Wohnbau im Wiener Umland: Gemeinden sperren sich gegen Zuzug
Eigentlich hätte das neue Gebäude neben einem Einfamilienhaus in Purkersdorf (Bezirk St. Pölten) noch höher werden sollen. Nur weil sich die Besitzerin beschwerte, wurde der Bau niedriger fertiggestellt – und ein Teil des Balkons vom Mehrparteienhaus musste nachträglich abgetragen werden, weil er zu knapp an das Einfamilienhaus gebaut wurde. Nur ein Beispiel für Konflikte zwischen Bauträgern, Anrainern und Gemeinden im Wiener Umland.
„Es herrscht Goldgräberstimmung“, fasst Klosterneuburgs Bürgermeister Stefan Schmuckenschlager (ÖVP) zusammen. Wo früher Villen mit Gärten standen, wachsen Bauten mit bis zu 20 Wohnungen aus dem Boden.
Enormer Zuzug in die Vorstadt
Klar ist, der Siedlungsdruck ist hoch, das zeigen auch die Zahlen: Allein im Bezirk Tulln hat die Einwohnerzahl um knapp zehn Prozent auf 103.792 zugenommen. Vor allem aus Wien zogen viele Bewohner in den grünen Speckgürtel.
Immer mehr Kommunen wehren sich daher gegen die Begehrlichkeiten der Bauträger. Entwicklung ja, aber in geordnetem Rahmen, so der Tenor. Vorreiter sind hier die Gemeinden Perchtoldsdorf, Klosterneuburg und Baden. Sie wollen ihr Wissen nun weitergeben und fordern Gemeinden auf, sich zu vernetzen. Denn der Siedlungsdruck weite sich aus.
Entwicklung steuern
„Wir wollen ganz bewusst gewisse Entwicklungen mitsteuern“, sagt Schmuckenschlager. Die Stadt ist in den vergangenen zehn Jahren um 7,4 Prozent von 25.488 Einwohner auf 27.372 gewachsen. Baden und Perchtoldsdorf hingegen haben kaum neuen Zuzug verzeichnet.
Letztere Gemeinde hat sich mit 18.000 Einwohnern sogar eine Obergrenze gesetzt, sagt Bürgermeister Martin Schuster (ÖVP). Baden hat bereits 2003 mit der ersten Bausperre reagiert. In Perchtoldsdorf wurde seit 1991 kein neues Bauland gewidmet.
Zuletzt haben alle drei Gemeinden (Klosterneuburg 12, Perchtoldsdorf 6, Baden 3) Bausperren eingeführt und Schutzzonen verfügt. Sowohl Klosterneuburg als auch Perchtoldsdorf haben verfügt, dass derzeit nicht mehr als sechs Wohneinheiten pro Wohnbau gebaut werden dürfen. Beide arbeiten an Ortsentwicklungskonzepten.
Etwas, das Baden bereits vor zehn Jahren gemacht hat. „Lebensqualität ist wichtiger als Wachstum“, sagt der dortige Bürgermeister Szirusek (ÖVP). Zusätzlich soll der Grüne Ring um Wien von Landesrat Stephan Pernkopf die ländliche Struktur bewahren und das Grünland schützen. In Schwechat laufen hier gearde die Vorarbeiten.
Das Beispiel Purkersdorf zeigt, was passiert, wenn es ungeregeltes Wachstum gibt. Dort fordert die „Liste Baum“ nun einen Baustopp wegen der „aus dem Ruder gelaufenen Bauten“. Generell, betonen die Bürgermeister, sei es für Gemeinden wichtig, möglichst früh Maßnahmen zu setzen. „Und auch wenn es mühsam erscheint: Bürgerbeteiligung ist der einzige Weg“, sagt Schmuckenschlager.
Probleme nicht gelöst
Die bestehenden Regelungen gehen manchen nicht weit genug. In Klosterneuburg klagt die Opposition etwa über Bauten im Grünland. Stefan Hehberger von der Plattform Unser Klosterneuburg (PUK) erzählt von der sogenannten „Nullerregelung“, einem Klosterneuburger Spezifikum. Bauträger würden nebeneinander liegende Grundstücke kaufen, vereinen, dann neu teilen und könnten so mehr Wohneinheiten bauen.
In Perchtoldsdorf moniert die Bürgerliste, dass Bausperren zu spät durchgesetzt wurden.
Überalterung und Siedlungen für Reiche?
Manche Raumplaner orten in den Maßnahmen auch Problempotenzial. Etwa, dass die soziale Durchmischung fehle, wenn die Immobilienpreise durch Verknappung weiter steigen. So kostet im Bezirk Mödling eine Wohnung in guter Lage im Schnitt 4.293 Euro pro Quadratmeter.
Die Ortschefs geben zu, dass die Initiativen, die sie setzen, wohl nicht ausreichen. Allerdings koste Lebensqualität und gute Infrastruktur etwas. Klosterneuburg und Perchtoldsdorf erklären, dass sie mit Startwohnungen versuchen, junge Leute im Ort zu halten. In Klosterneuburg ist etwa das geplante Pionierviertel Hoffnungsplatz für leistbares Wohnen, sagt Schmuckenschlager.
In Baden gibt es immerhin 800 Gemeindewohnungen, in Perchtoldsdorf 400, in Klosterneuburg 200.
Auch das Thema Überalterung beschäftigt die Kommunen. Allerdings: „Wir haben 220 Geburten, aber 250 Volksschulanmeldungen. Das zeigt, dass Familien sehr wohl zuziehen“, betont Szirucsek.