Amerika holt die Industrie zurück
Von Josef Ertl
Die USA stellen sich neu auf. Das Land steht nicht schlecht da und holt Investoren“, sagt Michael Brandl. Er arbeitet bei der voestalpine- Niederlassung in Elgin bei Chicago und glaubt an den Aufschwung der Autoindustrie. Die voestalpine profitiert als Zulieferer. Der Standort Chicago liefert zum Beispiel Spezialwerkzeuge für die Produktion von Stoßstangen, die Magna im benachbarten Toronto braucht.
Die voestalpine macht in Nordamerika rund eine Milliarde Euro Umsatz. Diese Woche erfolgte in Cartersville im Bundesstaat Georgia der Spatenstich für ein neues Werk. Dort sollen in der Vollausbaustufe 220 Mitarbeiter Beschäftigung finden, um der im Süden der USA neu entstehenden Autoindustrie zuzuliefern.
Das Durchschnittsalter der US-Autos beträgt zehn bis elf Jahre. Sie müssen getauscht werden. Zudem dürfen sie ab 2025 durchschnittlich nur mehr vier Liter Benzin verbrauchen. Dazu benötigt man neue Werkstoffe und viel Know-how – die europäischen Zulieferer wollen davon profitieren.
Gewinne erzielen
Amerikanische Autokonzerne wie General Motors, Ford und Chrysler haben sich neu aufgestellt, ihre Produktion redimensioniert, sie erzielen wieder Gewinne. In Detroit, wo die Arbeitsstunde früher 80 Dollar gekostet hat, sind es heute 30 bis 40 Dollar. Der Anteil der Lohnkosten an der Produktion, die früher in den USA 50 Prozent betragen hat, ist auf 25 Prozent zurückgegangen.
Die Krise hat die USA gelehrt, dass sie ihre Industrieproduktion zurückholen müssen. Die Boston Consulting Group hat berechnet, dass 2,5 bis fünf Millionen Jobs aus anderen Kontinenten wieder zurückkehren werden. „Wir sind dann wieder wettbewerbsfähig“, erklärte Rick Matton von der Zentralbank Chicago den Teilnehmern der oberösterreichischen Delegation, die diese Woche Chicago und Washington besuchten. „Wir haben bei der Produktionsauslagerung über das Ziel geschossen“, sagt Michael Hetzel vom Consulting-Unternehmen „Northern Galaxy Corporation“. Man habe den Auslagerungsprozess nicht zu Ende gedacht, dieser Trend finde nun ein Ende. Er zitiert eine Studie, wonach es billiger sei, im Nachbarland Mexiko zu produzieren als in China.
Matton ist voll Optimismus. Dieser gründet sich auf folgenden Faktoren: Die Produktion in China wird teurer. Das Vertrauen der Konsumenten kehrt zurück. Es wird wieder mehr gespart, die Sparquote ist auf fünf Prozent gestiegen. Die niedrigen Gaspreise, die ein Drittel von den europäischen betragen, stärkt die Industrie. Die Immobilienpreise beginnen ebenfalls wieder zu steigen.
Positiv gestimmt
Solange die Arbeitslosigkeit hoch ist, werde die US-Zentralbank Fed die Märkte mit Geld fluten, so Matton. Denn ihr Auftrag sei ein doppelter: Preisstabilität mit einer Inflation von rund zwei Prozent und die Arbeitslosigkeit niedrig halten, also bei fünf Prozent. Solange man diese Ziele nicht erreicht, werde die Fed die Zinsen tief halten und Geld zur Verfügung zu stellen. Wie sieht Matton die Lage in Europa? „Es ist wichtig, die Balance zu finden zwischen notwendigen Budgetsanierungen und den Impulsen für Wirtschaftswachstum. Die Frage ist, ab welchem Zeitpunkt man durch Sparen eine Spirale nach unten auslöst?“ Es habe 15 bis 20 Jahre gedauert, zu den hohen Schulden zukommen, es werde 15 bis 20 Jahre dauern, sie wieder abzubauen.
„Das europäische Modell des Sozialstaats ist nicht überlebensfähig.“ Zu dieser Einschätzung kommt Adolfo Laurenti, Chef-Ökonom des Finanzdienstleisters „Mesirow Financial“ mit Sitz in Chicago. Die sozialen Werte seien in Europa lebendig, aber die Ausformung sei nicht mehr finanzierbar. Es fehlten das Geld und das notwendige Wirtschaftswachstum.
„Europa wird Prioritäten setzen müssen. Wir sind seit 50 Jahren gewohnt, dass wir alles haben – Bildung, Gesundheit und Kultur. Das wird auf Dauer nicht funktionieren“, sagte der aus Italien stammende Laurenti vor der Wirtschaftskammer-Delegation, die auf Besuch in den USA war. Es werde in Europa zu tief greifenden Änderungen kommen müssen, an dessen Ende ein neues Sozialmodell stehen werde.
Optimistische Sicht
Dabei ist Laurentis Sicht über Europa wesentlich optimistischer als jene der Amerikaner, die auch das Ende des Euros erwarten. „In den USA interessiert die Leute nur die Frage, wann die europäische Währung platzt“, sagt Laurenti. Er werde täglich zwei bis drei Mal darauf angesprochen. Er gebe darauf folgende Antworten. „Wer die Geschichte Europas betrachtet, wird feststellen müssen, dass das prognostizierte Ende immer erst viel später gekommen ist.“ So habe der aus Wien stammende Wirtschaftswissenschafter Friedrich August von Hayek bereits in den 1930er-Jahren das Ende des Kommunismus vorausgesagt. „Es ist aber erst 60 Jahre später eingetreten.“
Den Euro werde es laut Laurenti so lange geben, solange dazu der politische Wille bestehe. In Europa seien die Euro-Befürworter (noch) in der Mehrheit. Der Wille zur politischen Zusammenarbeit sei ebenfalls stark. „Es gibt in den Krisenländern Griechenland, Italien und Spanien eine Menge Fortschritte, um die Budgetdefizite abzubauen und die Arbeitsmärkte zu reformieren.“ Das seien langfristige Prozesse, denen die USA zu ungeduldig gegenüberstehen würden. In einem Punkt hätten die Amerikaner Recht – nämlich in ihrer Kritik an der Unfinanzierbarkeit des europäischen Sozialstaatsmodells. Selbst der Europäische Zentralbankpräsident Mario Draghi habe eingestanden, dass das alte Modell tot sei.
Heterogenes Bild
In den USA würden die Äußerungen der europäischen Verantwortungsträger genau verfolgt. Diese seien sehr unterschiedlich – zum Beispiel, ob Griechenland in der Euro-Zone verbleibe oder nicht. Die Finanzmärkte würden entsprechend reagieren. Diese unterschiedlichen Meinungen würden dazu beitragen, dass die Amerikaner ein heterogenes Bild von Europa hätten.
Laurenti ist in Summe optimistisch für Europa. „Am Ende werden sich die USA und auch die Briten täuschen. Den Euro wird es weiter geben.“ Aus drei Gründen: Erstens: Der politische Wille und die Energie zum Erhalt des Euro sei da. Zweitens: Europa könne aus wirtschaftlichen Gründen nicht auf den Euro verzichten. Eine Rückkehr zu den früheren Währungen würde zu einem großen finanziellen Schaden führen. Drittens: Europa sei bereits viel integrierter und europäischer als man wahrhaben wolle.