach 41 Ehejahren „nicht die reine Romantik". Gemeinsame Spaziergänge und ab und zu eine rote Alpenrose sei das Rezept, um die Liebe auch auf 1050 Höhenmetern frisch zu halten. „Und wenn es einmal Streit gibt, hört uns eh kein Nachbar."

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Trotz der vergleichsweise modernen Lebensbedingungen auf der Schafferreith – der Stromanschluss stammt noch vom mittlerweile eingestellten Skibetrieb – bedeute die Almwirtschaft viel Handarbeit.

Von der Körperhygiene in einer provisorischen Dusche im Stadl bis zum Kochen auf einem Holzofen bewältigen die Koglers den Alltag mit viel Geduld und Einfallsreichtum.
Ein Stück dieses naturbelassenen Lebens wollen auch Wanderer haben, wenn sie die Koglers in der Schafferreith besuchen. Barbara schenkt Most aus, serviert Topfenkas- und Speckbrote und verkauft Produkte vom Hof, während Franz sich lieber mit den wiederkäuenden Zeitgenossen beschäftigt.

So manch abenteuerlustige Kuh in den verwinkelten Ecken der Hochalm zu finden, kann Stunden dauern. „Da muss ich schmecken, wo sich die Rinder herumtreiben", sagt Kogler und tippt sich auf die Nasenspitze. Für die Mühe wird der Bergbauer täglich mit einem herrlichen Blick auf das Tote Gebirge entlohnt. „Auf der Alm hast du andere Wertigkeiten. Man erlebt das Rundherum viel intensiver", sagt er und fügt scherzhaft hinzu: „Die anderen schauen sich einen Actionfilm an, ich beobachte eben einen Adler."

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„Die Menschen suchen das ,normale Sein‘“

Die Alm boomt", meint Josef Feßl, der sich als Almenobmann und Bürgermeister von Edlbach mit mehr Nachfrage konfrontiert sieht, als die 422 Almen in Oberösterreich decken können. Die „grünen Dächer" ziehen sich über die Regionen Pyhrn-Eisenwurzen und das Salzkammergut auf einer Fläche von 36.500 Hektar. „Sanfter Tourismus" und die Landwirtschaft seien kein Widerspruch – im Gegenteil: „Urlauber sind auch die Konsumenten. Damit es funktioniert, braucht man ein Gesamtkonzept", sagt Feßl.

Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit beider Bereiche sei ein gewisser Standard wie Strom, Trinkwasser und sanitäre Anlagen – auch wenn das nicht ins Klischee aus den „Heidi"-Filmen passe. „Die Modernisierung hat auch vor der Almwirtschaft nicht Halt gemacht", weiß Feßl.

Hier gilt es aber, sensibel vorzugehen, denn das Reizvolle an den „grünen Dächern" sei gerade die Minimierung des Angebots: „Die Menschen suchen das ,normale Sein`", bringt es Feßl auf den Punkt. „Ballungszentren haben ein derart großes Angebot, dass die Leute  im Alltag ohnehin in einen Freizeitstress übergehen. Auf der Alm entflieht man dem."
ALManach Die 112 schönsten Almen werden im neu aufgelegten „ALManach" von Ernst Simader (KRAL Verlag, 14,90 Euro) beschrieben. Am 15. August findet der 33. Almwandertag auf die Rumplmoarreith in Rosenau am Hengstpass statt.

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